# taz.de -- Sicherheitstraining an der Ostseeküste: Eine Angel gegen die Panik | |
> Feuer bekämpfen, Kälteschock kurieren: Um auf einem Hubschiff zu | |
> arbeiten, absolviert unsere Autorin ein abenteuerliches Training an der | |
> Ostseeküste. | |
Bild: Teile des Teams vom IODP3-Programm erreichen das Hubschiff „L/B Robert�… | |
Rostock taz | Kennt jemand den Seehundmann? Natürlich nicht, zu lange her. | |
Also: 1984, im März, lief in Island ein kleiner [1][Fischtrawler] aus und | |
kenterte. Zwei der fünf Fischer starben sofort, zwei kurz darauf auch. Der | |
Fünfte zog die nassen Sachen aus und schwamm mehrere Stunden durch das 5 | |
Grad kalte Wasser. Dann wollte er an Land, aber weil die Küste so steil | |
war, schwamm er weiter, ging dann an Land und klopfte an eine Tür. Die | |
hatten dann einen nackten Fischer vor der Nase. Und ein menschliches | |
Wunder. | |
In fünf Grad kaltem Wasser überlebt man vielleicht 30 Minuten, aber nicht | |
Stunden. Also wurde „Laugi“ Fridthorsson medizinisch untersucht, und siehe | |
da: Laugi hat unter der Haut eine ungewöhnlich dicke Fettschicht. Auch | |
deswegen hat der Fischer überlebt. Voilà, der Seehundmann. | |
Ich habe diese Fettschicht nicht. Also muss ich beim Bosiet-Training | |
lernen, wie man mit Unterkühlung umgeht. Bosiet heißt „Basic Offshore | |
Safety Induction and Emergency Training“. Achim, der Trainer, erklärt: | |
Leicht unterkühlte Menschen zittern, schwer Unterkühlte nicht mehr, und die | |
ganz schwer Unterkühlten sind kaum zu retten. Schwer Unterkühlte soll man | |
nicht schnell aufwärmen, dann fließt kaltes Blut ins Herz – der sogenannte | |
Bergungstod. Achim kennt Anekdoten, wie doch jemand überlebt, wie der | |
Seehundmann. Ein solches Bosiet-Training müssen alle machen, die auf | |
[2][Offshore-Windkraftanlagen] arbeiten, oder auf Gas- und Ölplattformen. | |
Und ich. | |
Weil ich ein besonderes Ziel habe: Ich darf ein paar Tage auf ein | |
Forschungsschiff, auf dem Atlantik, einige Dutzend Kilometer vor | |
Boston/USA. Ich gehe nicht auf die „Polarstern“, nicht auf die „Sonne“, | |
nicht auf die „Meteor“ – diese prominenten Forschungsschiffe sind | |
wochenlang unterwegs – die Zeit habe ich nicht. Also fahre ich auf die „L/B | |
Robert“. Das ist kein Forschungsschiff, sondern eine Mischung aus Schiff | |
und Plattform, ein Hubschiff, das sich auf dem Meeresboden verankern kann. | |
So was braucht man für Ölbohrungen, Windkraftanlagen – und für | |
Forschungsbohrungen. | |
Hier, an Neuenglands Küste, gibt es im Meeresboden ein Süßwasservorkommen. | |
Dieses Süßwasser ist noch nie untersucht worden, niemand weiß, wie alt es | |
ist, wie es entstanden ist, in welcher Verbindung es zu Vorkommen an Land | |
steht – man weiß nur seit Langem, dass es da ist. Mit der Expedition sollen | |
erste Daten gefunden werden: Nach 20 Jahren Planung, drei Jahren | |
Vorbereitung, mit viel Geld, ziehen Forscherinnen und Forscher aus 13 | |
Ländern hier Bohrkerne und Wasser aus dem Boden. | |
## Seediensttauglichkeitsprüfung | |
Es geht um Grundlagen, nicht um Nutzbarkeit, und gesammelt wird mit großer | |
Umsicht – nichts bleibt zurück, schreiben die Forschenden. Die wenige | |
Zentimeter schmalen Brunnen, die gebohrt werden, werden wieder | |
zusammenfallen. Und weil die „L/B Robert“ meist steht und nicht fährt, | |
kommt alle paar Tage ein Schiff mit Leuten und Material hin, deshalb kann | |
ich mit. Und bin ein Teil der Expedition 501 des Tiefseebohrprogramms | |
IODP3. | |
Als ich zusagte, stellte ich mir vor: einlesen, hinfahren, Forschung | |
