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# taz.de -- Bevölkerungsentwicklung in Berlin: Sag mir, wo die Kinder sind?
> Nach Jahrzehnten des Kitaplatzmangels sinkt die Kinderzahl in der
> Hauptstadt. Damit könnte die Betreuungsqualität deutlich verbessert
> werden.
Bild: Endlich wieder Platz zum Spielen: Kinder im Prenzlauer Berg
Berlin taz | Ewig lange Wartelisten, Anmeldung des Kindes am besten schon
ein Jahr vor der Geburt: [1][Die beschwerliche Suche nach einem Kitaplatz]
ist längst Teil der Berlin-Folklore. Doch das Klischee der verzweifelten
Eltern, die das Land verklagen, gehört mittlerweile der Vergangenheit an.
Denn seit einigen Jahren gehen die Geburtenraten zurück und es gibt
erstmals deutlich mehr Kitaplätze als Kinder. Was für Eltern erfreulich
ist, bereitet den Trägern Sorge. Dabei bietet der Kinderschwund die Chance,
die Qualität der Betreuung nachhaltig zu verbessern.
Auf den ersten Blick scheint die Entwicklung paradox. Berlins Bevölkerung
wächst, aber die Zahl der Kinder nimmt ab. Woran liegt das? Zum einen ist
da die Geburtenrate, die stetig sinkt. Im bundesweiten Vergleich ist sie in
Berlin mit 1,2 Kindern pro Frau sogar am niedrigsten. Dass die Stadt
trotzdem wächst, liegt am starken Zuzug. Besonders junge Menschen zieht es
in die Hauptstadt. Doch wenn sie älter werden, verlassen sie Berlin wieder.
„Viele junge Familien ziehen in den Speckgürtel von Großstädten“, sagt
Katharina Spieß, Direktorin des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.
Entscheidend für die Bevölkerungsbewegung ist auch die Verfügbarkeit von
günstigem Wohnraum. Und den gab es in der Vergangenheit vor allem im
Speckgürtel und den Ostbezirken außerhalb des S-Bahn-Rings. Genau diese
Gebiete weisen heute auch den höchsten Anteil an unter Sechsjährigen auf,
während es in den Innenstadtbezirken immer weniger Kleinkinder gibt. Die
[2][vielzitierten Prenzlauer-Berg-Eltern] bleiben also im Kiez, ihre Kinder
werden älter – aber eine neue Kohorte kommt nicht nach, da es so gut wie
keine freien Wohnungen gibt.
Trotz teils erheblicher Unterschiede werde die Kinderzahl in allen Bezirken
sinken, prognostiziert die Bevölkerungsforscherin Spieß: „Die Entwicklung
ist wenig überraschend“. Geburten, Sterbefälle, Zu- und Wegzüge, all diese
Faktoren ließen sich in einem gewissen Rahmen gut vorhersagen, erklärt sie.
Internationale Migrationsbewegungen, wie zuletzt infolge des russischen
Angriffs auf die Ukraine, sind es dagegen nicht, sie sorgen für
statistische Ausreißer.
## Gut für Eltern
Die Auswirkungen des demografischen Wandels machen sich zuerst am
Kitasystem bemerkbar. Nach Jahren des Mangels gibt es auf einmal einen
Überhang an Kitaplätzen. Viele Einrichtungen haben Schwierigkeiten,
genügend Anmeldungen für ihre Gruppen zu finden. Die Auslastungsquote der
Berliner Kitas lag im vergangenen Jahr bei nur 88,5 Prozent – ein
historisches Tief. Berlinweit gibt es derzeit 19.000 freie Kitaplätze.
Für Eltern ist die Entwicklung erfreulich. Lange Wartelisten sind, bis auf
Ausnahmen in Bezirken wie Lichtenberg oder Spandau, weitestgehend passé.
Zum ersten Mal seit Jahren können Eltern den Kitaplatz für ihr Kind auch
nach Lage und pädagogischem Konzept wählen, und nicht nur nach
Verfügbarkeit.
Doch die für die Kitaträger ist die Situation teilweise dramatisch. Kitas
werden in Berlin pro Kind finanziert, aber die Kosten für Miete,
Nebenkosten und Personal bleiben gleich – und große Rücklagen hat kaum ein
Träger.
