# taz.de -- Haftstrafe bei Fahren ohne Fahrschein: Besser ins Krankenhaus statt… | |
> Der Freiheitsfonds kauft Menschen frei, die wegen Schwarzfahrens | |
> festgenommen wurden. Der jüngste Fall zeigt, wie unangebracht die | |
> Kriminalisierung ist. | |
Bild: Dass man fürs Fahren ohne Fahrschein im Gefängnis landen kann, geht auf… | |
Berlin taz | Am linken Bein hatte er eine offene Wunde, die bereits von | |
Maden befallen war. So griff die Polizei einen Mann in Nordrhein-Westfalen | |
auf. Gegen ihn lag ein Vollstreckungshaftbefehl wegen sogenannter | |
Erschleichung von Leistungen vor. Das heißt: Fahren ohne Fahrschein. Dafür | |
sollte er eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 15 Euro zahlen. Weil er | |
die nicht beglichen hatte, sollte er zur Ersatzfreiheitsstrafe ins | |
Gefängnis. | |
In Telefonaten zwischen der Anstaltsärztin und der Ärztin des | |
Polizeigewahrsams sei die Gefahr einer Amputation diskutiert worden. Die | |
Polizist*innen brachten ihn daraufhin ins Krankenhaus. So berichtet es | |
ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Justizministeriums der taz, der | |
den Fall rekonstruieren ließ. „Parallel telefonierten Bedienstete der | |
Anstalt mit der Staatsanwaltschaft zwecks Herbeiführung einer | |
Haftunterbrechung“, erklärt der Sprecher. Damit hätte die Gefängnisstrafe | |
zwar nicht abgewendet, aber verschoben werden können, bis der medizinische | |
Notfall geklärt wäre. [1][Gleichzeitig sei auch der Freiheitsfonds | |
kontaktiert worden.] Zwischenzeitlich sei dann festgestellt worden, dass | |
der Mann auch in der JVA behandelt werden könne, und er wurde eingeliefert. | |
Beim Freiheitsfonds war die Geschichte etwas anders angekommen. Eine JVA | |
habe ihn kontaktiert, weil einem Gefangenen „die Beine amputiert werden | |
müssen“, schrieb Arne Semsrott, Gründer des Freiheitsfonds, am Donnerstag | |
auf der Social-Media-Plattform Bluesky. „Dafür müssten aber Beamte mit ins | |
Krankenhaus, und wegen Personalmangel geht das nicht. Ob wir ihn also | |
schnell freikaufen könnten?“ Denn das ist genau der Zweck der 2021 | |
gegründeten Initiative: [2][Sie zahlt die Geldstrafen für Menschen, die | |
wegen Fahrens ohne Fahrschein im Gefängnis sitzen], um sie zu befreien. So | |
auch in diesem Fall. | |
Der [3][Justizsprecher] bestätigt der taz, dass der Mann daraufhin | |
entlassen wurde. Allerdings: „Der behauptete Personalmangel bestand zu | |
keinem Zeitpunkt. Ganz im Gegenteil, es waren ja ab 17 Uhr zwei | |
Vollzugsbedienstete zur Bewachung im Krankenhaus vor Ort.“ | |
## Kriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein ist sinnlos | |
Semsrott sieht jedoch ein generelles Problem. „Dieser Fall zeigt wieder | |
einmal, wie sinnlos und ungerecht die Kriminalisierung von Fahren ohne | |
Ticket ist“, sagte er der taz. „Statt Menschen in Krisensituationen zu | |
unterstützen, werden sie durch Gefängnisstrafen tiefer in Krisen gestoßen. | |
Statt immense Ressourcen für die Strafverfolgung aufzuwenden, müssen | |
soziale Angebote ausgebaut werden.“ | |
Oft befänden sich Menschen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein ins Gefängnis | |
kämen, in Ausnahmezuständen, sagt Semsrott, körperlich wie psychisch. Die | |
Beschäftigten seien dafür nicht ausgebildet und schnell überfordert. „Die | |
Person kommt dann in einen besonders gesicherten Haftraum, beruhigt sich | |
nicht, und dann werden wir angerufen, um sie rauszuholen.“ Meist von | |
Beschäftigten aus den sozialen Diensten. | |
Wer bei Kontrollen keinen Fahrschein vorzeigen kann, kann wegen | |
„Erschleichens von Leistungen“ angeklagt werden und bis zu einem Jahr ins | |
Gefängnis kommen. Das regelt Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs – | |
eingeführt im Jahr 1935 von den Nazis. Der Freiheitsfonds fordert, das | |
Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren und den ÖPNV kostenlos nutzbar | |
zu machen. | |
Am 1. September ruft sie zum 14. Mal zu einem sogenannten Freedom Day auf. | |
„Dieser Tag ist historisch: Denn vor genau 90 Jahren – am 1. September 1935 | |
– wurde jenes Gesetz eingeführt, das bis heute Menschen wegen fehlender | |
Tickets in Bus und Bahn ins Gefängnis bringt“, heißt es auf der Homepage | |
der Initiative. Laut Semsrott sollen an dem Tag 100 Menschen befreit | |
werden. | |
## Strafrecht sollte nicht private Geldforderungen durchsetzen | |
Seit Jahren diskutieren die Justizminister*innen der Länder und das | |
Bundesjustizministerium über die Abschaffung von Haftstrafen bei Fahren | |
ohne Fahrschein. Im Februar 2025 wurde immerhin die Haftzeit halbiert: Für | |
zwei Tagessätze Geldstrafe gibt es nur noch einen Tag Gefängnis. | |
Dem grün geführten Justizministerium von Nordrhein-Westfalen geht das nicht | |
weit genug. Justizminister Benjamin Limbach sagte der taz: „Die | |
Strafbarkeit beim Fahren ohne Fahrschein gehört abgeschafft – besser heute | |
als morgen. Ein Gesetzentwurf des Bundes ist dazu aus meiner Sicht | |
überfällig.“ Jeder ersparte Tag einer Ersatzfreiheitsstrafe sei ein Gewinn | |
für das Land, die betroffenen Menschen und den Steuerzahler. Limbach fügt | |
hinzu, dass es „im Kern nur darum geht, mit Mitteln des Strafrechts eine | |
private Geldforderung durchzusetzen“. | |
28 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Treblin | |
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