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# taz.de -- Rassismus in der Wissenschaft: Beerdigt nach mehr als 160 Jahren
> Nach ihrem Tod waren ihre Körper „Forschern“ in die Hände gefallen und
> lagerten zuletzt in der Uni Leipzig. Nun wurden die drei Roma beigesetzt.
Bild: Auf dem Südfriedhof in Leipzig findet die Beisetzung der drei Roma statt
Leipzig taz | Graue Wolken und ein andächtiges Schweigen liegen
Mittwochmittag über dem Südfriedhof in Leipzig, als der letzte der drei
Särge langsam in die Erde gleitet. „Wir geben den Menschen zurück, was
ihnen lange verwehrt wurde: Würde“, hatte Gjulner Sejdi zum Beginn der
Trauerfeier gesagt. Nun steht der Vorsitzende des sächsischen Verbands der
[1][Roma und Sinti], Romano Sumnal, am Grab dreier Männer, die er nicht
kannte, die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt.
Eine Beerdigung dieser Art hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Von
den drei Roma, um die es ging, ist wenig bekannt: Die Männer lebten vor
mehr als 160 Jahren in Rumänien. Nach ihrem Tod landeten Teile ihrer
Knochen in den Händen von sogenannten Rassenforscher:innen. Sie wurden zum
Forschungsobjekt gemacht, ihre Schädel mit Nummern versehen und einer
sogenannten Schädelsammlung hinzugefügt. Bis zuletzt lagerten sie in der
Universität Leipzig. Nicht als individuelle Menschen, sondern als Vertreter
einer vermeintlichen Rasse untersuchten die Forscher:innen sie. Welchen
Namen die drei Roma hatten, ob es noch Angehörige gibt? Das ist nicht
bekannt.
Über ihren drei Särgen aus hellem Holz flackert während der Gedenkfeier
eine einzelne Kerze. In der Kapelle hallt Sejdis Stimme durch das
Mikrofon, als er sagt, es gehe bei dieser Gedenkfeier nicht nur um die
Schicksale dreier Menschen. Was mit ihnen passiert sei, erinnere an eine
rassistische Wissenschaft, die nicht nach Erkenntnissen gesucht, sondern
Ausgrenzung rechtfertigt habe.
Auf den Ergebnissen der Rassenforschung basierte letztlich auch [2][die
systematische Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma durch den
deutschen NS-Staat]. Die Beerdigung „erinnert uns daran, dass es [3][noch
viel aufzuarbeiten] gibt“, erklärte Sejdi. Die Gedenkfeier bedeute für
Sinti und Roma, „dass unser Schmerz und unser Leid anerkannt wird“.
## Universität bittet um Vergebung
Wenig später trat Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti
und Roma, ans Redepult. Er kritisierte, dass auch noch nach der NS-Zeit an
den Gebeinen geforscht worden sei, „obwohl bekannt war, dass sie sich nicht
zur Verfügung gestellt haben“. Rose rief in seiner Reden die Universitäten
dazu auf, „ihre Bestände zu überprüfen, und den Menschen, im Sinne unseres
christlichen Glaubens, die Würde zurückzugeben“. Bevor sich Rose nach
seiner Rede wieder hinsetzt, verneigt er sich vor den Toten.
Ebenfalls auf der Gedenkfeier rekonstruierte der stellvertretende Direktor
des Instituts für Anatomie, Martin Gericke, in seiner Rede, was mit den
menschlichen Überresten der drei Roma nach ihrem Tod passiert war. Bei
einem sei bekannt, dass er etwa 55 Jahre alt wurde, und seine „Gebeine im
Jahr 1865 in einem Krankenhaus in Bukarest entwendet wurden“.
Bei einem der anderen Männer sei nur bekannt, dass „seine Gebeine durch
Grabraub angeeignet wurden“. Beim dritten sei nur der Herkunftsort, die
rumänische Großstadt Oradea, angegeben. Der Anthropologe Emil Ludwig
Schmidt, der als Professor in Leipzig lehrte, vermachte 1906 seine Sammlung
der Uni. Sie umfasste rund 1.200 Schädel aus mehr als 40 Ländern. Zwischen
1901 und 1945 sei die Sammlung dann „ausgestellt und zur rassistischen
Forschung missbraucht“ worden.
Auch der stellvertretende Rektor der Universität Leipzig, Jens Eilers, trat
ans Mikrofon. „Wir stehen fassungslos vor dem Versagen dieser Zeit“, sagte
er. „Dafür bitten wir als Institution um Vergebung.“
Michael Brand, der Bundesbeauftragte gegen Antiziganismus und für das Leben
der Sinti und Roma in Deutschland, bedankte sich im Namen der
Bundesregierung für die Veranstaltung. Sie demonstriere „Respekt gegenüber
diesen drei Menschen und auch unsere Haltung zur Verteidigung der
Menschenwürde und einer zivilisierten Gesellschaft“.
Nach einem rumänisch-orthodoxen Gottesdienst wurden die Särge feierlich in
die Erde gelassen. Danach stand Romani Rose sichtlich bewegt neben dem
Grab. Es sei „eine würdige Gedenkfeier“ gewesen, sagte er der taz.
1 Oct 2025
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## AUTOREN
David Muschenich
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