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# taz.de -- Prozess gegen CHP-Führung: Ankaras neue Attacke auf die türkische…
> Der türkische Präsident Erdoğan will per Gerichtsurteil CHP-Chef Özgür
> Özel absetzen. Die wichtigste Oppositionspartei wäre empfindlich
> geschwächt.
Bild: Seit 2023 CHP-Vorsitzender: Özgür Özel
Es war am Montag der zweite massive Versuch, die größte türkische
Oppositionspartei CHP zu zerschlagen. Zunächst war im März [1][der
Istanbuler Bürgermeister und Präsidentschaftskandidat der CHP, Ekrem
İmamoğlu], verhaftet worden. Nun soll die Partei insgesamt lahmgelegt
werden: Vor einem Gericht in Ankara startete ein Verfahren, das zur
Absetzung von Parteichef Özgür Özel führen könnte.
Die Ankläger in Ankara behaupten, bei dem CHP-Parteitag im November 2023,
bei dem der erfolglose Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu abgewählt und Özel
als neuer Parteichef gewählt worden war, soll es Stimmenkauf und Betrug
gegeben haben. Deshalb sei der gesamte Parteitag nichtig. Kılıçdaroğlu, der
Mann der nie gegen Recep Tayyip Erdoğan gewinnen konnte, müsste wieder
Parteichef werden.
Gewinnt die Staatsanwaltschaft den Prozess, dürfte das die Partei auf
längere Zeit lahmlegen und im schlimmsten Fall zu einer Spaltung führen.
Als Konkurrenz für Erdoğan wäre die CHP, die zurzeit in Umfragen zehn
Prozentpunkte vor der AKP Erdoğans liegt, jedenfalls erledigt.
Der gesamte Prozess, mit dem der Wahlparteitag von 2023 für illegal erklärt
werden soll, basiert auf ähnlich konstruierten Anklagen wie schon zuvor die
gegen Ekrem İmamoğlu und etliche weitere CHP-Mitglieder, die
zwischenzeitlich verhaftet wurden. Verdeckte Zeugen und einige frustrierte
Wahlverlierer werden benutzt, um den damaligen Parteitag zu diskreditieren.
Dabei war die Wahl von Özgür Özel eine höchst seltene, demokratische
Glanzleistung. Normalerweise bleiben Parteivorsitzende in der Türkei so
lange an der Spitze ihrer Partei, bis sie sterben oder weggemobbt werden.
Der demokratische Wechsel in der CHP deutete deshalb auf eine echte
Erneuerung innerhalb der Republikanischen Volkspartei hin. Kemal
Kılıçdaroğlu, der im Mai 2023 bei den Präsidentschaftswahlen gegen Erdoğan
wie schon bei vielen Wahlen zuvor erneut verloren hatte, war reif für den
Ruhestand. Mit dem wesentlich jüngeren Özgür Özel, der von Beginn an im
Tandem mit Ekrem Imamoğlu arbeitete, kam dann der lang ersehnte Erfolg für
die CHP.
Bei den landesweiten Kommunalwahlen im Frühjahr 2024 siegte die CHP auf
ganzer Linie. Sie gewann nicht nur die Metropolen, sondern lag auch in
absoluten Wählerstimmen landesweit erstmals seit Jahrzehnten vor der
rechts-islamischen AKP. Erdoğan war alarmiert und sieht seine Machtbasis
bedroht. Nach längerer Vorbereitung und mithilfe einer willfährigen Justiz
wurde zunächst İmamoğlu ein Jahr nach seiner erfolgreichen Wiederwahl in
Istanbul verhaftet und seines Postens enthoben, nun soll auch der
erfolgreiche Parteivorsitzende Özgür Özel ausgeschaltet und womöglich
ebenfalls ins Gefängnis gesteckt werden.
Der alte, ehemalige Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu ist offenbar
bereit, sich zum willigen Komplizen Erdoğans zu machen. Der Frust über
seine Abwahl sitzt immer noch so tief, dass er bereit scheint, eher die
Politik Erdoğans umzusetzen, als sich gemeinsam mit der CHP-Führung um eine
Abwehr des Angriffes auf die Partei zu bemühen. Appelle aus der Partei,
auch von etlichen ehemaligen Parteigrößen, sich doch nicht von Erdoğan
benutzen zu lassen, prallen an ihm ab.
## Juristischer Erfolg zweifelhaft
Dabei steht das Verfahren juristisch auf tönernen Füßen. Der Hohe Wahlrat
des Landes hat den Wahlparteitag der CHP von 2023 als völlig korrekt
zertifiziert. Dagegen kann laut Gesetz nicht geklagt werden. Selbst das
AKP-Mitglied des Wahlrates, Recep Özel, sagte Ende letzter Woche, eine
Entscheidung des Hohen Wahlrates dürfe nicht durch einen Strafprozess in
Frage gestellt werden: „Das geht gar nicht.“ Doch wenn Erdoğan es will,
geht es offenbar doch.
Dabei ist die politische Absicht hinter den ganzen Prozessen
offensichtlich. Erdoğan, unter dessen Führung das Land seit Jahren unter
einer exorbitanten Inflation von mehr als 50 Prozent und einer
entsprechenden Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung leidet,
verliert dramatisch an Zustimmung. Er weiß, dass er die nächsten Wahlen
gegen Ekrem İmamoğlu und die CHP wohl verlieren würde. Bevor er die Wahlen
ganz abschafft, versucht er deshalb, seinen wichtigsten Konkurrenten
auszuschalten und die CHP zu zerschlagen.
Der Prozess gegen die CHP ist am Montag auf den 8. September vertagt
worden. Bis heute ist es Özgür Özel mit einem unermüdlichen Einsatz
gelungen, die [2][Proteste gegen die Verhaftung İmamoğlu] immer wieder
erneut auf die Straße zu bringen. Jeden Mittwoch wird in Istanbul, jedes
Wochenende in einer anderen Stadt der Türkei demonstriert. Für
Dienstagabend ist erneut eine Großdemo in Istanbul angekündigt, weil
İmamoğlu dann seit 100 Tagen im Gefängnis sitzt.
30 Jun 2025
## LINKS
[1] /Protestbewegung-in-der-Tuerkei/!6074661
[2] /Grosskundgebung-fuer-Freilassung-mamolus/!6079608
## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
## TAGS
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