# taz.de -- Tour de France: Große Schleife mit Dominator | |
> Am 5. Juli startet die Tour de France der Männer. Der Radsport leidet | |
> unter der Überlegenheit von Tadej Pogačar. Der Dauersieger ist ein | |
> Problem. | |
Bild: Gewohntes Bild: Tadej Pogačar jubelt, hier beim belgischen Klassiker Lü… | |
Die wichtigsten Protagonisten versuchen sich derzeit noch in dünner Luft | |
perfekt vorzubereiten: auf die Tour de France der Männer, die am 5. Juli in | |
Lille startet. Tadej Pogačar in den französischen Meeralpen auf der | |
Skistation Isola 2000, Jonas Vingegaard, Remco Evenepoel und Primož Roglič | |
allesamt etwas weiter nördlich in Tignes. | |
Über Vingegaard, [1][zweifacher Toursieger 2022 und 2023] und mit maximalen | |
Revanchegelüsten [2][nach dem verlorenen Wettstreit im vorigen Jahr], sind | |
aus dem Trainingslager schon kuriose Details bekannt. Ein Fan beobachtete | |
den Dänen, wie er nach einem Bergaufsprint das Rad tauschte und mit einem | |
anderen Untersatz talwärts raste. Hier eröffnet sich ein Spekulationsfeld | |
über die Suche nach den marginal gains, den kleinen Vorteilen, die addiert | |
zu einem großen werden können. | |
Viele Hersteller, so auch Cervélo, der Radlieferant von Vingegaard, bieten | |
seit geraumer Zeit neben ultraleichten Rädern fürs Bergauffahren auch | |
aerodynamisch optimierte Maschinen an. Gut möglich, dass Vingegaard | |
testete, nach einer Bergaufaktion auf Cervélos Klettermodell R5 für die | |
Bergabsause auf das Aeromodell S5 umzusteigen. Das verspricht Kräftesparen | |
bei gleichem Speed in der Abfahrt oder noch höhere Geschwindigkeiten, um | |
Druck auf Pogačar auszuüben. | |
## Gezwungen, an jedem Schräubchen zu drehen | |
Der dreifache Tour-de-France-Sieger und amtierende Weltmeister Pogačar fuhr | |
derart überlegen, dass die Rivalen gezwungen sind, an jedem Schräubchen zu | |
drehen. Die gute Nachricht dabei ist: Im Lager Vingegaards glaubt man noch | |
an die Chance. „Wir müssen uns auf unsere eigenen Leistungen und den | |
Formaufbau von Jonas konzentrieren. Das ist das, was wir beeinflussen | |
können“, versuchte der Head of Performance Mathieu Heijboer es mit | |
Optimismus. | |
Bei vielen anderen aber herrscht Resignation. „Für uns als Trainerteam ist | |
es frustrierend: Wir finden momentan einfach nicht die Antwort, wie man | |
einen Fahrer wie Pogačar herausfordern kann. Mit all den Informationen, die | |
wir durch unsere Fahrer in den gleichen Rennen bekommen, fällt es uns | |
schwer, zu verstehen, was wir sehen“, meint Peter Leo. Der Österreicher | |
arbeitet für den australischen Rennstall Jayco Alula, der mit Ben O’Connor | |
einen Kandidaten für die Top-5 in Paris im Kader hat. | |
## Rückstand ist offensichtlich | |
O’Connor liefert beständig gute Werte, hätte fast die Vuelta 2024 gewonnen. | |
Der Rückstand zu Pogačar ist aber offensichtlich. „Vielleicht verstehen wir | |
in Zukunft besser, was wir tun können“, so Leo in einem Gespräch mit dem | |
Magazin Velo. In der Gegenwart gibt Pogačar, dieser (Fast-)Allesgewinner, | |
sogar den Trainingswissenschaftlern Rätsel auf. | |
Das ist das eine Problem des Straßenradsports. [3][Tadej Pogačar ist derart | |
überlegen], dass der Rest des Feldes schon durch die Präsenz des | |