gucken, zurück nach Deutschland. Dass allein der Visa-Antrag einen | |
kompletten Tag dauert, weil die USA zwar viel können, aber keine stabile | |
Webseite für Visa-Anträge bauen, weswegen sie alle halbe Minute abstürzt, | |
und allerlei Papierchen herbeigeschafft werden müssen, die bezeugen, dass | |
ich einen guten Grund habe, in die USA zu reisen und auch wieder raus: | |
geschenkt. Aber zu dem Tag kommt noch die Seediensttauglichkeitsprüfung. | |
Und zwei Tage Bosiet. | |
Die Seediensttauglichkeitsprüfung geht schnell, ein Arzt checkt mich durch. | |
Ob ich ohne Brille noch sehen kann, wo das Boot und wo der Ozean ist. Ob | |
ich einen Bauchnabelbruch habe. Bauchnabelbrüche haben Männer oft, sagt er. | |
Ich nicht. Ob ich sonst Probleme habe. Dann bitte unterschreiben, da wo | |
steht: Unterschrift des [3][Seefahrers]. Ich bin jetzt staatlich | |
zertifizierter Seefahrer, Gendern hat in Deutschland noch weiße Flecken. | |
Warum das alles? Weil da draußen, offshore, niemand ist. Wenn ich auf der | |
Plattform bin, mit den Forscherinnen und Forschern, mit der Crew, dann ist | |
da außer uns nichts. Wir sind allein. Keine Feuerwehr, kein Rettungsdienst, | |
keine Hilfe. Niemand. Nur das Meer mit einem Horizont, der flacher ist als | |
Brandenburg. Alles muss man selber machen, für sich und für die anderen. | |
Helfen, löschen, retten. | |
Deswegen bringt Achim, früher Maurer, heute Trainer, uns alles Notwendige | |
bei. Achim arbeitet seit ein paar Jahren bei der Industrial Safety Company | |
in Rostock, direkt am Fischereihafen – aus gutem Grund. Es geht nicht nur | |
um Theorie, sondern auch um Praxis – im Wasser. | |
Aber vor der Wasserpraxis wird gelernt. Unterkühlung. Schutzausrüstung. | |
Feuer löschen. Rettungsring. Wozu wirft man einen Rettungsring? fragt | |
Achim. Damit sich der im Wasser Treibende rettet, oder, Achim? | |
Falsch. Mag sein, dass er oder sie den Ring erreicht, aber die Realität | |
sieht so aus: Mensch fällt von Bord – und das Schiff tuckert weiter. Der | |
Rettungsring wird also einige Meter entfernt sein, oft zu weit. Warum wirft | |
man ihn trotzdem? Weil man ihn besser sieht als so ein Menschenköpfchen. | |
Weil man dann die Richtung hat, wo das Menschlein schwimmt. Und weil der im | |
Wasser zappelnde Mensch den Wurf sieht und denkt: Zum Glück, die haben mich | |
gesehen. | |
So geht es den ganzen Tag. Achim fragt, wir haben keine Ahnung. Warum darf | |
man Menschen mit Seekrankheit nicht alleine lassen? Weil sie suizidal sind, | |
so schlimm kann Seekrankheit sein. Warum gibt es auf Rettungsinseln keine | |
Spielkarten mehr, aber dafür eine Angel? Weil bei der Enge und Panik | |
Spieler mit Karten auf seltsame Ideen gekommen sind, wer jetzt Glück hat | |
und wer nicht. Und weil die Angel nervöse Mitreisende beruhigt. | |
## Feuerlöscher zwischen „Möbeln“ suchen | |
Am zweiten Tag kommt vor dem Wasser das Feuer: Der Brandcontainer ist da. | |
Zwei große blaue Container hintereinander und einer oben drauf, drinnen ein | |
paar Metallkonstruktionen, „Möbel“, nennt Achim die. Wir sollen da rein, | |
vier Leute, es wird eng, stockduster und ist mit Diskorauch vernebelt. Wir | |
sollen drei Feuerlöscher zwischen den „Möbeln“ suchen, die hat Achim | |
versteckt, und dann einen winzigen Ausstieg finden. Nicht panisch werden! | |
Meine Lösung: Axel. Axel ist Fotograf auf Plattformen und Schiffen und | |
macht alle vier Jahre eine kurze Wiederholung des Trainings, das ist | |
vorgeschrieben. Ein lukratives Geschäft, mich kostet das Training 1.000 | |
