| # taz.de -- Die Wahrheit: Jutebeutel! Gratis! | |
| > Eigentlich das perfekte Werbegeschenk für einen geheimnisvollen | |
| > Intellektuellen: ein Gimmick mit einem lustigen Spruch drauf. Eigentlich… | |
| Soeben erhielt ich eine Mail, in der mir ein schöner Sommer gewünscht | |
| wurde. Das war bestimmt lieb gemeint, stimmt mich jedoch melancholisch, da | |
| ich prompt an das unvermeidbare Ende der eben erst beginnenden Jahreszeit | |
| dachte. Die freundlich wünschende Person war Frau Berlach vom Kundenservice | |
| der Wochenzeitung Die Zeit, die mich in ihrem Werbeschreiben mit | |
| Ausrufezeichen mahnte, ihr Sommerangebot nicht zu verpassen – es schien | |
| wirklich dringend zu sein! | |
| Ihr Angebot: Ich sollte fünf Ausgaben der Zeitung für fünf Euro erstehen | |
| können und „zusätzlich den Zeit-Jutebeutel ‚Ich bin dann mal lesen‘ | |
| kostenlos dazu“ erhalten. Huch, was war das für einer? „Der perfekte | |
| Begleiter für heiße Tage – egal ob am Strand oder in der Stadt.“ Geht’s | |
| noch genauer? „Der Beutel ist nicht im Handel erhältlich und ausschließlich | |
| im Rahmen dieses Angebots verfügbar.“ Das klang natürlich verlockend! | |
| Vielleicht sollte ich gleich zuschlagen? Ich erinnerte mich daran, wie ich | |
| in meiner Zivildienstzeit regelmäßig Die Zeit gelesen hatte. Gern hatte ich | |
| das Pfund Papier mit mir herumgeschleppt und überall ausgebreitet, weil ich | |
| in dem Kaff, in dem ich stationiert war, als geheimnisvoller | |
| Intellektueller gelten wollte. In späteren Jahren übrigens hat mir das | |
| ewige Einerseits-Andererseits der typischen Zeit-Artikel viele Debatten | |
| schlichten geholfen und auf lange Sicht den Ruf des Salomons unter den | |
| geheimnisvollen Intellektuellen eingebracht. | |
| Ich wusste freilich nicht, ob sich dieser ursprüngliche Zauber | |
| wiederbeleben ließe. Ich scrollte die E-Mail abwärts und schaute mir den | |
| abgebildeten Jutebeutel genauer an. Er sah abscheulich aus! Kein Vergleich | |
| mit den coolen, grob gewirkten Jutebeuteln meiner Zivildienstzeit. | |
| Superspießig und gepflegt! Kaufmännische Angestellte würden damit shoppen | |
| gehen und von ihren Eltern und ihren Kindern gleichermaßen ausgelacht. | |
| Am schlimmsten war aber, wie langsam bei mir einsickerte, der blöde Spruch | |
| unter dem Zeit-Logo: „Ich bin dann mal lesen“. Was sollte das denn sein? | |
| Das augenzwinkerndes Eingeständnis, dass man zu einer altmodischen | |
| Randgruppe zählte? Die völlig vergurkte ironische Anspielung auf einen | |
| uralten Bestseller – so doof wie die in den plattesten Volkshumor | |
| eingegangenen Phrasen „Nichts ist unmöglich“, „Wir schaffen das“ oder | |
| „Teile der Antwort würden Sie nur verunsichern“? | |
| Auf gar keinen Fall wollte ich so einen „hochwertigen“ Jutebeutel mit | |
| zweifelhaftem Aufdruck. Damit würden sich geheimnisvolle Intellektuelle | |
| selbst in der Provinz lächerlich machen! | |
| Kein Wunder, dachte ich abschließend, dass die Printmedienbranche den Bach | |
| runterging, wenn sie so an der angepeilten Zielgruppe vorbeidesignte. Einen | |
| gammeligen, naturfarbenen Vintage-Jutebeutel mit originalem „Jute statt | |
| Plastik“-Logo könnte ich dagegen im Internet gleich mal suchen gehen. Gibt | |
| es gebraucht gewiss für weniger als fünf Euro. | |
| 2 Jul 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Mark-Stefan Tietze | |
| ## TAGS | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Werbung | |
| Geschenke | |
| Medien | |
| Lachgas | |
| Urlaub | |
| Spaziergang | |
| Kanzler Merz | |
| Stammkneipe | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Weltflucht in den Kicheranfall | |
| Immer mehr junge Leute verfallen dem Lachgas. Ein Verbot durch die Behörden | |
| steht unmittelbar bevor und ist nicht mehr aufzuhalten. | |
| Die Wahrheit: Schummelurlaub in Bad Laasphe | |
| Feierlaune ade in diesem Sondersommer 2025: Mehr und mehr Deutsche | |
| simulieren ihr Ferienglück – und fahren urlaubsreif zurück nach Hause. | |
| Die Wahrheit: Unterwegs wie rollige Katzen | |
| Die neueste Bewegung des aufkommenden Sommers: Beim Strolling gehen | |
| Heranwachsende auf die Straßen, auf die Felder und in die Parks. | |
| Die Wahrheit: „Meine Schere heißt Treue!“ | |
| Das schnittige Wahrheit-Interview mit Kanzler-Friseur Mario Grimm, bevor | |
| Friedrich Merz erstmals nach Washington reist und auf Donald Trump stößt. | |
| Die Wahrheit: Versöhn- statt Spaltpils | |
| Politikfreie Zone: Immer mehr Gaststätten verbieten den garstigen | |
| gesellschaftlichen Streit beim Bier über brandheiße Themen unserer Zeit. |