# taz.de -- Amazon und Berliner Stadtplanung: Mahnmal in der Wüste | |
> Mit dem Einzug von Amazon in das EDGE-Hochhaus ist „Mediaspree“ | |
> symbolisch vollendet: Das Großprojekt hat viel Stadtraum in Betonwüste | |
> verwandelt. | |
Bild: Das RAW-Gelände in Friedrichshain könnte auch bald verschwunden sein. I… | |
Berlin taz | Wenn am heutigen Montag im Beisein des Regierenden | |
Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) die neue Amazon-Konzernzentrale in | |
Friedrichshain eröffnet, geschieht dies nicht unkommentiert. Das Bündnis | |
„Berlin vs Amazon“ ruft für 10:30 Uhr zur Kundgebung gegen den Einzug des | |
Tech-Riesen in das Anfang des Jahres eingeweihte, 142 Meter hohe „EDGE East | |
Side Berlin“-Hochhaus an der Warschauer Brücke. „Dieses Mahnmal verfehlter | |
Baupolitik ist kein Grund zum Feiern“, schreibt das Bündnis. | |
Denn entgegen der „vollmundigen Versprechen über die angeblichen positiven | |
Auswirkungen ‚regionaler wirtschaftlicher Entwicklung‘“ werde sich die | |
Ansiedelung in dem stark von Gentrifizierung betroffenen Stadtviertel vor | |
allem durch explodierende Mieten und weitere Verdrängung bemerkbar machen. | |
„Mediaspree stand von Anfang an für die bornierte Umsetzung von | |
Investorenträumen über alle berechtigten Einwände und demokratisch | |
legitimierten lokalen Widerstände hinweg.“ | |
Tatsächlich markiert die Eröffnung des Amazontowers das symbolische Ende | |
von „Mediaspree“, einem der größten Investorenprojekte in Berlin. Es | |
bezieht sich auf einen etwa 3,7 Kilometer langen und 180 Hektar großen Raum | |
zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke. Die in den 1990er Jahren begonnenen | |
Planungen sahen die Bebauung der wegen der Berliner Mauer größtenteils un- | |
oder zwischengenutzten Grundstücke entlang der Spree mit Bürogebäuden, | |
Lofts, Hotels und anderen Neubauten vor. | |
Dagegen wurde jahrelang vielfältiger Widerstand geleistet. | |
Kritiker*innen befürchteten von Beginn an eine verschärfte | |
Gentrifizierung, die Privatisierung öffentlichen Raumes etwa am Spreeufer, | |
die Vertreibung von Zwischennutzungen und Subkulturen und generell einen | |
weiteren Ausverkauf der Stadt. Die Bürgerinitiative „Mediaspree versenken“ | |
entstand und führte mehrere Großdemos sowie 2008 einen Bürgerentscheid | |
durch. Durch ihn wurde der Bezirk aufgefordert, auf Bauten innerhalb von 50 | |
Meter Abstand zur Spree, auf Hochhäuser sowie eine neue Autobrücke über die | |
Spree zu verzichten und einen durchgängigen öffentlichen Uferweg zu | |
schaffen. | |
## Punktuelle Erfolge | |
Der Entscheid war erfolgreich, aber nicht bindend – und wurde kaum | |
umgesetzt. Die Wagenplätze Eastside und Schwarzer Kanal, die Clubs Ostgut | |
und Maria, die Strandbars Kiki Blofeld und die alte Bar 25 sind Geschichte. | |
Der freie Uferstreifen ist bis heute nicht wirklich umgesetzt, die neue | |
Autobrücke aber auch nicht. Exklusive Gebäude wie den 14-geschossigen | |
Wohnturm Living Levels direkt an der Spree hätte es gar nicht geben dürfen. | |
„Natürlich müssen wir einsehen, dass Fakten geschaffen wurden“, bilanziert | |
Mads von Berlin vs. Amazon. „Der Bürgerentscheid und die Sorgen von | |
Anwohner*innen wurden ignoriert.“ Dennoch sei die Kampagne gegen | |
Mediaspree kein reiner Misserfolg gewesen: „Es lohnt immer, sich gegen | |
solche Vorhaben zu organisieren, und es ist weiter sinnvoll, den Druck auf | |
Amazon aufrechtzuerhalten.“ | |
Der Architekt Carsten Joost war eines der Gesichter der Initiative | |
Mediaspree versenken. Für ihn war die Kampagne der Beginn einer größeren | |
Stadtdiskussion in Berlin, bei der es nicht nur um ein Projekt, sondern um | |
