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# taz.de -- Worüber die Medien nicht schreiben: Von der leisen Ahnung im laute…
> Alle schimpfen auf die Medien. Aber oft ist nicht eine fehlende
> Berichterstattung das Problem, sondern die zu kurze
> Aufmerksamkeitsspanne.
Bild: Wie man im August vergessen hat, wie das Wetter im Juni war, vergisst man…
Ach, wie schön ist gefühlte Wahrheit. Wenn man nur eine leise Ahnung von
irgendwas hat und die sich aber so super anfühlt, dass man einfach an ihrer
Seite bleibt, sich so richtig schön an sie anschmiegt. Bis irgendwer um die
Ecke kommt, mehr Ahnung hat, mit einem Fakt das schöne Gefühl kaputt macht
und einen zurück in die Realität katapultiert.
Aber was zählt schon noch das real life? Mit einer Ahnung kann man heute
einen globalen Tropensturm entfachen. Man muss die nur da hineinposaunen,
wo gefühlte Wahrheit mehr als die halbe Miete ist, in der Kanalisation des
Internet.
Es gibt eine Ahnung, die in diesen sozialen Abwassersystemen besonders
häufig anzutreffen ist: die Ahnung, dass DIE MEDIEN nicht berichten. Ob
[1][Aufstand in Serbien], [2][Brände in Griechenland,] dies oder das, was
im jeweils eigenen Wahrnehmungsraum grade so aufploppt – man empört sich
über mangelnde mediale Aufmerksamkeit. Und das nicht nur unter notorischen
Schwurblern, für die sowieso jeder Journalismus verdächtig ist, der nicht
bei allem und jedem [3][„Die Ausländer sind schuld“] sagt.
Sicher darf man sich wundern, welche Themen DIE MEDIEN zu Brennpunkten,
Talkshowaufregern, Titelseiten, Kommentarclustern und Onlineschwerpunkten
machen oder nicht.
## Was habe ich in der Zeitung gelesen?
Doch so wie man schon im August vergessen hat, wie das Wetter im Juni war
und ob man im April eine Erkältung hatte, vergisst man eben auch, was man
vor zwei Wochen in der Zeitung oder vor zwei Stunden im Internet gelesen
hat.
Ja, Medien unterliegen Trends, lassen sich von Bildern verführen,
wiederholen Fehler, können die Finger schwer still halten und zeigen
Ermüdungserscheinungen.
Aber in aller Regel ist die Empörung darüber, dass über irgendwas nicht
berichtet wird, unbegründet. Was eher stimmt, ist der Grad der
Aufgeregtheit, mit dem ein Thema behandelt wird.
In diesem Sommer ließe sich das sicher für das Thema Klimakatastrophe
feststellen. Der Sommer in Deutschland hatte hitzefrei. Die Nordeuropäer
erlebten einen Sommer, wie sie ihn bisher nur aus Südeuropa kannten. Die
Südeuropäer erlebten heftige Unwetter mit Hagel, Sturm- und Starkregen, wie
sie ihn noch nicht mal in Nordeuropa gesehen hatten. Und dennoch, eine
gewisse Gewöhnung an Extremwetter ist genauso eingetreten wie über die
Bombardierung ukrainischer Wohnhäuser. Auch in den Medien.
## Schuld sind immer die Medien
Man scheint sich aber auch daran gewöhnt zu haben, DIE MEDIEN anzuklagen
anstatt die Politik. Sind etwa DIE MEDIEN Schuld daran, dass der
UN-Plastikdeal geplatzt ist? Sind DIE MEDIEN Schuld daran, dass die neue
Regierung mehr Geld für Gaskraftwerke und Agrardiesel und weniger für
erneuerbare Energien ausgibt?
Hat die Medienschelte aber wirklich auf allen Seiten zugenommen oder ist
das nur meine gefühlte Wahrheit? Wahr ist auf jeden Fall, dass früher mehr
Demo war. Hatte man vor dem Bau des Internets das Gefühl, zu diesem oder
jenem wird zu laut geschwiegen oder falsche Politik gemacht, ging man auf
die Straße und hoffte, damit in die Tagesschau zu kommen.
Heute reicht ein ausreichend aufgeregter Post und man kann sich der
Aufmerksamkeit in den Kanälen sicher sein.
Dass sich keine Millionen Menschen vor dem Brandenburger Tor finden, die
gegen die Klimapolitik der Regierung demonstrieren, daran jedenfalls sind
nicht DIE MEDIEN schuld, sondern höchstens der Eindruck, dass es sich eh
nicht lohnt.
Eine Gewöhnung an die Überzeugung, dass die Politik ja sowieso nichts
macht, ist allerdings wenig gut. Damit macht man es sich ähnlich bequem wie
mit der Anlehnung an die leise Ahnung, die man sich nicht durch Fakten
kaputt lassen machen will.
23 Aug 2025
## LINKS
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[3] /Schwerpunkt-Rassismus/!t5357160
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
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