| # taz.de -- Neuer Dortmund-„Tatort“: Die Macht der manipulativen Kamera | |
| > Vom Plot her kein ungewöhnlicher Tatort: Herausragend aber, wie die | |
| > Kamera dafür sorgt, dass das Misstrauen im Dortmunder Dezernat auch uns | |
| > erfasst. | |
| Bild: Peter Faber (Jörg Hartmann) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) | |
| Der Fernsehkrimi ist dafür da, die Welt kurz vor dem Schlafengehen noch mal | |
| säuberlich in richtig und falsch zu teilen. Das behaupten Leute oft. Und da | |
| ist auch was dran. Bei vielen – womöglich gar den meisten – Krimis fühlen | |
| wir uns einigermaßen moralisch geerdet. Dabei hilft [1][die filmische | |
| Gestaltung]. | |
| Je nach Kameraeinstellung wissen wir nämlich: Aha, das ist jetzt der | |
| geradlinige, stabile Blick des Herrn Kommissar, dem können wir trauen. Das | |
| andere, diese wacklige Einstellung von rechts oben, das ist ganz bestimmt | |
| der Täter. | |
| [2][Der Dortmunder „Tatort“] dagegen ist so einer, der hat schon immer mehr | |
| zugemutet. Hauptkommissar Faber (Jörg Hartmann) als krummer Hund tat selten | |
| „das Richtige“, auch wenn er auf der richtigen Seite stand. Im Laufe der | |
| Jahre sind er und seine Kolleg:innen so oft moralisch fragwürdig | |
| abgebogen, dass von „richtiger Seite“ schon lange keine Rede mehr ist. | |
| Im neuesten Dortmund-Fall „Abstellgleis“ sind wir nun in einer Situation, | |
| in der alle unter Verdacht stehen. Faber sowieso, aber auch Herzog | |
| (Stefanie Reinsperger), und im Laufe des Films eigentlich jeder. Weshalb | |
| und warum, das will ich noch gar nicht verraten, die Wendungen dieses Films | |
| möchte ich Sie selbst erleben lassen. Es lohnt sich, vor allem für | |
| diejenigen, die eine Prise Unwohlsein in der Magengrube ganz anregend | |
| finden. | |
| ## Den Boden wegziehen | |
| Vom Drehbuch her ist der Film recht gewöhnlich, ein klassisches „Wer hat’s | |
| getan“, mit jede Menge falschen Fährten und ein bisschen „Noir“. | |
| Herausragend ist, wie die Kamera dafür sorgt, dass das Misstrauen, welches | |
| nach und nach im Dezernat um sich greift, auch uns erfasst. | |
| Denn wo die gewöhnliche Krimikamera das Publikum auf einen sicheren | |
| Beobachterposten stellt, zieht sie uns hier mitten hinein und zugleich den | |
| Boden weg. Sie verweigert jede Eindeutigkeit, wechselt ständig die | |
| Position, verunklart, wenn wir Klarheit gerade nötig hätten. | |
| Besonders gerne nimmt sie den „Verfolgerblick“ ein: zwei Schritte hinter | |
| der Person, die Perspektive, die wir aus Horrorfilmen kennen, die uns | |
| aufspringen und rufen lässt: „Dreh dich doch um, verdammt!“ Und schon ist | |
| sie woanders, schwebt wie eine Drohne hoch oben oder duckt sich hinter | |
| Gegenstände, schaut durch Glasscheiben wie ein Stalker. | |
| In Dialogszenen wechselt die Einstellung hin und her zwischen intimer Nähe | |
| und sicherem Abstand. Sitzen wir mit diesen Leuten jetzt zusammen am Tisch | |
| wie Freunde oder beschatten wir sie? | |
| Schamlos nutzt die Kamera unsere Erwartungen als Krimipublikum aus. Mit | |
| kurzen Sequenzen von Blicken weckt sie Verdachtsmomente, die im Film erst | |
| später Thema werden. Wenn Sie derlei Kniffe so gerne aufdröseln wie ich, | |
| können Sie in der Mediathek ja mal zu Minute 26:08 springen, als ein | |
| Beispiel für das, was ich meine. Und sich vielleicht wie ich ertappt | |
| fühlen, weil Sie sich dort haben lenken lassen. | |
| Ich möchte der Kamera nicht zu nahe treten (Regie: Torsten C. Fischer, | |
| Bildgestaltung: Andreas Köhler), aber ihr Verhältnis zu uns, dem Publikum, | |
| hat in diesem Film etwas von einer [3][manipulativen Beziehung.] | |
| Für eine „Tatort“-Reihe wie Dortmund, die uns schon immer gerne moralisch | |
| seekrank gemacht hat, ist das natürlich, genau: das Richtige. | |
| [4][Dortmund-„Tatort“: „Abstellgleis“,] So., 20.15 Uhr, ARD | |
| 30 Mar 2025 | |
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| [2] /Neuordnung-im-Dortmund--Tatort/!5926497 | |
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| [4] https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/index.html | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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