ein strukturelles Phänomen geht. Punktuell sieht Joost durchaus einige | |
Erfolge: „Die Bar 25 konnte auf der Mediaspree-versenken-Welle das | |
Grundstück des heutigen Holzmarktes bekommen. | |
Geplant war dort ein riesiger Bürokomplex mit Hochhaus.“ In Kreuzberg habe | |
das Bürgerbegehren die weitere Entwicklung aufgehalten. „Und am Osthafen | |
haben wir verhindert, dass an der Elsenbrücke ein weiteres Hochhaus dem | |
Allianz-Turm als monströses Stadttor gegenübergestellt wird.“ | |
## Beispiel Yaam | |
Doch weitere Zugeständnisse wollte die Stadt mit Hinweis auf vertragliche | |
Verpflichtungen nicht machen. Und der Bürgerinitiative ging die Luft aus, | |
es kam zu Flügelkämpfen zwischen der realpolitischen „AG Spreeufer“ und d… | |
linken „AG SpreepiratInnen“. Joost: „Wir haben uns selber versenkt.“ | |
Die einzige Strandbar, die überlebt hat, ist das Yaam. Der Young African | |
Art Market musste mehrfach seinen Standort wechseln und befindet sich heute | |
an der Schillingbrücke, wo früher der Club Maria war. Auch dieses | |
Grundstück sollte verkauft werden, für teure Eigentumswohnungen. „Den | |
Verkaufsvorgang haben wir gestoppt, mit einigen Aktionen und einem | |
‚Kaufangebot‘ über einen Euro“, erzählt Joost. Eigentümer ist jetzt der | |
Bezirk. | |
Man sitzt im Yaam im aufgeschütteten Sand, aus den Boxen dudelt Reggae, die | |
Sonne scheint wie bestellt, die Stimmung ist entspannt. Doch allein der | |
Aufenthalt kostet einen Euro, das Bier gibt es zu Clubpreisen, der Blick | |
auf die Spree ist durch einen Bauzaun getrübt. Die Uferwand zur Spree soll | |
erneuert werden, die Veranstaltungshalle wurde durch den Bezirk für | |
baufällig erklärt und darf deshalb nicht benutzt werden. „Gutachter, die | |
vom Yaam beauftragt wurden, sehen das anders. Das war mal ein Lkw-Parkhaus | |
und Luftschutzbunker. Heute gibt es nicht einmal Risse im Gebäude“, sagt | |
Joost. „Dass das Yaam durch die übertriebenen Nutzungsuntersagungen noch | |
nicht pleite ist, grenzt an ein Wunder.“ | |
## „Seelenlose Corporate City“ | |
Das Aushängeschild von Mediaspree ist aber nicht der Amazontower, sondern | |
das Gebiet rund um die riesige Veranstaltungshalle, die inzwischen Uber | |
Arena heißt. Das Areal gehört dem milliardenschweren US-Investor Philip | |
Anschutz. Aus dem einst von seiner Unternehmensgruppe Anschutz | |
Entertainment Group propagierten „lebendigen Stadtteil“ ist nichts | |
geworden. | |
Im Gegenteil: Das über eine halbe Million Quadratmeter große | |
Anschutz-Gelände ist eine dystopische, kalte Betonwüste geworden. Eine | |
sterile, „seelenlose Corporate City“, schreibt der Tip, die „kreuztraurige | |
Gegend“ sei ein „mit Unternehmensgeld zu Tode empowerte(s) Stück Berlin“, | |
urteilt die Zeit. | |
Mit der Eröffnung der Amazon-Zentrale sind die alten | |
Mediaspree-Bebauungspläne quasi fertiggestellt. Nun solle man „die | |
Eröffnung als Schlusspunkt begreifen und behutsamer und ökologischer ohne | |
Hochhäuser weiterplanen“, fordert Joost. Aber gegenüber sei ja bereits das | |
nächste Hochhaus vorgesehen. „Und das RAW-Gelände soll weitgehend | |
abgerissen werden für einen Hochhausturm und riesige Büroblocks. Das heißt, | |
das frisst sich in den Kiez rein wie eine Seuche.“ | |
Eine Befürchtung, die Mads von Berlin vs. Amazon teilt: „Wenn erst mal so | |
ein Turm steht, entstehen noch weitere Türme, damit wird auch die | |
RAW-Bebauung begründet. Es geht nicht um die Türme an sich, aber mehr Büros | |
und Luxuswohnungen braucht niemand in Berlin.“ Deshalb will seine Gruppe | |
den öffentlichen Druck auf Amazon aufrechterhalten. | |
16 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Darius Ossami | |
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