# taz.de -- Kinotipp der Woche: Seherwartungen durchpusten | |
> Das Fracto Festival feiert den experimentellen Film und seine Bildströme. | |
> Dieses Jahr im Fokus: das Werk der ungarischen Filmemacherin Dóra Maurer. | |
Bild: Weltpremiere am 23. Mai: Cherlyn Hsing-Hsin Lius „I Carry the Universe … | |
Am neugierigen Blick einer Kuh führt der Weg vorbei zur Geborgenheit. Der | |
französische Regisseur Adrien Charmot. Das Licht- und Schattenspiel auf | |
einer Blumenvase vor einem Bücherregal etabliert den gemächlichen Fluss der | |
Zeit im Haus der Familie des Filmemachers. Tische werden gedeckt, das Land | |
um das Haus bestellt. In allen Verrichtungen, in den Berührungen der | |
Menschen untereinander wird Vertrautheit spürbar. Ausschnitte aus alten | |
Filmaufnahmen und Fotos unterlegen die Gegenwart mit Geschichte. Charmots | |
„The House by the River“ ist Film gewordene Geborgenheit. | |
Der Film ist Teil des ersten Programms der diesjährigen Auswahl an | |
Experimentalfilmen mit dem am Donnerstag (22. 5.) im Berliner [1][Kunsthaus | |
Acud] die achte Ausgabe der Fracto Experimentalfilmbegegnungen beginnt. Das | |
[2][Festival] präsentiert 25 Filme in fünf Kurzfilmprogrammen, ergänzt um | |
ein Focusprogramm zu der ungarischen Filmemacherin Dóra Maurer. Begleitet | |
wird das Festival von einem exquisiten [3][dreitägigen Workshop], der den | |
Teilnehmer_innen Grundlagen experimenteller Animation vermittelt. | |
Film spielt in Maurers künstlerischem Werk seit den 1970er Jahren eine | |
Rolle, als sie in „Angelernte Unwillkürliche Bewegungen“ Variationen | |
alltäglicher Handgriffe wie das Haar hinter das Ohr zu streichen | |
untersuchte. Spätere Filme griffen filmische Gestaltungsmittel wie optische | |
Täuschungen auf oder verbanden diese mit Handgriffen aus der Hausarbeit, so | |
fungiert in „Timing“ das Falten eines Lakens als Maßeinheit für Zeit. | |
Die US-Künstlerin Cherlyn Hsing-Hsin Liu verbindet in ihren Arbeiten | |
experimentelle Literatur mit verschiedenen Medien. In ihrem Film „I Carry | |
the Universe with Me“, der als Teil der „Selection #2: Talking of A Land“ | |
am Freitag (23. 5.) Weltpremiere feiert, gliedern Texteinblendungen Footage | |
aus der Vergangenheit und Gegenwart von Kalifornien. Die Texte stammen | |
teilweise von einer Software zur Bilderkennung und zeugen von einem | |
erfreulich dadaistischen Verhältnis zur Realität. | |
Sonntagabend (25. 5.) steht dann im Rahmen des letzten Programms der | |
diesjährigen Selection endlich, endlich auch die Deutschlandpremiere von | |
Siegfried A. Frühaufs „Mare Imbrium“ an. Eine Figur aus weißen | |
Lichtsignalen scheint vor dunklem Hintergrund auf der Leinwand zu tanzen. | |
Ihr gesellen sich weitere Figuren hinzu bis sich schließlich zu einem | |
lauter werdenden Knistern die Tanzfläche der Leinwand mit Lichtpartikeln | |
füllt. | |
Frühaufs neuster Film sind zwölf Minuten Hommage an den Mond, benannt ist | |
der Film nach einer Lava-Landschaft auf einem der Krater des Mondes. | |
Frühaufs Film konstruiert aus den Reflexionen des Monds im Wasser, aus | |
Lichtpunkten, Lichtschlieren und schließlich aus fast malerischen | |
Strukturen einen Film, dem man sich vom ersten Moment an anvertraut und der | |
im Nachhall ein Meer von Fragen aufwirft – grundlegende nach der | |
menschlichen Wahrnehmung, nach Licht in Raum und Zeit ebenso wie filmische | |
zur Strukturierung solcher scheinbar abstrakten Filme und zum Verhältnis | |
von Bild und Ton. | |
Auch in diesem Jahr holt Fracto experimentelle Filme nach Berlin, die sonst | |
in dieser Konzentration nur selten sichtbar sind und bietet die | |
Gelegenheit, unsere filmischen Seherwartungen einmal ordentlich | |
durchzupusten. Das Festival ist eine Einladung, sich für den wahren | |
Reichtum filmischer Formen zu öffnen, der sich jenseits des Diktats der | |
Narration eröffnet, und sich Bildströmen anzuvertrauen, ohne immer schon | |
vorab zu wissen, wohin sie einen als Zuschauer_in tragen. | |
21 May 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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