„Innerstädtisch findet gerade eine massive Bereinigung statt“, sagt Lars
Békési, Geschäftsführer des Verbands der kleinen und mittelgroßen
Kitaträger in Berlin, „Viele Einrichtungen müssen schließen, einige Träger
gehen sogar insolvent“. Jahrelang seien pädagogische Fachkräfte
händeringend gesucht worden. Nun müssten Träger Personal entlassen, auch
Auszubildende könne teilweise keine Übernahmegarantie mehr gewährleistet
werden, berichtet Békési.
## Fachkräfte weiter knapp
Doch spätestens mit der Renteneintrittswelle der Baby-Boomer-Generation zum
Ende des Jahrzehnts wird sich der Fachkräftemangel wieder drastisch
verschärfen. Daher ist es wichtig, trotz zurückgehender Kinderzahlen
Erzieher:innen im Kitasystem zu halten. „Man darf weder Räume noch
Personal abbauen“, sagt Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin
der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Diesen Fehler habe die Stadt in den 1990er Jahren gemacht. Als die
Bevölkerungszahl dann wieder wuchs, mussten Kitaplätze erst mühsam wieder
aufgebaut werden.
Eine naheliegende Lösung, ist, den Betreuungsschlüssel zu verbessern. Mit
der Novelle des Kita-Fördergesetzes sollen ab nächstem Jahr im Bereich der
unter Dreijährigen eine Erzieherin vier statt fünf Kinder betreuen. Mit dem
Schritt verbleiben laut Angaben des Senats 180 von 270 Millionen Euro, die
aufgrund der zurückgehenden Kinderzahlen freiwerden, im Kitasystem.
Geht es nach den freien Trägern und der Linken, sollen auch die restlichen
90 Millionen zurückfließen. Sie sollen für eine weitere Verbesserung der
Betreuungsqualität verwendet werden, gerade auch bei den über Dreijährigen.
„Die Zahl der Kinder mit Problemen geht durch die Decke“, sagt
Träger-Vertreter Lars Békési. Der Anteil an Kindern mit Integrationsstatus
hat in den letzten Jahren stark zugenommen.
## Kitas vor dem Kollaps
Auch die Gewerkschaften fordern seit Jahren eine deutliche Verbesserung des
Betreuungsschlüssels, um die katastrophalen Arbeitsbedingungen in dem
Bereich zu verbessern. Bundesweit weisen Berliner Erzieher:innen laut
einer [3][Studie der Bertelsmann-Stiftung] aus dem Jahr 2024 mit 36
Krankheitstagen die höchsten Ausfallraten auf.
Der Durchschnitt in anderen Branchen beträgt rund 20 Tage. Die hohen
Krankenstände sorgen dafür, dass die selbst auf dem Papier ungenügenden
Betreuungsschlüssel ständig unterschritten werden, kritisiert die
Gewerkschaft Verdi.
Eine fachgerechte Kindbetreuung sei unter diesen Umständen kaum noch
möglich. Eine im Juli veröffentlichte [4][Umfrage unter Kita-Beschäftigten]
ergab, dass 98 Prozent aller Befragten das Gefühl haben, nicht den eigenen
Ansprüchen bei der Betreuung gerecht zu werden. Verdi spricht daher von
einem „Kita-Kollaps“.
## Eine Frage des Geldes
Die in der Streikbewegung im vergangenen Jahr vorgetragene Forderung der
Gewerkschaft watschte der Senat auch mit dem Argument ab, dass gar nicht
genügend Fachkräfte vorhanden seien, um den Betreuungsschlüssel merklich zu
verbessern. „Inzwischen haben wir eine ganz an der Situation. Die
Fachkräfte sind da“, widersprach Verdi-Expertin Ele Alsago bei der
Vorstellung der Umfrage im Juli.
Doch am Ende bleibt es eine Frage des Geldes, ob Berlin die Chance nutzt,
die Betreuungsqualität im Kitasystem nachhaltig zu verbessern – wie immer
in dieser Stadt. Als „bemerkenswerte Maßnahme“ bezeichnete etwa eine
Sprecherin der Bildungsverwaltung die erkämpfte Verbesserung des
Betreuungsschlüssels im U3-Bereich: „gerade unter den Bedingungen der
notwendigen und bereits bekannten berlinweiten Einsparmaßnahmen.“
20 Aug 2025
## LINKS
[1] /Mangel-an-Kitaplaetzen-in-Berlin/!5903170
[2] /Ode-an-Prenzlauer-Berg/!5802175
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/en/themen/aktuelle-meldungen/2024/augus…
[4] /Ueberlastete-Erzieherinnen/!6102050
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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