| # taz.de -- Die Wahrheit: Mutti ist ein Goldstück | |
| > Anruf eines angeschlagenen Finanzberaters. Das | |
| > Super-Top-Spitzen-Offer-Angebot unter bitteren Tränen der Erkenntnis, | |
| > dass die Branche am Arsch ist. | |
| Bild: Muttis Liebling scheffelt mit vollen Händen knallhart Gold | |
| Ein ganz normaler Tag in der Wahrheit-Redaktion. Die Agenturticker rattern | |
| vor sich hin. Die Russen bombardieren die Ukraine, die Israelis die Stadt | |
| Gaza. Da klingelt plötzlich das Telefon. | |
| Die Wahrheit. Ja, bitte? | |
| Guten Tag, Gebhardt. Von Gebhardt, King und Sandberg. Unser Business ist | |
| Ihr Gewinn. | |
| Herr Gebhardt! Das ist ja eine Freude! | |
| Äh, Sie kennen mich noch? | |
| Aber sicher, Herr Gebhardt. Wir telefonieren doch alle paar Jahre | |
| miteinander. Zuletzt hatten Sie mich aus Ihrem Flugzeug angerufen, als Sie | |
| nach dem Brexit aus London geflohen sind – wie alle Finanzmenschen. Ich | |
| erinnere mich genau an Ihren phänomenalen Werbeslogan: „Unser Business ist | |
| Ihr Gewinn.“ | |
| Das stimmt: Unser Business ist Ihr Gewinn. Aber das Flugzeug ist längst | |
| perdu. | |
| Was kann ich für Sie tun, Herr Gebhardt? | |
| Ähm, ich wollte eigentlich etwas für Sie tun – auf dem Finanzsektor. | |
| Aber da tut sich doch sowieso nichts seit Jahren. Das wissen Sie doch. | |
| Ähm … | |
| Da müssen Sie doch jetzt nicht gleich weinen. | |
| Ähm, doch. Dieses Scheißgeschäft ist langsam nicht mehr zum Aushalten. Nur | |
| die großen Haie machen noch Kohle. Aber wenn man allein ist … | |
| Allein? Was ist denn mit den Herren King und Sandberg in Ihrer Firma? | |
| Ach, die gibt’s schon lange nicht mehr. | |
| Ich habe ja immer vermutet, dass es sie überhaupt gar nicht gibt. | |
| Wissen Sie, das stimmt. Guido Gebhardt hört sich doch an wie irgendeine | |
| billige Versicherungsklitsche. Gebhardt, King und Sandberg – das klingt | |
| doch nach was. | |
| Und das Flugzeug? | |
| Ach, das war nur Ryanair. | |
| Dann sind Sie schon etwas abgestürzt, oder? Aber warum wechseln Sie nicht | |
| einfach die Branche? | |
| Das ist nicht so einfach. Aber was machen Sie eigentlich? Ist das lukrativ? | |
| Die Wahrheit tut weh, aber lukrativ ist sie nicht. | |
| Ja, ja, die Wahrheit. Sie erinnern mich an meine Mutter. Die sagt auch | |
| immer und überall die Wahrheit. | |
| Über Sie? | |
| Vor allem über mich. Da ist sie knallhart. | |
| Bei allem? | |
| Aber hallo! Wenn ich nur so hart wäre wie meine Mutter, dann … | |
| Wieso? Was sagt Sie denn so? | |
| Einmal hat sie versucht, mich aufzuklären … | |
| Das mit den Bienen und Blumen? | |
| Genau! Da fragte sie mich plötzlich, ob ich eigentlich schon mal mit einer | |
| Frau geschlafen hätte. | |
| Das ist sicher kein angenehmes Gespräch gewesen. Ist doch immer peinlich | |
| mit Eltern über Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll zu reden. | |
| Genau! Und ich druckste so rum und sagte schließlich: „Ja, einmal.“ Und sie | |
| fragte: „Und? Hat es Spaß gemacht?“ Ich druckste wieder rum und gab | |
| schließlich zu: „Jaaa.“ Da meinte sie nur: „Das musst du von deinem Vater | |
| haben.“ | |
| Herr Gebhardt! Das ist ja nicht schön. | |
| Sie sagen es. Und davon habe ich meinen Knacks weg. Deshalb bin ich im | |
| Finanzdienstleistungssektor gelandet. | |
| Vielleicht sollte Ihre Mutter das Geschäft übernehmen. | |
| Genau! Mutti ist schon ein Goldstück. Wo wir gerade dabei sind: Ich hätte | |
| da ein Super-Top-Spitzen-Offer-Angebot für edles Gold. So wird Ihr Traum | |
| vom finanziell unabhängigen Leben wahr. | |
| Herr Gebhardt, Sie sind ja goldig, aber keine Chance. | |
| Tja, dann ruf ich jetzt mal meine Mutter an. | |
| Grüßen Sie sie schön von mir. Und denken Sie immer daran: Business ist | |
| nicht alles. | |
| Das stimmt! So wahr ich Guido Gebhardt bin. Von Gebhardt, King und | |
| Sandberg. Unser Business ist Ihr Gewinn. | |
| 14 Sep 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Ringel | |
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