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# taz.de -- Kiez-Social-Media Nebenan.de: Nachbarschaftlich profitorientiert
> Unter den Nutzer:innen macht sich Ärger breit: Zunehmend würden
> unkommerzielle Anbieter genötigt, teure Gewerbeprofile zu erwerben.
Bild: Sieht ländlich aus, ist aber mitten in Berlin-Neukölln: Karin Zwick im …
Berlin taz | Im Garten von Karin Zwick fühlt man sich sofort wie draußen
auf dem Land. Die Insekten summen und die Vögel zwitschern, Hühner picken
auf den Resten von Wassermelonen. Auf dem Tisch neben dem Hühnerstall steht
jede Menge Essen, „zu verschenken“ ist auf einem kleinen Schild zu lesen.
Es ist schwül an diesem Nachmittag und in der Luft liegt ein stechender
Geruch von Biomüll. Trotzdem: Der kleine, wild gewachsene Garten [1][im
Neuköllner Ortsteil Rixdorf], mitten in der Stadt, lädt zum Verweilen ein.
„Wenn ich das Tor offen habe, kommen immer neugierige Besucher:innen“,
erzählt die Gartenbesitzerin Zwick. Vor vier Jahren haben die 70-Jährige
und ihre Familie hier den Verein „Silent Rixdorf“ ins Leben gerufen. „Ich
mag es, mit den Menschen in Kontakt zu kommen“, sagt Zwick. Schon früher
habe sie die Nachbar:innen öfters in den Garten eingeladen, etwa zur
Walnussernte.
Nun, in der Rente, wo es mehr Zeit gibt, ist ihr Garten ein Begegnungsort
für Nachbar:innen und Interessierte aus dem Kiez geworden. Im Garten
werden regelmäßig Konzerte, Filmabende und Workshops veranstaltet.
Um auf das Projekt aufmerksam zu machen, hat Zwick länger d[2][ie
Onlineplattform Nebenan.de] genutzt, auf der Nachbar:innen miteinander
in Kontakt treten können. Doch seit Juli hat Zwick das Portal verlassen.
Sie sei „frustriert“, sagt sie. Der Grund: Nebenan.de sei inzwischen nicht
so sozial, wie es vorgebe.
## Unternehmen sollen zahlen
Gegründet wurde Nebenan.de im Jahr 2015 vom Berliner Start-up Good Hood
GmbH, als Plattform, auf der Privatpersonen „teilen, tauschen, helfen,
verschenken, verleihen“ und sich „verabreden“ können, wie das Unternehmen
wirbt. Doch seit September 2020 gehört das Start-up zu 61 Prozent dem
Medienkonzern Hubert Burda Media. Rund 3,6 Millionen Menschen nutzen die
Plattform inzwischen. Die Plattform finanziert sich über drei Säulen: durch
freiwillige Spenden von Nutzer:innen, über kostenpflichtige sogenannte
Gewerbeprofile, sowie über Werbung.
Es ist die Sache mit den Gewerbeprofilen, die Gartenbesitzerin Zwick
Probleme bereitet. Lange habe sie Nebenan.de als Privatperson genutzt und
gepostet, wenn sie etwas zu verschenken gehabt habe, erzählt Zwick. „Das
hat gut funktioniert.“ Doch als Zwick über ihr Profil auf das
Honigerntefest von Silent Rixdorf aufmerksam machte, für das der Verein
etwa einen Euro Eintrittsempfehlung zur Kostendeckung vorsah, löschte
Nebenan.de den Beitrag. Der Grund: Zwick verfolge eine „Gewinnabsicht“,
wofür eben die Gewerbeprofile vorgesehen seien.
Hintergrund ist eine Richtlinie des Netzwerks. Privatpersonen dürfen „nur
Leistungen anbieten, die den nachbarschaftlichen und privaten Austausch
fördern und bei denen kein finanzieller Hintergedanke im Vordergrund
steht“, heißt es. Bei Missachtung werde der Beitrag ohne Vorwarnung
gelöscht. Die Gewerbeprofile sind indes nicht nur für lokale Unternehmen
vorgesehen, sondern auch für gemeinnützige Organisationen.
Wählen lässt sich zwischen unterschiedlichen Paketen: einem Basis-, Plus-
und Profipaket, die sich etwa in der Anzahl der Werbebeiträge und der
erzielten Reichweite der Beiträge unterscheiden. Ein Basispaket kostet im
Jahrestarif 240 Euro, das Pluspaket 396 Euro und das Profipaket mehr als
das Doppelte: 996 Euro.
## Kostenlos kaum sichtbar
Zwar gibt es auch eine kostenlose Version für Gewerbetreibende und
Organisationen. Diese habe aber eine „schlechte Sichtbarkeit“, kritisiert
Zwick. Nur wenn die Nutzer:innen sie „aktiv suchen“, würden sie
überhaupt gefunden werden. „Das bringt uns als Verein überhaupt nichts,
wenn uns niemand kennt“, sagt Zwick. Also schloss Zwick ein Basispaket ab.
