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# taz.de -- Polizeiruf 110 „Widerfahrnis“: Brasch will es nicht loslassen u…
> Obwohl die Frau im Graben nicht tot ist, fängt Kommissarin Brasch an zu
> ermitteln. Ein schauspielerisch reibungsloser Polizeiruf, der die
> Gehirnwindungen verknotet.
Bild: Brasch (Claudia Michelsen) ermittelt im Tatort „Widerfahrnis“
Eins ist klar an diesem Wintermorgen: Die Kommissarin ist nicht zuständig.
Denn die Frau, die da im Graben an der Bundesstraße liegt, lebt noch.
Wahrscheinlich angefahren. Im Koma kommt sie auf die Intensivstation.
Klarer Fall fürs Unfalldezernat, keiner für die Mordkommission.
Aber [1][Kommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen)] lässt der Fall
nicht los. Oder vielmehr: Sie lässt den Fall nicht los. Denn was machte
eine Frau mitten im Winter nachts zu Fuß im Nirgendwo? Und warum hat sie
weder Namen noch Ausweis noch irgendwen, der nach ihr sucht?
## Zwischen Gegenwart und Vergangenheit
An diesem Punkt zerbricht der Polizeiruf 110 „Widerfahrnis“ von Umut Dağ
(Regie), Zora Holtfreter und Lucas Thiem (Buch) in zwei Zeitebenen. In der
Gegenwart macht Brasch, was Kommissarinnen [2][im Polizeiruf eben machen:
Fährten verfolgen]. Drei Personen haben im Leben des mysteriösen
Unfallopfers zuletzt eine Rolle gespielt: eine Sexarbeiterin, ein
Stararchitekt, eine alleinerziehende Studentin. Keiner der drei kann –
oder will – so wirklich weiterhelfen.
Wenn Brasch nicht weiterweiß, wechseln wir in die Vergangenheit. Eine alles
wissende, aber nichts preisgebende Kamera folgt der unbekannten Frau in
respektvollem Abstand durch die letzten Wochen vor dem Unfall. Dabei kommt
es zu Wendungen, Fehldeutungen, Überraschungen. Der Krimi ähnelt einer
Partie Black Stories – diesem Gesellschaftspiel, bei dem man die Indizien
tröpfchenweise zu sich nimmt.
Freude haben wird, wer sich gerne die Gehirnwindungen verknoten lässt.
„Widerfahrnis“ fragt nämlich nicht nur in klassischer Krimi-Manier „Wer …
es getan?“, sondern auch „Was ist eigentlich es?“, und schließlich: „W…
wollen wir das wissen?“
Wer Krimis auf der Suche nach psychologischer Tiefe und realistischen
Figuren einschaltet, könnte enttäuscht werden. Denn, wie häufig bei einer
Haken schlagenden Geschichte, leidet die Glaubhaftigkeit. Die Figuren
verhalten sich, wie das Drehbuch es braucht, ihre Motivationen sind schwer
nachvollziehbar. Und warum möchte (und darf) Brasch tagelang ein ganzes
Kommissariat der Kripo blockieren, um einen Nicht-Mordfall zu ermitteln?
## Über Logiklücken wird beherzt gesprungen
Egal, denn schauspielerisch ist das reibungslos umgesetzt. Claudia
Michelsen und alle Darstellenden schaffen es, die Fragezeichen in ihre
Figuren zu integrieren und über die Logiklücken beherzt drüberzuspringen.
Mareike Sedl beeindruckt als kaum zu greifende „Jane Doe“. Mit
außergewöhnlicher Mimik und weniger als einer Handvoll Sätze liefert sie
eine Figur, die berührt. Stephan Kampwirth derweil gelingt es als
Star-Architekt Tamm sogar, den Archetyp „Mann mit Villa“ sympathisch zu
machen.
Man kann in „Widerfahrnis“ ein Krimi-Experiment sehen, das erzählerisch
nicht voll überzeugt, schauspielerisch dafür viel reinholt. Oder aber man
vergisst das Genre und versteht den Film als Gedankenexperiment: Was gehört
dazu, vergessen zu werden? Wer kann es verhindern?
Der Polizeiruf ist hier auf tragische Weise von der Realität eingeholt
worden: Zwischen Dreh und Ausstrahlung verstarb Schauspieler Pablo Grant.
Grant spielte Braschs Partner Günther Márquez. Der Film ist ihm gewidmet.
Und spendet vielleicht Trost. Denn wie Brasch hier gibt es in der Realität
ja Leute, die dafür sorgen, dass Menschen in Erinnerung bleiben. Auch wenn
sie gar nicht dafür zuständig sind.
[3][Polizeiruf „Widerfahrnis“, So, 4. Mai, 20.15 Uhr, ARD]
4 May 2025
## LINKS
[1] https://www.ardmediathek.de/sammlung/polizeiruf-110-folgen-mit-brasch-oder-…
[2] /Polizeiruf-110-aus-Brandenburg/!6039584
[3] https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/polizeiruf-110/sendung/widerfahr…
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Wochenendkrimi
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