Weltmeisters eingeschüchtert wirkt. „Meiner Erfahrung nach fährst du in | |
Rennen, in denen Pogačar an den Start geht, nur noch um den zweiten Platz“, | |
drückte das spanische Talent Iván Romeo eine weit verbreitete Haltung aus. | |
Romeo ist immerhin U23-Zeitfahrweltmeister und einer der wenigen, die bei | |
der letzten Dauphiné-Rundfahrt zu einem Etappensieg kamen (Pogačar selbst | |
holte deren drei und natürlich auch die Gesamtwertung). Vingegaard blieb | |
beim letzten Tour-Vorbereitungsrennen ganz klar im Schatten des Slowenen. | |
## Tour-Organisatoren besorgt | |
Das [4][Ausmaß der Überlegenheit des Slowenen] besorgt auch die | |
Tour-Organisatoren. Ein Star, ein Gesicht, das alle kennen, ist zwar gut | |
fürs Vermarktungsgeschäft. Ein Star, der über allen schwebt und stets | |
gewinnt, verbreitet in den Rennen aber Langeweile. Und [5][weil Pogačar | |
meist gewinnt], wenn er an den Start geht (12 Siege bei 22 Wettkampftagen | |
in dieser Saison, 28 Siege bei 58 Wettkampftagen im vorigen Jahr) ist die | |
Frage nach dem Ausgang eines Rennens oft schon mit der Vergabe der | |
Startnummern beantwortet. Heftet sich Pogačar auch eine an, kann man rein | |
statistisch schon bei der Hälfte der Rennen die erste Zeile des | |
Ergebnisprotokolls vor dem Startschuss korrekt ausfüllen. | |
Weil die wilden alten Zeiten des Radsports lange vorbei sind, kann | |
Tour-de-France-Organisator ASO nicht einmal Problemlösungen vom Giro | |
d’Italia abkupfern. 1930 boten die Giro-Planer dem damals schon vierfachen | |
Gesamtsieger Alfredo Binda an, ihm all die Prämien zu zahlen, die er | |
ohnehin gewinnen würde, nur damit er bitte, bitte, nicht zum Giro käme. | |
Binda akzeptierte, fuhr während des Giros ein paar Bahnrennen. Und der | |
Giro, der in den Jahren zuvor eine klare Sache mit mal 27 Minuten, mal 18 | |
Minuten Vorsprung für Binda war, wurde in dessen Abwesenheit zu einem engen | |
Rennen mit nur 52 Sekunden zwischen den ersten beiden und weniger als zwei | |
Minuten zwischen den ersten drei. | |
## Sportswashing weniger attraktiv | |
Aber für Pogačar gibt es im Juli kein attraktives Alternativprogramm. Geld | |
genug hat er ohnehin. Und dann macht ihm Radsport ja auch noch Spaß. Seine | |
Sportswashing-Geldgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten würden es | |
wahrscheinlich auch nicht goutieren, wenn ihr Markenbotschafter Nummer 1 | |
die größte Werbeplattform der Branche links liegen ließe. | |
Für die Branche stellt sich eher das Problem, dass Sportswashing angesichts | |
des Höhenflugs von Regelbrechern jeder Art, ob in Moskau, Tel Aviv, | |
Washington und, ja, auch Berlin – [6][siehe „Drecksarbeit“-Bejubler | |
Friedrich Merz] – an Attraktivität rapide verliert. Ein Image muss nicht | |
mehr teuer poliert werden, denn „Dreck“ is beautiful. Das könnte in naher | |
Zukunft Auswirkungen auf die Budgets von Team UAE Emirates, Bahrain | |
Victorious, Jayco Alula, Astana XDS und dergleichen haben. | |
## Minimum an Spannung | |
Als Rettungsstrategie für ein Minimum an Spannung sind die Streckenplaner | |
der Tour de France auf den Gedanken verfallen, möglichst viele der Gipfel, | |
bei denen Pogačar in der Vergangenheit etwas weniger souverän wirkte als | |
gewohnt, ins Programm zu nehmen. Das Pyrenäen-Triple der 12., 13. und 14. | |