Doch nach einem Jahr habe für sie festgestanden: Die Kosten decken sich
nicht.
Also habe sie wieder über ihr privates Profil gepostet, diesmal nur über
kostenlose Aktionen wie Foodsharing informiert. Doch wieder löschte
Nebenan.de ihren Post. Diesmal wegen sogenannter Wiederholungsabsicht. Denn
für Beiträge, die innerhalb eines halben Jahres mehr als dreimal geteilt
würden, benötigen Nutzer:innen ebenfalls ein Gewerbeprofil.
„Ich habe mir gedacht, das kann doch nicht ihr Ernst sein“, sagt Zwick.
Inzwischen ist die Gartenbesitzerin überzeugt davon, dass sich die
Plattform mit einem „sozialen Mäntelchen nach außen schmückt“, eigentlich
aber „knallharte Gewinnabsichten“ verfolge – weil sie eben versuche, die
Nutzer:innen in ein Bezahlprofil zu drängen.
Der Geschäftsführer von Nebenan.de, Philipp Witzmann, sagte zur taz, er
höre solche Kritik nicht zum ersten Mal. Das Unternehmen sei gerade dabei,
Feedback der gemeinnützigen Organisationen einzuholen. „Wir möchten in
diesem Quartal herausfinden, wie ein für sie optimiertes Produkt aussehen
müsste, das ihnen eine einfache und effektive Möglichkeit bietet, über ihre
Veranstaltungen und Angebote zu informieren“, sagt der Geschäftsführer.
Basierend auf diesen Ergebnissen werde entschieden, inwiefern „wir das
bisher angebotene Produkt dediziert weiterentwickeln“.
## Ausweichen auf andere Plattformen
Doch Zwick ist mit ihrer Kritik nicht alleine. Auch Annika Gläser, die als
Yogalehrerin und Sanftheitsmentorin Bezahlkurse auf Nebenan.de anbietet,
verbringt auf der Plattform nicht mehr so gerne Zeit wie früher. „Ich
bekomme immer mehr Werbung angezeigt, aber kaum noch von den kleinen
lokalen Gewerben“, sagt sie. Zudem hat sie den Eindruck, dass sie Anzeigen
„kaufen muss“, damit ihre Dienstleistungen gesehen werden. Auch das Profil
werde teurer. Doch für sie fühle „es sich so an, als wäre das, was ich
dafür bekomme, schlechter“, sagt Gläser. Nun überlege sie, die Plattform zu
verlassen. „Ich weiß nicht, ob ich mir die Tarife weiterhin leisten kann,
ich kenne aber auch keine Alternative.“
Auf taz-Nachfrage schreibt das Unternehmen, der Anspruch von Nebenan.de sei
es, sich „stetig weiterzuentwickeln“, um den Bedürfnissen „unserer
Nutzer:innen bestmöglich gerecht zu werden“.
Für Gartenbesitzerin Zwick kommt jedes Besserungsgelöbnis zu spät. Sie hat
die Plattform inzwischen verlassen. „Ich verstehe, dass sich die Plattform
finanzieren muss“, sagt sie. Aber: „Gewerbe und gemeinnützige
Organisationen werden einfach in einen Topf geworfen.“ Für ihren Garten sei
das schade – weil dieser doch eigentlich genau so ein Angebot anbiete, für
das die Plattform stehe.
Auch an diesem Spätnachmittag komme noch ein Chor aus der Nachbarschaft
vorbei, erzählt Zwick. Neulich sei eine Grundschulklasse in den Garten
gekommen, um über Insekten zu lernen. „Da waren Kinder dabei, die das erste
Mal gesehen haben, dass ein Huhn auf einem Ei sitzt.“ Oder wie eine Biene
trinkt. Als die Hühner in den Garten zogen, habe es im Garten auf Vorschlag
einer Besucherin ein „Hühnerwillkommensfest“ gegeben. Zusammen habe man
Eierlauf gemacht, „Fuchs, du hast das Huhn gestohlen“ gesungen, und wer
wollte, konnte sich als Huhn schminken lassen.
Über die Veranstaltungen informiert Zwick nun auf anderen
Social-Media-Kanälen, sowie auf der eigenen Website. Aber: „Auf Nebenan.de
hätte ich 16.000 potenzielle Interessent:innen“, sagt sie. Nun sei es
schwieriger, die Menschen zu erreichen, die den Garten nicht kennen. Ihre
Forderung: „Ich wünsche mir, dass Nebenan.de andere Formen anbietet, damit
gemeinnützige Vereine ihre Projekte unabhängig von den eigenen Finanzen
bewerben können“, sagt Zwick. Mal sehen, was das Unternehmen liefert.
29 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Johanna Weinz
## TAGS
Social Media
Nachbarschaft
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Nachbarschaft
Kiezblock
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
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