# taz.de -- Neuer „Polizeiruf“ aus Świecko: Ein Krimi wie ein Tag bei 35 G… | |
> Der Krimigucker ist gern auf falschen Fährten unterwegs. In „Spiel gegen | |
> den Ball“ gib es davon so viele, dass sich die Restgeschichte | |
> verflüchtigt | |
Bild: Kevin Jankowski (Franz Ferdinand Krause, re) und sein Freund Robert Sobin… | |
Krimifans haben einen bemerkenswerten Charakterzug: Wir lieben das Gefühl, | |
uns geirrt zu haben. Wie soll man sonst erklären, dass fast jeder Krimiplot | |
sich der „falschen Fährte“ als Kunstgriff bedient, uns meistens erfolgreich | |
an der Nase herumführt, geradezu für blöd verkauft, und wir gleich den | |
nächsten einschalten – um wieder wohlig danebenzuliegen? | |
Eine mögliche Erklärung wäre: Im Gegensatz zu Besserwissenden, | |
Neunmalklugen und Splainer*innen jedweden Geschlechts scheint das | |
Krimivolk gradezu versessen danach, in die Schranken der eigenen Schläue | |
gewiesen zu werden. Noch dazu vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Chapeau. | |
In einem ganzen Knäuel falscher Fähren verhaken sich diese Woche die | |
„Polizeiruf“-Ermittler:innen Ross (André Kaczmarczyk) und Luschke (Gisa | |
Flake). Eine Frau mit deutscher Staatsbürgerschaft wird ermordet, in | |
Kostrzyn. Sie ist Leiterin des dortigen Gerüstbau-Unternehmens und | |
gleichzeitig Präsidentin des Jugend-Fußballklubs nebenan, den auch ihr | |
13-jähriger Sohn besucht. | |
Sogleich haben die Kommissar:innen Schwierigkeiten, die Tat | |
kriminologisch einzuordnen. Denn die scheint einerseits kühl und säuberlich | |
geplant, während andererseits die Verletzungen des Opfers aussehen als wäre | |
jemand spontan ausgerastet. Die große Frage also: Was für einen Typ | |
Täter*in suchen wir? Berechnend oder doch eher aufbrausend? Beides | |
gleichzeitig geht schließlich nicht. Oder? | |
Das Team Ross-Luschke ermittelt traditionell an der deutsch-polnischen | |
Grenze. Deshalb sind die Außenaufnahmen der Mordkommission hier auch nicht | |
irgendein x-ter Fernsehkrimi-Behördenbau, sondern der ikonische | |
Grenzübergang Świecko. Deshalb liest man hier zum Teil Untertitel, oder | |
wird eine Polnischvokabel zum Ermittlungsgegenstand, deshalb wohnen die | |
Figuren mal hüben und arbeiten drüben und mal andersrum, und deshalb wird | |
diese Grenze pro Krimi meistens ein dutzend mal ungezwungen plaudernd | |
durchfahren. | |
Fast so, als würde diese Grenze nicht seit Jahren ganz allmählich | |
dichtgemacht. | |
Wirkt also fast schon nostalgisch-utopisch, dass im ganzen Film niemand zum | |
Pässchen-Hochhalten Schlange stehen muss. | |
Aber wir wollten ja über falsche Fährten sprechen. Davon gibt es hier genug | |
– wenn nicht viel zu viele. Denn das Opfer hat sich hüben wie drüben genug | |
Feinde gemacht, im Büro, im Verein, als Liebhaberin, Mutter, und ganz | |
allgemein als Person, die die Frechheit besaß, eine Frau zu sein und Macht | |
zu haben. Luschke und Ross stehen also knietief in einer trüben Suppe aus | |
Widersprüchen und Verdächtigen. Die will sich selbst nach einer Stunde Film | |
immer noch nicht lichten. | |
Das zieht sich wie ein schwüler Tag bei 35 Grad – bis sich dann, allerhand | |
spät, ein unerhörter Verdacht herauskristallisiert. Dieser Verdacht, der | |
kann hier noch nicht verraten werden. Und der ist vom Konzept her spannend. | |
Denn er stellt sämtliche kriminologischen Hypothesen vom Anfang auf den | |
Kopf – und wir lieben es ja schließlich, uns zu irren. (Neunmalklug, wer’s | |
hat kommen sehen). | |
Leider ist für genau diesen unerhört spannenden Verdacht dann fast kaum | |
noch Film übrig. Irgendwie haben wir uns ein bisschen arg lang in den | |
falschen Fähren festgefressen und für den großen Twist bleiben nur wenige | |
Minuten. Ob die zu einer Runde Sache reichen? Das müssen Sie selber sehen. | |
Świecko-„Polizeiruf“: „Spiel gegen den Ball“, Sonntag, 22. Juni, 20.15… | |
ARD | |
22 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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