| # taz.de -- Kulturkneipe vor dem Aus: Es ist zum Kotzen | |
| > Weil die Immobilienbesitzer nicht mehr wollen, droht dem „Watt“ die | |
| > Schließung. Mit ihr verschwände einer der letzten Orte Ostberliner | |
| > Renitenz. | |
| Bild: Hat es sich bald ausgespielt? Dem Watt droht das Ende | |
| Berlin taz | Von außen sieht das Watt in der Metzer Straße aus wie ein | |
| normales Ecklokal. Doch diese „Kulturspelunke“ in Prenzlauer Berg hat eine | |
| interessante Geschichte, die am 30. September enden soll. Zumindest wenn es | |
| nach dem Willen der neuen Hauseigentümer aus dem Westen – Many Ameri und | |
| Anne Ameri-Siemens – geht. Sie wollen den Vertrag mit der Betreiberin Sindy | |
| Kliche, der zu diesem Datum ausläuft, nicht verlängern. | |
| Aber noch haben die Stammgäste, die dort regelmäßig Lesungen, Diskussionen | |
| und Konzerte veranstalten sowie ihre Underground-Periodika vorstellen, | |
| nicht aufgegeben. Schon mehrfach positionierten sie sich in den vergangenen | |
| Wochen mit „Watt muss bleiben!“-Schildern vor dem Lokal, als die neuen | |
| Hausbesitzer das Lokal inspizieren wollten. | |
| Zuvor war unter den Stammgästen diskutiert worden, ob man die Eigentümer | |
| nicht lauthals beschimpfen oder gar tätlich werden sollte. Schließlich sei | |
| die „Kulturspelunke eine der letzten übriggebliebenen Kneipen in Prenzlauer | |
| Berg, die diesen Namen verdient“, wie der korsische Schriftsteller | |
| Guillaume Paoli in einem Rundbrief schreibt. | |
| Der Presse wollten die Eigentümer keine Auskunft geben. Auf der Webseite | |
| ihrer Agentur Yadastar ist von der Förderung von „Graswurzel-Netzwerken und | |
| realen Begegnungen“ die Rede und ferner, dass sie die „Red Bull Music | |
| Academy“ mitbegründet hätten. Anne Ameri-Siemens veröffentlichte daneben | |
| 2017 eine Recherche über die RAF. | |
| ## Alternative Geschichte in Gefahr | |
| „Ihre de-facto-Kündigung beendet nach zehn Jahren nicht nur die Arbeit | |
| einer zentral gelegenen Institution und Nachbarschaftskneipe“, sagte ein | |
| Sprecher der Watt-Rettungs-Initiative der taz, der nicht namentlich genannt | |
| werden will. Die Initiative setzt sich aus dem harten Kern der Stammgäste | |
| und ihren Sympathisanten zusammen. Der Sprecher kritisiert, die neuen | |
| Hauseigentümer [1][aus dem Westen] schrieben sich die Förderung von Kunst | |
| und Kultur auf die Fahnen, um dann aber einen Schlussstrich „unter die | |
| renitente Kunst- und Kulturgeschichte im ehemaligen Arbeiterbezirk“ zu | |
| ziehen, „der für Jahrzehnte Knotenpunkt und Umschlagplatz der | |
| Unangepasstheit war“. | |
| Das Watt wurde 2010 vom Dichter Bert Papenfuß und der Künstlerin Mareile | |
| Fellien unter dem Namen „Rumbalotte“ gegründet. Es gab eine Förderung vom | |
| Arbeitsamt und einen „Coach“, der ihnen ständig riet, die Kneipe durch das | |
| Anlocken von Touristen lukrativer zu machen – etwa mit Mixgetränken, die | |
| der Schriftsteller Stefan Schwarz abfällig „Hawaii-Gelumpe“ nennt. | |
| Touristen wollten die beiden Betreiber gerade nicht haben. | |
| 2015 übergaben sie die Kneipe der quasi professionellen | |
| Gaststättenbetreiberin und Künstlerin Sindy Kliche, die sie in „Watt“ | |
| umbenannte, auch etwas andere Musik auflegte und die Wandmalereien des | |
| radikalen russisch-österreichischen Aktionskünstler-Duos Alexander Brener | |
| und Barbara Schurz übermalte. Nach Bert also Sindy – dieses Duo kannte man | |
| bisher nur als „Cindy und Bert“ aus dem Westfernsehen, es hatte nicht | |
| gerade einen guten Ruf. Mit den beiden im Osten war das anders. | |
