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# taz.de -- Großbritanniens Regierung: Labour versenkt sich selbst
> Die Regierung von Keir Starmer wollte mit Sozialreformen Milliarden
> sparen. Doch nun wurde klar: Weder die Reformen noch die Einsparungen
> klappen.
Bild: Verwaltet ein gigantisches Haushaltsloch: Finanzministerin Rachel Reeves …
Berlin taz | Auf den ersten Blick mutete die wöchentliche Fragestunde des
britischen Premierministers im Unterhaus am Mittwoch an wie immer. „Ich bin
wirklich stolz auf unser erstes Jahr an der Regierung“, rief Keir Starmer
in Antwort auf die Frage der [1][konservativen Oppositionsführerin Kemi
Badenoch], was er denn erreicht habe.
Neben dem Labour-Premier saß seine Finanzministerin Rachel Reeves auf der
grünen Bank wie ein Häufchen Elend: tiefe Ringe unter den Augen, ab und zu
ein müdes Lächeln. Ein knappes Jahr erst sind sie an der Regierung, [2][am
4. Juli 2024 hatte Labour einen hohen Wahlsieg eingefahren] – mit dem
Versprechen, dem Tory-Chaos ein Ende zu setzen und Seriosität walten zu
lassen. Und heute? „Inkohärent und chaotisch“ nannte jetzt die Liverpooler
Labour-Abgeordnete Paula Barker den eigenen Laden – nachdem ihr linker
Parteiflügel gerade Starmer demontiert hatte.
Am Dienstagabend versenkte die Regierung ihr wichtigstes
Sozialreformprojekt nämlich selbst: eine Neuregelung der explodierenden
staatlichen Leistungen für Menschen mit Behinderung oder Erwerbsminderung.
Ursprünglich sollte die „Universal Credit and Personal Independence Payment
Bill“ die Bezugskriterien deutlich verschärfen; dies sollte 5 Milliarden
Pfund (6 Mrd. Euro) pro Jahr einsparen und hätte, wie sogar die Regierung
zugibt, 250.000 Menschen unter die Armutsgrenze gedrückt.
## Labour begründet die Einschnitte mit dem Haushaltsloch
Dagegen formierte sich die größte Labour-Revolte von Starmers Amtszeit. Als
klar war, dass die Regierung auf die Zustimmung der oppositionellen
Konservativen angewiesen wäre, machte sie am Montag Zugeständnisse: Die
Neuregelungen würden bestehende Leistungsbezieher nicht treffen, nur neue
ab November 2026.
Als daraufhin die Konservativen ihrerseits ihre Unterstützung infrage
stellten, zog die Regierung am Dienstag kurz vor der Abstimmung sämtliche
Verschärfungen zurück. Noch während Arbeitsministerin Liz Kendall das
Gesetzesvorhaben im Unterhaus verteidigte, war es bereits Makulatur. Am
Ende ging es zwar durch, trotz Labour-Gegenstimmen – aber vom
ursprünglichen Vorhaben steht nichts mehr drin.
Vor ein paar Wochen musste die Regierung bereits die Einführung einer
Einkommensuntergrenze für die staatliche Heizkostenbeihilfe für Rentner
teilweise zurücknehmen. Die geplante Abschaffung einer der letzten
allgemeinen Sozialleistungen Großbritanniens hatte eine Welle der Empörung
hervorgerufen und wie kein anderes Vorhaben die Labour-Umfragewerte
dramatisch abstürzen lassen.
Keir Starmer und Rachel Reeves begründen all dies mit einem
[3][gigantischen Haushaltsloch], das die Tories hinterlassen und angeblich
vertuscht hätten. Doch zugleich machen sie selbst gigantische
Investitionsversprechen, etwa in Atomkraft oder Rüstung.
## Bringt sich Finanzministerin Reeves bereits in Stellung?
Immer wieder zeigt sich: Labour sitzt zwischen den Stühlen, gefangen
zwischen Wahlkampfversprechen und Wirklichkeit. Das seines Inhalts beraubte
Behindertenhilfegesetz steht für eine ihres Inhalts beraubte Regierung. Es
sollte Ausgaben einsparen – stattdessen, so rechnen Ökonomen vor, wird es
sie sogar erhöhen. Starmers Regierung hat nun „alle Einsparungen, die sie
in diesem Jahrzehnt plante, wieder ausradiert“, analysiert der
sozialpolitische Thinktank „Resolution Foundation“.
Nun muss Finanzministerin Reeves in ihren nächsten Staatshaushalt bis zu 5
Milliarden Pfund wieder einstellen, die sie eigentlich schon gestrichen
hatte. Und am Dienstag veröffentlichte die Haushaltsprüfbehörde OBR neue
ungünstige Prognosen, die ein deutlich höheres Haushaltsdefizit bedeuten
könnten als veranschlagt. Steuererhöhungen im Herbst gelten jetzt als
alternativlos – der Bruch eines zentralen Wahlkampfversprechens.
Schon fragen erste Stimmen, wer Labour wohl in die nächsten Wahlen 2029
führen wird. Auf die Frage im Parlament, ob Reeves als Finanzministerin im
Amt bleibe, umschiffte Starmer am Mittwoch eine klare Antwort. Während
Reeves zu Starmers Linken mit den Tränen kämpfte, saß zu Starmers Rechten
eine zufriedene Vizepremierministerin Angela Rayner, prominenteste
Vertreterin des Arbeitnehmerflügels in der Partei. Im
ITV-Frühstücksfernsehen war sie zuvor gefragt worden, ob sie
Premierministerin werden will. „Nein“, antwortete sie grinsend und fügte
hinzu: „Ich bin sehr interessiert daran, für die Menschen dieses Landes zu
liefern.“
2 Jul 2025
## LINKS
[1] /Konservative-in-Grossbritannien/!6046482
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[3] /Grossbritannien-will-sparen/!6023921
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Großbritannien
Keir Starmer
Haushalt
Labour Party
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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