# taz.de -- US-Trompeter Steve Lands: Wir bestehen aus Sternenstaub | |
> „Rearranging the Planets“, ein Konzeptalbum des US-Trompeters Steve | |
> Lands, vermisst den Weltraum aus afrofuturistischer Perspektive. | |
Bild: Trompeter Steve Lands bei einem Konzert anlässlich des New Orleans Jazz … | |
Der Weltraum ist grenzenlos, ein Topos, der im SciFi-Zeitalter nicht nur | |
kitschige oder technizistische, sondern auch utopische Ideen und | |
Denkmodelle hervorbrachte: Space is the place, beim Afrofuturismus fungiert | |
der Weltraum als Ort ohne Rassismus, „black to the future“, wie es der | |
britische Kulturkritiker Mark Dery formulierte. | |
Bahnen von Planeten um die Sonne, wie sie Isaac Newton in seiner | |
Gravitationslehre bemessen hat, durch Musik auszudrücken, ihre Positionen | |
gar zu verändern, das hat bisher noch niemand so lustvoll und konzentriert | |
vollführt wie der US-Jazztrompeter Steve Lands aus New Orleans mit seiner | |
Musik. | |
Sein Album „Rearranging the Planets“ bringt Töne zum Schweben und | |
verarbeitet die Schwerelosigkeit in den unendlichen Weiten zu | |
kosmologischen Vibrationen. So nah und doch so fern: „Als Ort und Moment im | |
Zwischenraum von Gestirnen, an dem die Körper noch von der Anziehungskraft | |
des einen und schon von der Gravitation des anderen erfasst sind und darum | |
in ein flüchtiges Gleichgewicht geraten.“ | |
Mit diesen Worten hat der Philosoph Joseph Vogl in seinem Essay „Meteor. | |
Versuch über das Schwebende“ die Kosmologie beschrieben. Schweben ist für | |
Vogl nicht einfach ein Zustand, sondern „ein In-die-Höhe-Sinken“. | |
## Musikalisches Denkmal | |
Mit „Rearranging the Planets“ hat Steve Lands dem Schweben der Gestirne im | |
Sonnensystem ein musikalisches Denkmal gesetzt, über immer neue Ausgänge | |
und Improvisationen begegnet er den Phänomenen im Weltraum. | |
Zugleich ist sein Album eine raffinierte Hommage an Gustav Holsts | |
Orchestersuite „The Planets“ (1916). Wobei Lands im strengen Sinn keine | |
Coverversionen macht, sondern einzelne Passagen aus Holsts Vorlage ähnlich | |
dem Versioning dem Dubreggae abwandelt, Sektionen umarrangiert, winzige | |
Melodiepartikel von Holsts siebenteiliger Suite herausarbeitet, um darüber | |
mit seinem zwölfköpfigen Ensemble zu improvisieren. | |
Entfernt vergleichbar mit dem Album „The Nutcracker“, auf dem Duke | |
Ellington und sein Orchester die Ballettmusik von Peter Tschaikowsky 1960 | |
in die Sphäre des Hardbop-Bigbandjazz katapultierten. | |
## Gustav Holsts Orchestersuite „The Planets“ | |
Wo der britische Komponist Gustav Holst gegen Ende des Ersten Weltkriegs | |
mit seiner Planeten-Suite Sternendeutung betrieb, um dem Getöse des | |
Blutvergießens zu entrinnen, hat die Entstehungsgeschichte von „Rearranging | |
the Planets“ mit dem Ausnahmezustand um 2020 zu tun. | |
[1][Lands, der 36-jährige US-Trompeter], der in der Industriestadt Baton | |
Rouge/Louisana aufgewachsen ist, zuerst im Gospelchor seiner Eltern sang | |
und dann am Konservatorium Musik studierte, von Delfeayo Marsalis in New | |
Orleans an der Trompeter im Orchester ausgebildet wurde, kennt die Musik | |
von „The Planets“ seit der Jugend. | |
Vor allem die ersten beiden Sätze von „The Planets“ hatten es ihm angetan, | |
die schmetternde Posaune bei der Ouvertüre und er untersuchte auch die | |
Vorbildrolle von Holsts orchestralem Werk des frühen 20. Jahrhunderts als | |
Blaupause für John Williams’ Soundtracks zu Filmen wie „Star Wars“ (1977… | |
2016 war Lands als Teil der Preservation Hall Jazzband (einer städtischen | |
Bandinstitution des New Orleans Jazz) auf US-Tour und beschloss, die Zeit | |
auf den Busfahrten mit Transkription zu überbrücken. Lands schrieb | |
währenddessen neue Scores für „Mars, the Bringer of War“ und „Venus, the | |
Bringer of Peace“, die zwei ersten Sätze von Holsts Sinfonie. | |
## Space Music | |
„Ich lud befreundete Musiker:Innen ein, wir trafen uns und sprachen | |
über meine Arrangements.“ Die Idee für eine orchestrale Jazzkomposition für | |
Space Music war geboren, blieb dann aber im Alltagsstress unerledigt. | |
Bis 2020 die Coronapandemie ausbrach, ein globales Ereignis, das man vorher | |
bestenfalls aus dystopischen SciFi-Romanen kannte. Steve Lands schreibt der | |
taz zur Umwälzung der USA während der Pandemie: „In ihrem Kern sind die USA | |
eine kapitalistische Knochenmühle. Du erwachst täglich aufs Neue und musst | |
wieder mahlen. Du strampelst dich ab für mehr Follower auf Social Media. Du | |
