| # taz.de -- Wieder im Kino: Die große Unsicherheit | |
| > Der weiße Hai ist zurück. Und auch Anthony Hopkins ist erneut auf der | |
| > Leinwand zu sehen: „The Father“ erzählt, wie es sich anfühlt, mit Demenz | |
| > zu leben. | |
| Bild: Anthony Hopkins in „The Father“ (Regie: Florian Zeller, UK/FR 2020) | |
| Wenn es mit der Wohnungsnot in Berlin so weiter geht, werden wir bald wohl | |
| wieder Zustände haben wie in Ludwig Bergers Komödie „Ich bei Tag und Du bei | |
| Nacht“ (1932). Dort ist dasselbe Zimmer nachts an die Maniküre Grete (Käthe | |
| von Nagy) und tagsüber an den Aushilfskellner Hans (Willy Fritsch) | |
| vermietet. Ohne sich je gesehen zu haben, hassen sie die jeweils andere | |
| Person inbrünstig. Kein Wunder. | |
| Als sie sich jedoch eines Tages unerkannt begegnen, nimmt eine Liebes- und | |
| Verwechslungskomödie ihren Lauf. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise | |
| entstanden, kommentieren Film-im-Film- Ausschnitte aus einer Kinooperette | |
| mit einem in Prunk schwelgenden Liebespaar die eher kleinen Träume der | |
| Protagonisti:nnen von Wohlstand und Sicherheit. Dazu singen die | |
| Comedian Harmonists: „Alle Tage Sekt und Kaviar und ein Auto und ein | |
| Schloss sogar…“ (4.8., 17.30 Uhr, [1][Cosima]). | |
| 50 Jahre ist es mittlerweile her, seit Steven Spielberg mit seinem Thriller | |
| „Der weiße Hai“ den Kinozuschauer:innen nicht nur die sommerliche | |
| Badesaison vermieste, sondern angesichts eines für damalige Verhältnisse | |
| enormen Einspielergebnisses auch das Zeitalter des Blockbuster-Kinos | |
| einläutete. Im Rahmen der [2][„Best of Cinema“-Reihe] kommt der | |
| Jubiläumsfilm als Tages-Event am 5.8. noch einmal ins Kino – und es lohnt | |
| immer noch. Auch wenn beim Wiedersehen auffällt, dass sich die erste Hälfte | |
| – mit einem äußerst dämlichen Bürgermeister, der trotz wiederholter | |
| Haiattacken die Strände eines Badeortes einfach nicht schließen lassen will | |
| – etwas zäh gestaltet. | |
| Die Haiangriffe selbst sind allerdings immer spannend inszeniert, und wenn | |
| der Polizeichef (Roy Scheider), ein Meeresbiologe (Richard Dreyfus) und ein | |
| bärbeißiger Fischer (Robert Shaw) erst einmal aufs Meer hinausfahren, um | |
| gemeinsam auf die Jagd zu gehen, dann überwiegt sowieso der Spaß an der | |
| Interaktion dieses merkwürdigen Trios. Ganz abgesehen davon, dass der Film | |
| perfekt mit den menschlichen Urängsten vor den möglicherweise in den Tiefen | |
| der Ozeane lauernden Gefahren spielt (5.8., diverse Kinos, diverse | |
| Uhrzeiten). | |
| ## Väter und Töchter | |
| Zweimal hat der heute 87-jährige Sir Anthony Hopkins einen Oscar gewonnen: | |
| für seine Darstellung eines Psychopathen in „Das Schweigen der Lämmer“ | |
| (1991) und – erst relativ kürzlich – für den an Demenz erkrankten Pension… | |
| Anthony in „The Father“, den der aus Frankreich stammende Autor und | |
| Regisseur Florian Zeller 2020 inszenierte. Mann mit Handicap ist zweifellos | |
| eine sehr typische Oscar-Rolle, und Hopkins lässt sich wohl auch als | |
| typischer Oscar-Schauspieler bezeichnen. Einer, der nie komplett in seiner | |
| Rolle aufgeht, sondern immer ein wenig daneben steht und zu sagen scheint: | |
| Schaut her, wie brillant ich bin. Wer das schätzt, den erfreut zweifellos | |
| die 14 Filme umfassende Werkschau mit Hopkins-Filmen, die das Babylon Mitte | |
| bis zum 13. August zeigt. | |
| „The Father“ ist einer von Hopkins' besten Filmen, weil er überhaupt einer | |
| der besten Filme über Demenz ist: Hier werden die Verleugnung, die | |
| Irritation und die Ängste spürbar, die für die Betroffenen mit ihrem | |
| Krankheitsbild einhergehen. Das geschieht nicht durch einen Blick von außen | |
| auf einen Erkrankten, sondern indem der Film konsequent dessen Blickwinkel | |
| übernimmt. | |
| So erlebt man direkt mit, wie in Anthonys Leben kaum noch etwas dem | |
| Anspruch einer überprüfbaren Realität standhält: Hat seine Tochter Anne nur | |
| Anthonys Bestes im Sinn oder will sie ihn lediglich loswerden – womöglich | |
| in ein Pflegeheim? Ist Anne überhaupt Anne? Ist die neue Pflegerin, die ihn | |
| an seine andere Tochter Laura erinnert, überhaupt eine Pflegerin? Und was | |
| machen ständig all die fremden Menschen in seiner Wohnung? „The Father“ | |
| überträgt diese elementare Unsicherheit auf die Zuschauer:innen und | |
| funktioniert wie ein ständig irritierender Psychothriller (31.7., 18 Uhr, | |
| [3][Babylon Mitte]). | |
| Nur nicht verwirren lassen: Quentin Dupieux' Komödie „Le deuxième acte“ | |
| handelt nicht nur davon, dass Florence (Léa Seydoux) ihrem Vater ihren | |
| Freund David vorstellen will, der sie seinerseits mit seinem Kumpel Willy | |
| verbandeln möchte. Nein, die Figuren [4][in diesem Film] treten auch aus | |
| ihren Rollen heraus und dekonstruieren das gleich ganze Genre der | |
| romantischen Komödie. Typisch Dupieux! (Berlin-Premiere (einmaliges | |
| Screening): 1.8., 20 Uhr, [5][fsk-Kino am Oranienplatz], mit Einführung auf | |
| Englisch von Gerrit Woltemath, Vorstand TEDDY Award). | |
| 31 Jul 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.cosima-filmtheater.de/ | |
| [2] https://www.bestofcinema.de/ | |
| [3] https://babylonberlin.eu/programm/26-festivals/8878-anthony-hopkins | |
| [4] /Eroeffnung-der-Filmfestspiele-Cannes-2024/!6007764 | |
| [5] https://fsk-kino.peripherfilm.de/events/event/le-deuxieme-acte/ | |
| ## AUTOREN | |
| Lars Penning | |
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| Anthony Hopkins verfilmt. Erzählt wird aus der Sicht des Erkrankten. |