Euro, Refresher wie er zahlen rund die Hälfte. Axel kennt sich in den | |
Containern aus, das merkt man, wir drei halten uns alle an ihn, und vor | |
allem: an ihm fest, in einer Kette. Wir tasten uns durch die dunklen | |
Container, ich finde einen der Feuerlöscher und bin stolz. Auf der „L/B | |
Robert“ stehen viele Container mit Laboren. | |
Sicherheit ist neben Forschung das Wichtigste bei der Expedition 501. Es | |
ist nicht viel Platz, das erfordert Disziplin. Immerhin sind es rund 50 | |
Menschen, die hier in zwei Schichten, von 12 bis 24 Uhr und von 24 bis 12 | |
Uhr, arbeiten, schlafen, essen, duschen und manchmal feiern. Steht alles im | |
[4][Expeditionsblog], und den Daily Reports. Es sieht toll aus. Bisher ist | |
nichts passiert. | |
Nach der Feuerlöschersuche dürfen wir löschen, mit Feuerlöscher und mit | |
Wasser. Achim öffnet die Türen des Containers, dann brennen die „Möbel“, | |
weil Achim das Feuer an- und ausschalten kann, und wir löschen wie | |
verrückt, Probestoß, löschen, und wenn es fiept, ist der Feuerlöscher alle. | |
Beim Wasserschlauch – ein richtiger Feuerwehrschlauch, nicht so eine | |
Gartennudel – treibt der Druck heftig nach hinten, deswegen steht hinter | |
mir jemand und hält gegen. Ich ahne, warum eine Million Menschen in | |
Deutschland bei der Freiwilligen Feuerwehr sind. | |
## Der „boat transfer“ | |
Bevor es ins Wasser geht, kommt meine Lieblingsaufgabe: senkrecht zehn | |
Meter eine Leiter runter auf ein Boot und wieder hoch. Schließlich muss man | |
ja irgendwie üben, wie man vom Zubringer auf ein Boot wechselt, „boat | |
transfer“. Wobei das bei der „L/B Robert“ – die ja auf Stelzen steht – | |
anders ist: Wenn das Versorgungsboot anlegt, besteigen die Neuen einen | |
„Billy Pugh Basket“ – ein an den Seiten offenes Gestell – das an einem … | |
mit dem Kran hochgezogen wird. | |
Und das mit meiner latenten Höhenangst. Auf der Leiter kann ich plötzlich | |
nicht weiterklettern und erstarre, als wenn es helfen würde, sich nicht zu | |
bewegen. | |
Noch zwei Meter, sagt jemand oben, und ich steige doch hoch. Zum Glück | |
wurde die Anreise mit Helikopter gestrichen, denn dann hätte ich noch ein | |
Huet machen müssen, ein „Helicopter Underwater Escape Training“ – man | |
rettet sich aus einer im Wasser versinkenden Hubschrauberkapsel. Mir blieb | |
schon bei der Vorstellung die Luft weg. | |
Mittlerweile ist es Mittag und warm, und als wir die orangenen Tauchanzüge | |
anziehen, die Achim zärtlich Teletubbie-Anzüge nennt, ist uns noch wärmer. | |
Die Aussicht, gleich über Bord zu gehen, ist erfrischend. Kurz darauf | |
retten wir erst mal Axel aus dem Wasser, mit einem Jasons Cradle, einer | |
Spezialmatte, dann lassen sich alle von Bord in die Warnow fallen, und wir | |
stellen fest: Mit diesen Anzügen kann man nicht vorwärts schwimmen, sondern | |
nur auf dem Rücken. Wir bilden vorbildlich den Teppich, den Kreis, die | |
Kette und strampeln – denn man soll im Notfall immer schön zusammenbleiben, | |
damit wir gesehen werden. | |
Und im Ernstfall hoffen, dass der Kanal 16 funktioniert. Kanal 16 ist der | |
internationale Notrufkanal der Schifffahrt, jedes Schiff muss diesen Kanal | |
abhören und Hilfe leisten. | |
Dann ist es schon vorbei, das Bosiet-Training. Ich bekomme mein Zertifikat | |
und darf jetzt auf Kreuzfahrtschiffen oder Plattformen arbeiten, bin aber | |
laut Stellenanzeigen zu alt. Aber auf die Plattform, das geht. „L/B | |
Robert“, ich komme. | |
22 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Maike Rademaker | |
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