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# taz.de -- Die Wahrheit: Chez moi im Verwechslungskabarett
> Wer quasi Hauptdarsteller und zugleich einziger Zuschauer ist in seiner
> Performance auf dieser unserer Welt, der sucht notgedrungen schnell das
> Weite.
Neulich in der Fußgängerzone: Ich tippte gerade etwas in mein Smartphone,
als mir unvermittelt ein älterer Herr von hinten mit Brachialgewalt auf die
Schulter schlug und mit ehrlicher Freude ausrief: „Mensch, Rainer! Das ist
ja eine Überraschung! Du hier? Wer hätte das gedacht?“ Ich stutzte kurz,
dann fiel mir ein, dass ich ja gar nicht Rainer heiße.
„Sie müssen mich verwechseln, mein Herr“, sagte ich, doch er ließ sich
nicht beirren. „Immer noch der alte Scherzkeks, haha“, rief er laut und
lachte scheppernd. „Der Rainer! Unfassbar! Dass ich das noch erleben
durfte!“ Schleunigst suchte ich das Weite.
Offenbar habe ich ein Allerweltsgesicht, denn Begegnungen wie die eben
erwähnte sind mir durchaus nicht fremd. Höchst peinlich beispielsweise
wurde es unlängst im Supermarkt an der Kasse, als eine hinter mir stehende
mittelalte Dame plötzlich mit Schimpfwörtern um sich warf – und zwar
ausschließlich in meine Richtung.
„Was denkst du Schuft dir eigentlich dabei?“, brüllte sie mich unvermittelt
an. „Wie bitte?“, murmelte ich leise und in der Hoffnung, dass keiner der
anderen Kunden womöglich glauben würde, ich sei ein Bekannter dieser
schrecklichen und irgendwie angsteinflößenden Person.
„Du verfolgst mich seit Tagen“, plärrte sie. „Jetzt sogar hierher. In
meinen Supermarkt!“ Die anderen Kunden grinsten entweder oder schauten
betreten zur Seite. „Ich kenne diese Frau nicht“, beteuerte ich
wahrheitsgemäß, doch ich sah nur in ungläubige und entsetzte Gesichter. Was
für eine Schmach! Ich werde künftig wohl woanders einkaufen müssen.
## Mein Allerweltsgesicht ist meine Allzweckwaffe
Mein Alltag ist eine Aneinanderreihung von „Du bist doch …“ und „Bist du
nicht …?“. Jedermann erkennt mich jederzeit, obwohl er oder sie mich
eigentlich für einen ganz anderen hält. Mittlerweile rede ich mir ein, so
etwas wie ein unauffälliger Held des Alltags zu sein. Meine
Durchschnittlichkeit ist meine Superkraft, mein Allerweltsgesicht meine
Allzweckwaffe. Ich bin quasi Hauptdarsteller in einem
Verwechslungskabarett, bei dem ich gleichzeitig auch der einzige Zuschauer
bin.
Vor ein paar Tagen lief mir auf dem Markt ein halbwegs bekannter Mensch aus
der baden-württembergischen Kulturszene über den Weg, den ich vor einigen
Jahren mal für ein Magazin interviewt hatte. Er grüßte mich freundlich
(„Hallo, Wolfgang!“), und wir redeten ein bisschen über dies und über das.
Irgendwann wurde er knallrot im Gesicht und sagte: „Bitte entschuldigen
Sie, aber ich glaube, ich habe Sie verwechselt.“ – „Das macht nichts“,
sagte ich, „das passiert mir ständig, dass ich für jemand anderen gehalten
werde.“
Der peinlich berührte und plötzlich ganz kleinlaute Herr fuhr mit leiser
Stimme fort und meinte: „Ich dachte die ganze Zeit, Sie wären der Herr
Weber, der mich vor Jahren mal interviewt hat. Dann merkte ich, dass das ja
gar nicht sein kann. Der Herr Weber ist ja viel schlanker und jünger als
Sie!“
22 Jul 2025
## AUTOREN
Wolfgang Weber
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Kabarett
Fehler
Kommunikation
Doppelgänger
Kolumne Die Wahrheit
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