Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vulkanwarnung in Japan: Krise kann auch geil sein
> Die japanische Regierung warnt per KI-generiertem Video vor einem
> Monstervulkanausbruch. Tut sie damit der Bevölkerung etwas Gutes oder
> sich selbst?
Bild: Noch alles ruhig: Fuji am 30. April 2025
Ein schriller Alarmton heult direkt aus den Lautsprechern des Smartphones,
kurz darauf wackeln die Schränke, zittern die Fenster, vielleicht 30
Sekunden lang. Zum Glück folgt ein Erdbeben in Japan häufig derselben
Chronologie: Alarm – was passiert gerade? –, schon vorbei?
Die Locals kennen dieses Prozedere gut. Denn der Regierung sind sinnvolle
Maßnahmen, um ihre Bevölkerung vorzubereiten, nicht fremd. Jetzt jedoch
veröffentlicht sie eine bizarre Warnung: Ein [1][KI-generiertes Video]
zeigt Tokio im Ascheregen nach einem Ausbruch des höchsten Vulkans
Fuji-san. Die Botschaft ist klar: Der Ernstfall lauert euch auf, mit oder
ohne Vorwarnung.
Diese Vorgehensweise seitens der Regierung ist fragwürdig. Einen konkreten
Anlass, dass der Fuji, dessen letzte Eruption 318 Jahren her ist, kurz vor
einem Ausbruch steht, nennen die Behörden nicht. Zugleich reiht die
Magma-Angst sich gut in eine Stimmung ein, die die japanische Regierung
schon lange erzeugt. Die Behörden warnen seit Jahren vor einem Megabeben,
das die Stärke 9 übersteigen könnte. Zum Vergleich: Dem Tsunami von 2011,
der das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi traf, ging ein Beben der Stärke 9.1
voraus.
Es ist zunächst nachvollziehbar und wünschenswert, dass die Regierung eines
Landes ihre Bevölkerung auf Naturkatastrophen vorbereitet. Irre wird es
jedoch, wenn die Vorhersage sich eher wie ein Märchen in die Köpfe der
Menschen einbrennt denn als eine belastbare Zukunftsaussicht. Unstrittig
ist die Vermutung eines Megabebens nämlich nicht, zahlreiche
Seismolog*innen [2][widersprechen der Einschätzung] sogar. An einer
Aufrechterhaltung des Krisenszenarios dürfte die Regierung dennoch
interessiert sein, weil sie davon am meisten profitiert.
## Krise in Form von flutendem Magma
Dass Krise, zynisch gesprochen, auch geil sein kann, trifft nämlich
besonders dann auf Staaten zu, wenn sie ihre Autorität dadurch in der
Bevölkerung verankern können. Walter Benjamin [3][erkannte dieses Muster
bereits]: Politische Systeme rufen ständig den Ausnahmezustand aus und
festigen damit ihre Macht, stets nach dem Motto, bleibt treu, glaubt an
unsere Maßnahmen, außer uns beschützt euch keiner. Parallelen lassen sich
im Vorgehen der japanischen Regierung beobachten. Wer die Krise in Form von
flutendem Magma heraufbeschwört, gilt noch im selben Atemzug als letzte
Hoffnung auf Rettung. Auch jene Denker*innen, die von einem demokratischen
Gefüge nichts halten, erkennen die Kraft dieses Mechanismus.
Nazi-Jurist [4][Carl Schmitt] schrieb im 20. Jahrhundert etwa: „Souverän
ist, wer über den Ausnahmefall entscheidet.“ Demokratische Aushandlung ist
dem Autokraten zu blöd: Entscheidend ist, dass einer vorangeht und den Ton
angibt. Und was eignet sich besser, um die Führung ohne Diskussion zu
legitimieren, als eine Krise? Parallelen zu diesem Ansatz lassen sich auch
in Japan nicht leugnen. Der Staat erzeugt Krisen nicht nur, er macht sie
auch für sich nutzbar.
Klingt übertrieben? Gibt aber Beispiele: Nach einem Erdbeben in mehreren
Städten im Januar 2024 kündigte die japanische Polizei an, die Zahl der
Überwachungskameras in den betroffenen Gebieten massiv zu erhöhen. Ob diese
dann ausschließlich bei Erdbeben genutzt werden, ist zumindest fraglich.
Wie man das absurde Ausmaß der Überwachung ohne Erdbeben gerechtfertigt
hätte, bleibt unklar.
Das Problem mit Japans KI-Warnung ist nicht die Intervention zur Sicherheit
der Bürger*innen. Wenn apokalyptische Szenarien jedoch nicht auf einen
Anlass folgen, verwandelt Vorsorge sich in Machtdemonstration. Und es
bleibt die Frage: Wo hört Prävention auf, wo beginnt reine Inszenierung?
Letztere steht vor allem für eines: Sie stabilisiert die Macht des Staates.
28 Aug 2025
## LINKS
[1] https://edition.cnn.com/2025/08/27/asia/japan-ai-video-mount-fuji-eruption-…
[2] https://edition.cnn.com/2024/08/12/asia/japan-nankai-trough-earthquake-intl…
[3] https://criticaltheoryconsortium.org/wp-content/uploads/2018/05/Walter-Benj…
[4] /Donald-Trump-gegen-den-Rechtsstaat/!6066964
## AUTOREN
Wlada Froschgeiser
## TAGS
Japan
Naturkatastrophe
Krise
Social-Auswahl
Reden wir darüber
Japan
Griechenland
Tonga
Japan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Regierungskrise in Tokio: Japans Regierungschef Ishiba kündigt Rücktritt an
Japans Regierungspartei LDP verlor im Juli die Mehrheit im Parlament.
Seither war Partei- und Regierungschef Ishiba zunehmend Kritik ausgesetzt –
jetzt gibt er auf.
Erdbebensorge auf griechischer Insel: „Nur, wenn sie sagen, die Insel geht un…
Seit Ende Januar bebt die griechische Urlaubsinsel Santorin. Die Angst vor
einem Megabeben hat viele Bewohner vertrieben. Andere wollen bleiben.
Vulkanausbruch vor Tonga: Tonga nun „Mondlandschaft“
Der Vulkanausbruch vor Tonga ist der weltweit stärkste seit 30 Jahren. Die
Hauptstadt Nuku'alofa liegt unter einer Ascheschicht begraben.
Vulkanausbruch in Japan: Kilometerhohe Aschewolken
Auf einer Insel im Südwesten Japans explodiert der Vulkan Shindake. Die
Bewohner sind zur Flucht aufgerufen. Weitere Eruptionen werden erwartet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.