| Nachdem sie ihre Kneipe an Sindy abgegeben hatten, mieteten Mareile und | |
| Bert einen Raum in einer stillgelegten Pankower Brauerei an – als | |
| Rumbalotte II, für die sie einen Unterstützerverein gründeten. Die | |
| Rumbalotte I blieb jedoch auch als Watt Stammkneipe und Veranstaltungsraum. | |
| ## Prenzlberg nach der Wende | |
| [2][Bert Papenfuß starb überraschend am 26. August 2023 mit 67 Jahren.] | |
| Sein Vater war NVA-Offizier, Bert verweigerte jedoch den Armeedienst und | |
| verpflichtete sich als „Bausoldat“. Zuvor war er in Leningrad zur Schule | |
| gegangen, was zur Folge hatte, dass er Russisch sprach und einen Hang zum | |
| Maritimen hatte. Nach seinem Dienst arbeitete er als Ton- und | |
| Beleuchtungstechniker in verschiedenen Theatern. Ab 1980 schlug er sich als | |
| freier Schriftsteller durch. Seine Lesungen wurden meist von Rock- und | |
| Punkbands flankiert, an eine Buchveröffentlichung war in der DDR nicht zu | |
| denken. | |
| Es gab einige wenige Westberliner Stammgäste, die ihn bereits aus Kreuzberg | |
| kannten, wo er eine Zeitlang wohnte und eine Chicagoer Punksängerin | |
| heiratete. Mit ihr hatte er eine Tochter: Leila. Damals bekamen etliche | |
| DDR-Punker Ausreisegenehmigungen nach Westberlin. Sie vermuteten, dass die | |
| Regierung hoffte, sie würden dableiben. Dem war aber nicht so: Es waren | |
| keine Republikflüchtlinge, sondern Anarchisten, die weiter an den Fesseln | |
| des sozialistischen Kulturbetriebs zerren wollten. | |
| Als einige von ihnen nach der Wende in Prenzlauer Berg die Kneipe | |
| Torpedokäfer eröffneten, gehörte Papenfuß quasi zum Inventar. Hinter der | |
| Theke arbeitete Lothar, ein Philosoph, der lange Gutachten und Einsprüche | |
| brauchte, um nicht vom Arbeitsamt zum Gärtner umgeschult zu werden. | |
| Ironischerweise verirrte sich dorthin auch einmal ein Gitarrist aus | |
| Heidelberg, der ebenso lange (zwei Jahre) gebraucht hatte, um vom | |
| Arbeitsamt eine Umschulung zum Gärtner bewilligt zu bekommen. | |
| Eine der Kellnerinnen im Torpedokäfer war Djamila, die so bezaubernd war, | |
| dass alle möglichen männlichen Gäste ihr Komplimente und | |
| Freundschaftsanträge machten – auf Bierdeckeln, Büttenpapier oder | |
| ausgerissenen Kalenderseiten. Sie sammelte diese zum Teil gereimten | |
| Geständnisse und stellte sie dann im Torpedokäfer aus – eine ganze Wand | |
| voll. Der Name der Kneipe ging auf den ursprünglichen Titel der | |
| Autobiografie des expressionistischen Dichters und Schiffsentführers Franz | |
| Jung zurück, dessen Buch später „Der Weg nach unten“ hieß – was in gew… | |
| Weise auch auf die Nachwende-Perspektiven der Torpedokäfer-Stammgäste | |
| zutraf. Viele von ihnen sahen sich nach der Westerweiterung auf das | |
| Territorium der DDR ihrer regelmäßigen Einkünfte beraubt und verloren ihre | |
| Wohnungen im Prenzlauer Berg wegen exorbitanter Mieterhöhung oder | |
| Eigenbedarf. | |
| ## Von der Russendisko bis zur Kulturspelunke | |
| Bert Papenfuß war derweil mit dem dissidentischen Verlag Basisdruck liiert | |
| und forschte über Piraten. Die Texte wurden im Verlag meist nach dem alten | |
| linksradikalen Prinzip „Wer schreibt, der zahlt“ herausgegeben. Im | |
| Basisdruck erschienen nacheinander auch die Zeitschriften Sklaven, Sklaven | |
| Aufstand, Gegner und nun Abwärts. Papenfuß war bei allen Redakteur. | |
| Als der Torpedokäfer schließen musste (ebenfalls wegen Nichtverlängerung | |
| des Pachtvertrags) eröffnete Papenfuß mit zwei Freunden das „Kaffee Burger�… | |
