# taz.de -- Was wir von der Apokalypse lernen: Davon geht die Welt nicht unter | |
> Pest, Weltenbrand und die Kleine Eiszeit: Hartmut Lehmann fragt | |
> angesichts der historischen großen Krisen Europas nach Möglichkeiten für | |
> Zuversicht. | |
Bild: Auschnitt aus Dürers Werk „Die apokalytischen Reiter“. Heute werden … | |
Zu Albrecht Dürers berühmtesten Werken gehört seine Darstellung der vier | |
apokalyptischen Reiter, die auf ihren wilden Rössern über eine geschundene | |
Menschheit hinwegreiten. Heute werden die vier Reiter oft mit Tod, Pest, | |
Krieg und Hunger identifiziert, obwohl das in der Apokalypse des Johannes | |
nicht eindeutig ist. | |
Dürers Reiter zieren auch den Titel von Hartmut Lehmanns Buch | |
„Apokalypsen“, das, so der Untertitel, „Lehren aus vergangenen | |
Katastrophen“ ziehen möchte. Lehmann hat dabei die drei großen Krisen der | |
neueren mitteleuropäischen Geschichte im Blick: die Pestepidemie, die ab | |
1346 auch Europa erreicht hatte, die Verheerungen des Dreißigjährigen | |
Kriegs und den Weltenbrand zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Lehmann macht | |
keinen Hehl daraus, dass er ein engagiertes Buch geschrieben hat. Seine | |
Leitfrage lautet: „Wie kann man angesichts der immer zahlreicheren | |
Hiobsbotschaften noch an eine friedliche Zukunft glauben?“ | |
Lehmann untersucht die Bedingungen, unter denen die jeweiligen Krisen | |
entstanden, welche sozialen Folgen sie mit sich brachten, und mit welchen | |
Methoden sie bewältigt wurden. Dabei skizziert er für die jeweiligen | |
Epochen einen Gegensatz zwischen rationalen Methoden zur Behebung der | |
Gefahr und verschwörungsgesättigten Sinnerzählungen, die eine | |
psychologische Entlastung mit sich bringen sollten. | |
## Sündenböcke werden markiert | |
Das Dramatische an diesen Erzählungen ist ihr Hang, Sündenböcke zu | |
markieren, wie das Beispiel der Pest zeigt: Während es einigen Städten und | |
– wie im Fall Polens – sogar Königreichen gelang, die Seuche einzudämmen, | |
indem sie unter anderem konsequent auf Quarantäne setzten, gedieh | |
andernorts ein Antijudaismus, der sich in Verfolgungen und Pogromen | |
niederschlug und auch nach Ende der konkreten Krise noch Bestand hatte. | |
[1][Angesichts der drohenden Klimakatastrophe] ist die Katastrophe des 17. | |
Jahrhunderts von besonderem Interesse: Damals führten klimatische | |
Veränderungen, die „Kleine Eiszeit“ ab dem Ende des 16. Jahrhunderts, zu | |
Missernten, Hunger, Teuerung, Armut, der Verbreitung von Krankheiten und | |
einer ganzen Reihe verheerender Konflikte, von denen der Dreißigjährige | |
Krieg der brutalste war. Auch zu dieser Zeit wurde einerseits nach | |
pragmatischen Lösungen wie einer Reorganisation der Landwirtschaft | |
gesucht, andererseits hingen viele Verschwörungserzählungen an: der | |
kollektive Hexenwahn, der große Teile des Deutschen Reichs erfasste, ist | |
dafür beredtes Beispiel. | |
## Wenn Komplexität vereinfacht wird | |
Eine große Stärke des Buches ist, Geschichte nicht nur in einem großen | |
Bogen zu erzählen: Hartmut Lehmann hat immer im Blick, was die drohenden | |
Apokalypsen für die Bevölkerung bedeuten. Sein christlich fundierter | |
Humanismus schimmert dabei an verschiedenen Stellen durch; „Apokalypsen“ | |
ist deswegen nicht nur eine Studie, sondern auch die Intervention eines | |
engagierten Gelehrten. | |
[2][Als solches versteht sich das Buch als Plädoyer gegen „simple | |
Kausalitäten und Verschwörungstheorien“ und als Aufruf, Komplexität | |
auszuhalten], ohne dabei die Hoffnung zu verlieren. Denn wenn | |
Gesellschaften Komplexität in ihren Interpretationen des Geschehens zu | |
stark vereinfachen, geraten sie jenseits der irdischen und konkreten | |
Kümmernisse schnell in eine moralische Krise, die – der mörderische | |
Antisemitismus, der bis heute anhält, zeigt es – auch dann noch nachwirkt, | |
wenn die konkrete Katastrophe überstanden ist. | |
Aber „selbst aus den schlimmsten Katastrophen der Vergangenheit haben immer | |
wieder Wege in die Zukunft geführt“, schreibt Lehmann, und diese Wege seien | |
jene des Pragmatismus gewesen. So sei es auch heute: Unsere Epoche sei | |
„nicht Endzeit also, aber Entscheidungszeit“. | |
25 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frédéric Valin | |
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