Etappe beginnt ausgerechnet in Hautacam. Dort wurde Pogačar 2022 von | |
Vingegaard und dessen Teamkollegen Wout van Aert so gekonnt in die Zange | |
genommen, dass er eine Minute gegen den Dänen verlor und damit auch jede | |
Hoffnung auf eine Titelverteidigung. | |
Auch der Mont Ventoux ist wieder dabei. 2021 musste Pogačar beim Aufstieg | |
auf den Riesen der Provence erleben, wie Vingegaard ihn kurz mal abhängte | |
und aus dem Schatten als Ersatzmann für Primož Roglič trat (16. Etappe). | |
Und der Col de la Loze, wo Pogačar [7][2023 gegen einen wie entfesselt | |
fahrenden Vingegaard] fast sechs Minuten verlor – die wohl schlimmste | |
Schlappe in seinem Berufsradfahrerleben – ragt am Ende der Königsetappe | |
(Nummer 18) der diesjährigen großen Schleife auf. | |
## „Gießen nur Öl ins Feuer“ | |
Die Geschichte scheint da mal gegen Pogačar zu sprechen. Der Slowene | |
allerdings fühlt sich von so viel Aufmerksamkeit eher geehrt – und prächtig | |
herausgefordert. „Vielleicht wollen mich die Organisatoren so kriegen, | |
indem sie die drei Berge, bei denen ich nicht exzellent war, auswählten. | |
Aber damit gießen sie nur Öl ins Feuer“, sagte er. | |
Außerdem gibt es genug Etappen, die ihm vom Profil her liegen. Die erste | |
Woche in Nordfrankreich bietet gleich drei Hügeletappen (4., 6., 7.), die | |
den explosiveren Slowenen gegenüber Vingegaard und Evenepoel begünstigen. | |
Auch beim Bergzeitfahren in den Pyrenäen (13. Etappe) ist Pogačar eindeutig | |
favorisiert. Am Tag darauf muss auch die Konkurrenz erst einmal genug Luft | |
haben, um Riesenberge wie den Tourmalet, den Col d’Aspin und den Col de | |
Peyressourde zu bezwingen und dann zum großen Showdown in Superbagnères | |
aufzurufen. | |
Am Ende meinten es die Organisatoren noch supernett mit dem Überfahrer der | |
Gegenwart. Statt des gewohnten Sprint Royal auf den Champs-Élysées könnte | |
es ein Klassikerfinale geben. Gleich dreimal muss der Pariser Stadtberg | |
Montmartre erklommen werden: Für den zweimaligen Sieger der | |
Flandernrundfahrt die allerbeste Gelegenheit, im Klassement noch etwas zu | |
korrigieren, falls da etwas schiefgelaufen ist. | |
## Augen auf Lipowitz | |
Die Augen der deutschen Fans werden derweil vor allem auf [8][Florian | |
Lipowitz] gerichtet sein. Der frühere Biathlet drang bei der | |
Dauphiné-Rundfahrt in die Phalanx der großen drei ein, verdrängte Evenepoel | |
noch vom dritten Platz hinter Pogačar und Vingegaard. Dass ihm Gleiches | |
über drei Wochen gelingt, wäre vermessen anzunehmen. Auch wird er von | |
seinem Team zunächst als Helfer für Kapitän Roglič eingesetzt. Wie schnell | |
Helfer für Furore sorgen können, zeigte allerdings schon Vingegaard 2021, | |
als sein damaliger Chef Roglič wegen Sturzproblemen aufgeben musste. | |
Auch die Tour de France 2025 wird ihre Helden finden. Als Gewähr, dass | |
[9][das Dopingkontrollprogramm] mehr ist als ein hübsches | |
Arbeitsbeschaffungsprogramm für medizinisches Fachpersonal, wäre der eine | |
oder andere Treffer bei den Kontrollen aber auch gut. Vor zehn Jahren wurde | |
der letzte Sünder bei der Tour erwischt. Extrem schwache | |
Kontrollperformance. | |
30 Jun 2025 | |
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Tom Mustroph | |
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