# taz.de -- Verkehrsberuhigung in Berlin: Mach doch rüber in die Zone | |
> In Friedrichshain gibt es jetzt Berlins zweite verkehrsberuhigte | |
> „Schulzone“. AktivistInnen regen an, viele weitere zu schaffen. | |
Bild: Stille Tage in der Friedrichshainer Schulzone – jedenfalls während des… | |
Berlin taz | Auf der Scharnweberstraße in Friedrichshain ist es am bislang | |
heißesten Tag des Jahres um 10 Uhr vormittags fast noch kühl. Aber außer | |
schattenspendenden Bäumen gibt es hier noch etwas anderes Angenehmes: viel | |
Platz. Denn der Abschnitt zwischen Jung- und Finowstraße ist seit Mittwoch | |
ganz offiziell eine FußgängerInnenzone, zwei Pollerreihen verhindern die | |
Einfahrt von Autos. Stattdessen gibt es Fahrradständer, Bänke, Hochbeete | |
aus Stahlblech und eine Tischtennisplatte. Auf den Asphalt haben Kinder | |
bunte Kreidebilder gemalt. | |
Kinder sind hier besonders oft unterwegs: Das knapp 100 Meter lange | |
Straßenstück liegt vor dem Eingang zur Jane-Goodall-Grundschule und ist | |
damit eine „Schulzone“ – nach der Singerstraße in Mitte die zweite in | |
Berlin, die von einem Bezirk auf Dauer angelegt wurde. [1][Darüber hinaus | |
gab es bislang nur Verkehrsversuche], bei denen etwa für ein | |
Unterrichtshalbjahr die Straße vor einer Schule provisorisch gesperrt | |
wurde. | |
Dabei profitieren nicht nur SchülerInnen von weniger Lärm und mehr | |
Bewegungsfreiheit: „Seit die Straße vor ein paar Wochen für den Autoverkehr | |
gesperrt wurde, erleben wir, dass die Fläche auch nachmittags und abends | |
gut angenommen wird“, sagt Jane-Goodall-Schulleiterin Kathrin Rohwäder. | |
„Hier treffen sich Familien und auch Teile der Schulgemeinschaft.“ Die | |
bezirkliche Fußverkehrsplanerin, Elisa Mattioli Lattanzi, freut sich über | |
„Community Building“ durch Aktionen wie das gemeinsame Bepflanzen der | |
Hochbeete. | |
Was jetzt noch fehle, so Mattioli Lattanzi, seien bunte Bodenmarkierungen | |
an den Einfahrten, die auf die benachbarte Schule hinwiesen. Schließlich | |
haben die Kinder immer noch Schulwege außerhalb der sicheren Zone, dafür | |
soll bei Autofahrenden Aufmerksamkeit geschaffen werden. Die berüchtigten | |
„Elterntaxis“, die morgens und nachmittags viele Straßen vor Grundschulen | |
verstopfen, gebe es hier übrigens kaum, sagt Elternvertreterin Eva Kese | |
Friese. Das liege daran, dass der Einzugsbereich der Schule sehr klein sei. | |
„Hier stauen sich eher mal die Fahrräder.“ | |
Friedrichshain-Kreuzbergs Umwelt- und Verkehrsstadträtin Annika Gerold | |
(Grüne) weist darauf hin, dass im Bezirk weitere dauerhafte Schulzonen in | |
Arbeit sind. Noch in diesem Jahr sollen sie vor der Evangelischen Schule | |
Friedrichshain am Petersburger Platz und vor der Modersohnschule in der | |
Simplonstraße umgesetzt werden. Drei weitere Standorte – zwei in | |
Friedrichshain, einer in Kreuzberg – befinden sich im | |
Beteiligungsverfahren. | |
FußgängerInnenzonen wie in der Scharnweberstraße sind aus Gerolds Sicht das | |
Mittel der Wahl, wenn es um Schulzonen geht. Für sie wird eine sogenannte | |
Teileinziehung durchgeführt. Sprich: Das Verbot für Kraftfahrzeuge – | |
Ausnahmen gibt es für Einsatzfahrzeuge oder die Müllabfuhr – ist permanent | |
und kann nicht ohne Weiteres wieder aufgehoben werden. Dadurch ergeben sich | |
auch weitere Möglichkeiten, etwa die Entsiegelung von Teilen der Fläche. | |
Allerdings hat eine Teileinziehung einen längeren Vorlauf mit Beteiligung | |
von AnwohnerInnen, Gewerbetreibenden oder der Feuerwehr. | |
200 „rues aux écoles“ in Paris | |
Diese bürokratischen Hürden dürften der Grund dafür sein, dass es in Berlin | |
immer noch so wenige Schulzonen gibt, obwohl das Konzept von | |
MobilitätsaktivistInnen seit Jahren beworben wird und die grünen | |
Verantwortlichen in etlichen Berliner Bezirken keine ideologischen Probleme | |
damit haben dürften. Dagegen gibt es in NRW schon rund 40 Schulzonen, und | |
Paris hat in weniger als drei Jahren sagenhafte 200 „rues aux écoles“ | |
geschaffen. | |
Vom Senat haben die Bezirke aktuell nicht allzu viel Unterstützung zu | |
erwarten. Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünenfraktion, | |
die die Bewegung seit Langem unterstützt, weist darauf hin, dass | |
Schulzonen, die noch Teil der letzten rot-grün-roten Koalitionsvereinbarung | |
waren, aus dem Vertrag der rot-schwarzen NachfolgerInnen verschwunden sind. | |
Die Senatsverkehrsverwaltung teilt auf taz-Anfrage mit, dass sie einen | |
„Konzeptentwurf zum Mobilitätsmanagement für Schulen und Kitas“ erstellt | |
habe – der befinde sich aber noch in der Überarbeitung. | |
Mittlerweile haben sich allerdings einige Rahmenbedingungen geändert. Das | |
bundesweite Aktionsbündnis Kidical Mass, dem auch der Verein Changing | |
Cities und der Verkehrsclub VCD angehören, [2][erläuterte kürzlich in einer | |
Onlinekonferenz], dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) seit ihrer | |
Novellierung im Herbst neue Handlungsspielräume eröffnet. | |
Wurden Beschränkungen des fließenden Verkehrs vorher sehr restriktiv | |
gehandhabt, können Kommunen jetzt auch verkehrsberuhigte Zonen mit dem Ziel | |
anordnen, „angemessene Flächen für den Fahrrad- und Fußverkehr“ | |
bereitzustellen, die dem Umwelt- und Gesundheitsschutz sowie der | |
Stadtentwicklung dienen. Kidical Mass, das selbst lieber von „Schulstraßen“ | |
spricht, bietet dazu ein Rechtsgutachten und einen Leitfaden an, der die | |
notwendigen Schritte zur Umsetzung beschreibt. | |
Laut Steffen Brückner von Kidical Mass ist es dank der neuen StVO nun vor | |
allem viel einfacher, temporäre Schulstraßen anzuordnen, aus denen der | |
Kfz-Verkehr zumindest vor und nach dem Unterricht verbannt wird. | |
Vorzuziehen, so Brückner, sei aber weiter die permanente Teileinziehung, | |
denn Schulstraßen seien „mehr als sichere Schulwege. Sie sind | |
Verkehrsberuhigung und lebenswerte Orte für alle Generationen“. | |
2 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Schulwegsicherheit-in-Berlin/!5879889 | |
[2] https://kinderaufsrad.org/aktiv-werden/schulstrassen/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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