# taz.de -- Lehrplan an Waldorfschulen: Die andere Hälfte der Welt vermessen | |
> Rudolf Steiners Weltbild prägt bis heute die Waldorfschulen. Das zeigt | |
> sich in Fächern wie Geschichte, Biologie und dem Menschenbild dahinter. | |
Bild: Glückliche Tiere zum Anfassen in der Waldorfschule: „Die spirituelle K… | |
Und? Glaubt ihr noch an den Osterhasen? In den meisten Familien, in denen | |
Ostereier gesucht werden, erfahren Kinder irgendwann, dass Erwachsene nicht | |
an den Osterhasen glauben und die Eier selber verstecken. | |
Was aber, wenn Erwachsene vielleicht nicht direkt an den Osterhasen | |
glauben, aber doch an die Wahrheiten eines Hellsehers und seine | |
„verborgenen Welten“? Was, wenn sie es dann Geisteswissenschaft nennen und | |
Schulen gründen und Lehrpläne schreiben? | |
Der von Tobias Richter herausgegebene Waldorflehrplan orientiert sich in | |
meiner Ausgabe von 2023 im Fach Geschichte immer noch an der von Steiner | |
„geschauten“ und gelehrten „Menschheitsentwicklung“. Es beginnt mit „… | |
Schöpfung“. Dann käme Atlantis. Das wird inzwischen übersprungen. Aber man | |
setzt nahtlos mit den „alten Kulturen“ wieder ein, der sogenannten | |
nachatlantischen Epoche. | |
Fünftklässler lernen also, Steiners „Geistesforschung“ folgend, die Mythen | |
von Zarathustra, Bhrama und Co. Da man ähnlich wie an den Regelschulen in | |
der sechsten oder siebten Klasse bei den Griechen und Römern ankommt, bevor | |
man dann im europäischen Mittelalter landet, fällt der Unterschied kaum | |
auf. Er wird erst deutlich, wenn man tiefer in die esoterische Perspektive | |
einsteigt. | |
## Fühlen und wachsen | |
Der Waldorflehrplan behauptet, sich an der Entwicklung der Kinder zu | |
orientieren. Diese verläuft laut Steiner entlang seiner | |
„Menschheitsentwicklung“. Entsprechend sollen sie die kulturellen | |
Veränderungen über die Kulturepochen fühlen und daran wachsen. So sind laut | |
Richters Lehrplan in der fünften Klasse „abstrakte Informationen zu | |
vermeiden, stattdessen ist der Unterricht so zu gestalten, dass die Kinder | |
in diesem Alter mit ihren Gefühlen, mit Staunen und Interesse an | |
lebendig-bildhaften Darstellungen anschließen können.“ Fünftklässler sind | |
seelisch quasi alte Griechen, und der emotionalisierte Unterrichtsstoff | |
hilft ihnen bei der Weiterentwicklung zu alten Römern. | |
Dabei helfen individuelle Schicksale. Ich erinnere mich an Manu, | |
Gilgamesch, Prometheus, Alexander den Großen, Siegfried, Parzival, Jeanne | |
d’Arc, Vasco da Gama, Goethe … Der Übergang von Fiktion zu Fakt, von | |
Heldensage zu Biografie war für mich dabei nicht erkennbar. | |
Ähnlich fließend gestaltete sich der Übergang in Biologie. Zentral war die | |
Überlegenheit des Menschen im Kosmos; und egal ob Pflanzen-, Tier- oder | |
Gesteinskunde, die spirituelle Komponente war in den unteren Klassen immer | |
spürbar. Auch später noch war mein Unterricht oft von einem leisen Raunen | |
begleitet, dass die Wissenschaft nur die eine Hälfte der Welt vermessen | |
könne. Als ich in der Oberstufe dann ins Heft schrieb, dass der Mensch | |
zwölf Sinne hätte, wunderte ich mich nicht. | |
Ich hatte das Gefühl, die ganzheitlichere Wahrheit zu lernen, während mein | |
Vertrauen in die Wissenschaft über Jahre sanft unterminiert wurde. Auch | |
mein durch zehn Monate Binge-Learning erlangtes Abitur änderte daran wenig. | |
[1][Erst während der Pandemie habe ich zu lernen begonnen], wie man sauber | |
zwischen Fakt und Fiktion unterscheidet. | |
## Es braucht den Osterhasen nicht | |
Meine größte Angst dabei war, dass alles klinisch und kalt würde und ich | |
auf Zauber und Wärme verzichten müsste. Umso größer meine Freude, als ich | |
realisierte, dass Eiersuchen auch Spaß macht, wenn man nicht [2][an den | |
Osterhasen] glaubt. | |
22 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Frau Lea | |
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