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# taz.de -- Die Mullahs, der Iran und der Westen: Die „Drecksarbeit“ wird s…
> Diktaturen militärisch zu beenden, kann gelingen, siehe
> Hitler-Deutschland. Doch alle, die von einem Regime Change im Iran
> mithilfe des Westens träumen, sollten sich von dieser Hoffnung eher
> verabschieden.
Bild: Ein Bild aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? „Revolutionsführer�…
[1][taz FUTURZWEI] | Als [2][Bundeskanzler Merz] ([3][CDU]) am Rande des
[4][G7-Gipfels] in den Rocky Mountains das Wort „Drecksarbeit“ aufgriff, da
wirkte er plötzlich wie befreit von aller realpolitischen Zurückhaltung.
„Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“, sagte er im ZDF
zur Rechtfertigung der Angriffe [5][Israels] und der [6][USA] auf die
Atomanlagen im [7][Iran] und mit Verweis auf die verbrecherische
Mullahkratie.
Für einen Moment klang das wie die Bereitschaft, aktiv an der Seite der USA
am Ausschalten der Atomanlagen und an einem „Regime Change“ im Iran
mitzuarbeiten. Es klang so, als wolle der Westen, anders als im Fall der
[8][angegriffenen Ukraine], seine politische Macht, seine militärische
Kraft geschlossen zur dauerhaften Sicherung Israels und für einen Regime
Change und einen Versuch zu einem demokratischen Neuaufbruch im ganzen
[9][Nahen Osten] einsetzen.
Meine Freunde in Tel Aviv sahen sich und Israel in diesem Moment schon in
eine Phalanx des Westens für die globale Durchsetzung demokratischer
Herrschaft aufgenommen.
## Alles beim Alten
Heute, nur wenige Tage später, ist alles beim Alten. Israel hat etwas Zeit
gewonnen, an seiner existentiellen Bedrohung hat sich nichts geändert.
[10][Hisbollah], [11][Hamas], [12][Huthi] im Jemen sind geschwächt, aber
nicht besiegt. [13][Syrien] hat Chancen auf einen demokratischen Neuanfang,
sicher ist der nicht.
Die Mullahs haben den Krieg mit Israel und den USA gewonnen. Wie es
aussieht, ist ihr Atomprogramm intakt geblieben, das nukleare Material und
die Zentrifugen zum Ausbrüten des Materials sind an einem unbekannten Ort
versteckt, jede Kontrolle durch die internationale Atomenergiebehörde wird
eingestellt. Wenn das so ist, wird der Bau der Bombe fortgesetzt.
Die Mullahs gehen jetzt noch härter gegen die noch nicht hingerichteten
Regimegegner vor. [14][Trumps] Siegesgeschwätz hat sich als Hollywood
Appeasement entlarvt, als inszenierte Beschwichtigungspolitik. Die
Vorstellung, die Mullahs würden sich in Verhandlungen auf einen
freiwilligen, international kontrollierten Verzicht auf ihr Atomprogramm
verpflichten lassen, ist Selbstbetrug.
Das heißt: Jede zukünftige israelische Regierung wird wieder vor der
Notwendigkeit stehen, aus eigener militärischer Kraft das Atomarsenal des
Irans zu vernichten.
Die Einsichten des Bundeskanzlers haben sich als Kraftmeierei erwiesen.
Einfluss auf die Zukunft des Nahen Ostens haben die Europäer nicht. Ihre
Haltung gegenüber Israel bleibt zweideutig, auch im [15][Gaza-Krieg]. Die
Hoffnung auf einen Regime Change von außen im Iran ist geplatzt.
Nun muss man sagen, dass ein erfolgreicher Regime Change von außen eine
absolute Rarität der Weltgeschichte ist. Aber es gibt zwei Beispiele.
## Die Geschichte befragen
Einer ist die Bundesrepublik Deutschland, der andere [16][Japan]. Beide
wurden nach ihren totalen Niederlagen im II. Weltkrieg zu einem Regime
Change gezwungen. Warum war das erfolgreich? Weil die Alliierten das
oberste Gesetz jedes Regime Change beachtet haben: „Wer reingeht, muss
bleiben“. Muss bleiben, auch wenn es Jahrzehnte braucht, bis der Prozess
des Nation Building unter Kuratel in einen selbstbestimmten, demokratischen
Pfad mündet.