| in der Torstraße in Mitte, wo dann regelmäßig eine „Russendisko“ von | |
| Wladimir Kaminer stattfand, die massenhaft Gäste anzog. Alle vier wurden | |
| damit reich – zumindest vorübergehend. Papenfuß stieg nach einer Weile aus | |
| diesem Touristenmagnet aus und bekam dafür ein paar Jahre lang eine Rente | |
| von seinen Mitbetreibern. Danach eröffnete er zusammen mit Mareile Fellien, | |
| die ihn inzwischen geheiratet hatte, die Kulturspelunke Rumbalotte in der | |
| Metzer Straße. | |
| Das Wort Rumbalotte (zuvor eine Papenfußsche Buchreihe) geht auf eine Zote | |
| des Westberliner Künstlers Thomas Kapielski zurück: Drei Matrosen | |
| vergleichen ihre reichlich tätowierten Schwänze, wobei sie über einen | |
| lachen, der nur das Wort Rumbalotte darauf stehen hat. Er bringt sie jedoch | |
| zum Staunen, als daraus im erigierten Zustand der Satz „Ruhm und Ehre der | |
| baltischen Rotbannerflotte“ wird. | |
| Als Papenfuß starb, war die „Scene“ entsetzt, denn er war ihr bester | |
| Integrator und herrlich freimütig: So stellte er zum Beispiel den | |
| arbeitslosen und deprimierten Stasi-Offizier, der die Inoffiziellen | |
| Mitarbeiter (IM) für die Prenzlauer-Berg-Anarchos betreut hatte, als | |
| Türsteher im Kaffee Burger ein und veröffentlichte auch dessen | |
| Agitprop-Gedichte im Gegner. Und mit seinem quasi persönlichen IM Sascha | |
| Anderson bestritt er Dichterlesungen. Sein Tod beendete auch die Herausgabe | |
| der Autobiografie von Norbert „Knofo“ Kröcher, Mitglied der militanten | |
| Bewegung 2. Juni, dessen zweiten Band Papenfuß fast fertig lektoriert | |
| hatte. „Knofo“ war zuletzt ehrenamtlicher Feuerwehrhauptmann in Brandenburg | |
| und hatte sich 2016 erschossen. | |
| ## Die letzte Bastion | |
| Aber die anderen Watt-Gäste leben. Man sollte sie eigentlich alle hier | |
| vorstellen, aber einige müssen genügen: der Philosoph und Katzenfreund Hugo | |
| Velarde, der gelegentlich die Ballade von Don Quijote vorträgt und gerade | |
| einen Roman veröffentlicht hat. Der Dichter Kai Pohl, der oft und gerne | |
| Veranstaltungen organisiert. Der Musikkritiker Robert Mießner, der manchmal | |
| für die taz schreibt. Der Basisdruck-Verleger Stefan Ret, ein solider | |
| Kenner der Arbeiterbewegung. | |
| Die Autorin Su Tiqqun, die als Mitbetreiberin des Tacheles ein Buch über | |
| dieses „Kunsthaus“ in der Oranienburger Straße veröffentlicht hat, in dem | |
| sie an all die Dramen und skurrilen Tragödien erinnert, die dort geschahen. | |
| Ein Rezensent schrieb: „Furchtbar wurde es aber, als das Berlin-Marketing | |
| das Tacheles für sich entdeckte und die Stadt schließlich das Areal an | |
| Investoren verkaufte, die nun Luxuswohnungen darauf errichtet haben, von | |
| denen eine so viel kostet, wie die Stadt für das gesamte Gelände bekommen | |
| hat.“ | |
| Es ist immer wieder dieselbe Geschichte, die sich hier im Osten seit der | |
| Westerweiterung abspielt. Und man kann kaum etwas dagegen tun. Es ist zum | |
| Kotzen. Zumal diese Austreibung der „Watt“-Kneipe nach dem seit 1990 | |
| immergleichen Schema geschieht: Betuchte Westler wurmen sich im Osten ein | |
| und verdrängen die dort lebenden und arbeitenden Ostler. Bald ist nichts | |
| mehr da, was sich derart gentrifizieren ließe. Denn in der Kulturspelunke | |
| verkehrte „der renitente Rest der Prenzlauer Berg Connection“, wie Bert | |
| Papenfuß bereits 2015 bemerkte. | |
| 26 May 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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