strampelst dich ab, um überhaupt Gigs zu bekommen und für annehmbare Gagen. | |
Mahlen, mahlen, immer nur mahlen.“ | |
Durch Corona kam auch Lands Arbeitspensum zum Erliegen. Er habe den Beginn | |
der Pandemie als monumentales Ereignis in Erinnerung, wie nie zuvor seien | |
die USA im Stillstand gewesen. Er kam ins Grübeln: „Was ist das für eine | |
Knochenmühle? Wer betreibt sie und was ist eigentlich ihr Ziel? Dazu der | |
inkompetente Präsident Trump und sein mieses Handling der Pandemie. „Ich | |
hatte das Gefühl, meine Lebenszeit läuft vorzeitig ab. Die Zukunft schien | |
noch ungewisser als je zuvor.“ | |
## Zentrale Rolle der Musik in New Orleans | |
New Orleans ist eine Stadt, in der die Live-Performance alltäglich ist, | |
Musik spielt eine zentrale Rolle im Selbstverständnis der Stadt, die als | |
Geburtsort des Jazz gilt. Umso härter fühlten sich die geschlossenen Clubs, | |
die Distanz, die Konzertverbote zu Coronazeiten in New Orleans an. | |
Tourismus und Musikkultur brachen ein. | |
Steve Lands konnte sich mühsam über Wasser halten, indem er | |
Schüler:Innen im Netz unterrichtete und im Freien jammte. Dazu einige | |
Studiojobs für Bands wie die US-Rockband Black Keys. „Ich muss etwas tun, | |
an das ich wirklich glaube. So verstehe ich Kunst. Und ich kann das nur | |
leisten, wenn ich genügend Zeit dafür habe, wenn ich ohne Existenzangst | |
lebe. Und das sind direkte Auswirkungen der Krisen unseres Planeten. Wenn | |
man denkt, die Zeit verrinnt, wenn man sein Ende direkt vor Augen hat, wird | |
Dasein zum nackten Überleben.“ | |
Oft kam Lands während Corona J. D. Salingers Romanklassiker „Der Fänger im | |
Roggen“ in den Sinn, verfasst während des Zweiten Weltkriegs. „Er sah | |
sicher ein ungeheureres Ausmaß an Gewalt als ich, und doch fühlte ich bei | |
Corona ähnlich: Was bedeutet es, wenn Leben ständig mit dem Tod | |
konfrontiert ist.“ | |
Lands hat den Liner Notes von „Rearranging the Planets“ ein Motto des | |
US-Astronomen Carl Sagan vorangestellt: [2][„Wir bestehen alle aus | |
Sternenstaub.“] Und ja, bisweilen fühlt sich die Musik von „Rearranging the | |
Planets“ ganz leichtfüßig an, manchmal wird man von ihr auch | |
weggeschmettert. | |
## Random walk in space | |
Manchmal hat sie den Blues, oft lässt das Ensemble, darunter ein Drummer | |
und ein Perkussionist, mit dem Groove darüberhinwegkommen. Die Musik | |
findet immer neue Hooklines, ein random walk in space, gleitet geschmeidig | |
von einer Passage zur nächsten und macht dabei die Rotation der Planeten | |
anschaulich. | |
Die Kompositions- und Arrangementarbeit an den 14 Stücken von „Rearranging | |
the Planets“ beanspruchte den Komponisten bis 2022, als Lands das Werk | |
erstmals mit Ensemble live in New Orleans aufführte. „Die Kompositionen | |
stammen alle von mir, darin eingeschrieben sind bereits die künstlerischen | |
Freiheiten der Band, wie sie Sätze der Suite beim Spielen | |
weiterentwickeln.“ | |
Steve Lands kann sich glücklich schätzen, talentierte Musiker:Innen, wie | |
den Saxofonisten Gladney, den Keyboarder Shea Pierre und die Sängerinnen | |
Amber René und Meghan Stewart um sich zu haben. New Orleans gilt heute als | |
eher traditionalistische Jazzmetropole. | |
## Geboren in New Orleans in Lousiana | |
Eine Behauptung, die Steve Lands und sein Ensemble widerlegen: „Die meisten | |
in der Band sind in NOLA geboren und aufgewachsen. Die haben den Sound | |
jeder lokalen Jazzära drauf, von Sidney Bechet und King Oliver, bis zu The | |
Meters und Eddie Bo, ob Funk oder zeitgenössischer Jazz von James Black und | |
Ellis Marsalis, alles fließt ansatzlos ineinander und landet auch jenseits | |
davon.“ Geschichte implementiert sich fast automatisch beim Spielen. | |
„Unser Weltraum ist groovy und freigeistig. Manchmal strukturiert, | |
gelegentlich chaotisch, er kann schön und warm klingen, aber auch kalt und | |
destruktiv. Man kann den Weltraum nicht begrenzen. Das Gleiche gilt für den | |
Jazz in New Orleans. Von hier ist es gar nicht weit bis ins All, die | |
Verbindungen finden sich leicht, man muss nur wissen, wonach man schaut und | |
wie man sein Wissen anwendet.“ | |
„Rearranging the Planets“ strahlt heller als die Sonne, es ist ein | |
fulminantes Meisterwerk, über das noch lange zu sprechen sein wird. | |
31 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://thestevelands.bandcamp.com/album/rearranging-the-planets | |
[2] /Blaxploitation-Scifi-Musikfilm-mit-Sun-Ra/!5613979 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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