| # taz.de -- Kaschmir: Krieg nach Drehbuch | |
| > Die militärische Auseinandersetzung zwischen Indien und Pakistan folgt | |
| > der Logik der kontrollierten Eskalation – genau darin liegt die Gefahr. | |
| Bild: Indische Soldaten stehen Wache, während eine Frau auf einen Markt im ind… | |
| Jetzt also auch noch [1][Indien und Pakistan], als gäbe es nicht schon | |
| genug Kriege gleichzeitig auf der Welt. Beide Staaten sind auf Eskalation | |
| programmiert, die wechselseitigen Propagandatrommeln laufen auf Hochtouren, | |
| der Ausgang ist offen. | |
| Der Krieg verläuft wie [2][nach einem vorbereiteten Drehbuch]. Als Rache | |
| für einen Terroranschlag auf Urlauber im indischen Kaschmir am 22. April, | |
| für den Indien Pakistan verantwortlich macht, wurden erst Grenzen | |
| geschlossen und Wasserabkommen gekündigt. Am Mittwoch 7. Mai flog Indien | |
| Raketen auf Pakistan, offiziell gegen Terrorstützpunkte. Pakistan schoss | |
| mindestens einen indischen Kampfjet ab. Indien beschoss die pakistanische | |
| Luftabwehr. Pakistan beschoss den indischen Flughafen Jammu. Das alles in | |
| nur 48 Stunden. | |
| Das Drehbuch heißt: kontrollierte Eskalation. Auf jeden Angriff des Gegners | |
| folgt ein stärkerer eigener Angriff. Es geht nicht um bloße „Vergeltung“, | |
| erklären indische Militäranalytiker, sondern um „Abschreckung“ – bei | |
| Vergeltung wird proportional zurückgeschossen, bei Abschreckung | |
| überproportional. Das ist rational, erprobt und durchdacht. | |
| Militärhistoriker des 19. Jahrhunderts dürften ihre helle Freude an diesem | |
| Krieg haben, der ihnen in Echtzeit vorführt, wie man es früher in Europa | |
| machte. An wenigen Orten auf der Welt ist das „alte Denken“ aus jener Zeit | |
| so perfekt konserviert wie in den Denkfabriken und Militärakademien des | |
| indischen Subkontinents. | |
| Und doch passt dieser Krieg perfekt in die Welt des verrückten Jahres 2025. | |
| In einer Zeit der allgemeinen Enthemmung in den internationalen Beziehungen | |
| ist die Logik der kontrollierten Eskalation alternativlos. Nur so wird man | |
| respektiert. Du greifst mich an, ich schlage doppelt so hart zurück, so | |
| lautet die Formel. Netanjahu und Erdoğan beherrschen das im Schlaf. Trump | |
| betreibt so seine gesamte Außen- und Handelspolitik. Putin steigert das zur | |
| Gangsterlogik: Ich schlage als Erster zu, und zwar doppelt so hart, wie du | |
| es je könntest. Die ganze Welt weiß, wie das geht. | |
| ## Provozieren, Zähne zeigen, abwarten | |
| Es gibt also Gründe, sich keine allzu große Sorgen zu machen. Wer die Logik | |
| der kontrollierten Eskalation beherrscht, weiß auch ganz genau, wie man im | |
| richtigen Moment innehält, ohne in der Sache nachzugeben: provozieren, | |
| Zähne zeigen, abwarten. Indien und Pakistan haben ihre Kriege zumeist | |
| gestoppt, bevor es richtig schlimm wurde wie 1971, als Ostpakistan sich als | |
| „Bangladesch“ von Pakistan abspaltete, Pakistan in Indien einmarschierte | |
| und Tausende auf beiden Seiten starben, bevor Pakistan die Waffen streckte. | |
| Aber genau darin liegt auch die Gefahr. Wer die Logik der kontrollierten | |
| Eskalation beherrscht, weiß eben auch ganz genau, wie man sie entfesselt | |
| und außer Kontrolle setzt. Bis heute sinnen Pakistans Generäle auf | |
| Revanche für 1971, und bis heute ist Indien seitdem [3][überzeugt, einen | |
| Krieg gewinnen zu könne]n. Die geopolitischen Vorbereitungen darauf gehören | |
| zum Selbstverständnis beider Länder. | |
| Pakistan geriet vollends unter die Fuchtel seines Militärs; es suchte | |
| „strategische Tiefe“, unterstützte die Taliban in Afghanistan und näherte | |
| sich China an. Indien glitt in einen intoleranten Hindunationalismus | |
| ab; es suchte die militärische Überlegenheit und knüpfte mal Verbindungen | |
| zu Russland als Waffenlieferanten und mal zu den USA, die Alliierte gegen | |
| China brauchen. Die geopolitischen Spiele im Asien des 21. Jahrhunderts | |
| ähneln denen in Europa des 19. Jahrhunderts, nur dass die Spieler keine | |
| „Schlafwandler“ sind wie im berühmten Buchtitel des Historikers Christopher | |
| Clark über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 1914 bis 1918: Sie | |
| wissen, was sie tun. | |
| Der Erste Weltkrieg geriet nicht außer Kontrolle, weil einzelne | |
| Kriegsparteien überstürzt in die Schlacht zogen, sondern weil das Spiel der | |
| Bündnisse in Europa eine unkontrollierbare Kette von Kriegsausweitungen | |
| nach sich zog. Auch in Asien ist die gefährlichste Nachricht dieser Tage | |
| nicht in den Schlagzeilen zu finden, sondern in der Bestätigung, dass es | |
| Pakistans Luftwaffe gelang, mit ihren chinesischen Kampfjets französische | |
| Kampfjets der indischen Luftwaffe abzuschießen. Und zwar in einer Aktion, | |
| in der keine Seite den eigenen Luftraum verließ. | |
| Zum ersten Mal hat China sein Militärgerät damit erfolgreich unter echten | |
| Bedingungen gegen hochmodernes europäisches Militärgerät getestet. Die | |
| Lehren daraus sind offensichtlich und beängstigend. In Taiwan wird man das | |
| genau studieren. Indien könnte nun die Eskalation beschleunigen und | |
| Pakistan vorbeugend in die Knie zwingen wollen. Und schon stünde die Welt | |
| mitten in einem großen Krieg, der die Kriege [4][in der Ukraine] und i[5][m | |
| Nahen Osten] in den Schatten stellen könnte. Das verrückte Jahr 2025 ist | |
| noch jung. | |
| 10 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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