In Deutschland hat dieser Prozess bis 1990 gedauert. Erst dann wurde der
wiedervereinigten Bundesrepublik von den Alliierten durch ihren Abzug die
volle Souveränität zugestanden. Nach 1945 haben die alten Funktionseliten
nach einer oberflächlichen Entnazifizierung den Staatsaufbau der neuen
Bundesrepublik klaglos und unabhängig von ihren individuellen
Verstrickungen ins [17][Naziregime] übernommen.
Die Aufarbeitung, der von der ganzen Gesellschaft, von jedem Einzelnen zu
verantwortenden Verbrechen wurde dafür für Jahrzehnte aufgeschoben. Der
„Kalte Krieg“ hat die gleichberechtigte Rückkehr Deutschlands unter die
freiheitlichen Nationen des Westens erleichtert. Grund war die von der CDU
unter Kanzler [18][Konrad Adenauer] zur Staatsdoktrin erhobene Westbindung.
Die Einigkeit der Westalliierten inklusive Bundesrepublik beim Aufbau der
NATO als Antwort auf die Bedrohung Russlands ist ein weiterer Baustein für
den Erfolg dieses Regime Change gewesen.
Einfach übertragen auf einen System Change im Iran oder anderswo lassen
sich diese Erfahrungen freilich nicht. Aber sie weisen auf die
Voraussetzungen hin, wenn er nicht nur Chaos oder bloß erneuerte,
undemokratische Strukturen zur Folge haben, sondern erfolgreich sein soll.
Zunächst müsste fest vertraglich vereinbart werden, wie und ob die
„regelbasierte Ordnung des freien Westens in der aktuellen Unordnung der
Welt voller Regelbrecher“ mit allen Mitteln verteidigt und dazu noch
weiterverbreitet werden soll. Dann braucht es die USA. Selbst wenn sie als
Weltordnungsmacht ausfallen, werden sie für jeden System Change gebraucht.
## Ein Gedankenexperiment
Dazu könnte, nur als Gedankenexperiment, der rein defensive
Verteidigungsauftrag der [19][NATO] oder Teilen von ihr, um den Auftrag
ergänzt werden, gemeinsam Regime, wie die Mullahkratie, zu stürzen.
Das wäre dann die „Drecksarbeit“ aller Beteiligten, um Räume hin zu
demokratischen Verhältnissen zu öffnen. Von einer solchen Strategie ist der
Westen indes weit entfernt.
Die systemische Schwäche der liberalen Demokratien zeigt sich schon darin,
dass sie in ihrem Inneren den Herausforderungen von rechtsradikalen,
populistischen Parteien hilflos gegenüberstehen. Die Demokratien neigen
eher dazu, sich mit den autoritären Regelbrechern überall auf der Welt zu
arrangieren, mit ihnen zu kooperieren.
## Bittere Wahrheiten
Für Israel und seine letale Bedrohung durch die Mullahs hat dieses
Verhalten konkrete Folgen. Was immer der Westen dazu sagt, Israel wird
daher seine offensive, auch den Krieg einschließende Strategie zu seiner
Existenzsicherung fortsetzen. Und wenn es nötig wird, auch ohne
Unterstützung aus dem Westen, den nächsten Schlag gegen das Atomprogramm
der Mullahs ausführen.
Die Iraner, die heute von einem System Change mithilfe des Westens träumen,
müssen sich von dieser Hoffnung verabschieden. Der Westen wird ihnen weder
offiziell noch inoffiziell in ihrem Kampf gegen die Mullahs zu Hilfe eilen.
Im Gegenteil, er wird die Mullahs durch Deals und fragwürdige Abkommen für
lange Zeit stabilisieren und das als Friedenspolitik verkaufen. Dass er
damit den Autokraten und Regelbrechern überall auf der ganzen Welt freien
Raum für ihre aggressiven Ziele einräumt, sich selbst als weltpolitischer
Machtfaktor infrage stellt, wird nicht ernst genommen.
Wir leben in einer Zeit, in der Wahrheiten sichtbar werden, die alle sehr
bitter sind.
■ Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das
politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
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30 Jun 2025
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Udo Knapp
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