# taz.de -- Tischtennis-Star Timo Boll über Rückzug: „Ich stehe nicht gerne… | |
> Für ihn ist es ein Abschied mit „reinem Gewissen“. | |
> Ausnahme-Tischtennisspieler Timo Boll beendet am Wochenende seine | |
> Bundesliga-Abschiedstournee. | |
Bild: Tischtennis-Profi Timo Boll mit Ball | |
Grünwettersbach taz | Das Synonym für Tischtennis heißt in Deutschland seit | |
einem Vierteljahrhundert Timo Boll. Nun befindet sich der 43-jährige Hesse | |
nach seinem internationalen Rücktritt auch in der Bundesliga auf | |
Abschiedstournee, die jetzt am Wochenende in Dortmund endet. Egal, wohin | |
der ehemalige Weltranglistenerste (2003, 2011 und 2018) auch kommt: In | |
vollen Hallen feiern die Fans ihr leuchtendes Vorbild mit stehenden | |
Ovationen. | |
Beim Gastspiel in Grünwettersbach Ende Februar schwappten La-Ola-Wellen | |
durch die Halle. Der heimische ASC, der gegen Rekordmeister Borussia | |
Düsseldorf mit 1:3 unterlag, schenkte dem Aushängeschild und | |
Kaffeeliebhaber einen Korb voller erlesener Bohnen und eine lebenslange | |
Dauer-Ehrenkarte. Mit Timo Boll unterhielt sich Hartmut Metz über seine | |
lange Abschiedstour. | |
taz: Wie fühlen Sie sich auf Ihrer Bundesliga-Abschiedstournee? Die Fans | |
kommen ja hauptsächlich, um Sie noch einmal zu sehen. Eine La-Ola-Welle | |
machen die Grünwettersbacher Fans auch nicht alle Tage. | |
Timo Boll: Ja, das muss ich schon sagen. Das Grünwettersbacher Publikum war | |
immer ein sehr herzliches. Die Fans sind zwar stets heiß, aber nie | |
aggressiv gegen die Gegner. Die Zuschauer sitzen nah dran, weshalb man als | |
Spieler mehr mitbekommt. | |
taz: Herrscht bei Ihnen eher Wehmut, dass Sie aufhören? Oder Erleichterung, | |
endlich nicht mehr unter Druck zu stehen? | |
Boll: Es gibt schon Phasen, in denen man wehmütig wird. Aber auch Phasen, | |
in denen man froh ist, wenn es vorbei ist. Insofern durchlebe ich derzeit | |
ein Up and Down – aber das ist wohl normal. Ich versuche, die Abschiedstour | |
zu genießen und das Beste zu geben, was noch in mir steckt. Es hat aber | |
natürlich auch seine Gründe, warum ich aufhöre. Ich kann eben nicht mehr | |
auf dem allerhöchsten Niveau spielen. | |
taz: Ihre Bilanz von 11:11 vor dem letzten Spiel in Dortmund weist so viele | |
Niederlagen auf, wie Sie sonst in fünf, sechs Jahren zusammen nicht | |
kassiert haben. | |
Boll: Das liegt an der fehlenden körperlichen Schnelligkeit. Und an der | |
mentalen Schnelligkeit. Ich verarbeite die ganzen Daten, die am Tisch | |
rasant passieren, nicht mehr so rasch. Die Augen lassen nach … | |
taz: Zipperlein, die Otto Normalverbraucher auch ab 40 plagen, aber bei | |
einem Spitzenathleten deutlich mehr Auswirkungen zeitigen. Wird Borussia | |
Düsseldorf ohne Timo Boll der FC Bayern München des Tischtennis bleiben? | |
Borussia ohne Boll ist ja noch schwerer vorstellbar als ein FC Bayern ohne | |
Thomas Müller. | |
Boll: Die Borussia wird weiter in führender Position bleiben. Ich bin diese | |
Saison ja eh nicht mehr der Leistungsträger, wir stehen trotzdem ganz oben | |
in der Tabelle (derzeit Platz 2, punktgleich mit Ochsenhausen, d. Red.). | |
Die Zeiten, als wir das europäische Tischtennis dominiert haben, sind | |
vermutlich vorbei, aber um die Titel werden wir auf jeden Fall auch künftig | |
spielen. | |
taz: Seit einem Vierteljahrhundert war Timo Boll das Synonym für das | |
deutsche Tischtennis. Obwohl die anderen Asse auch große Erfolge feiern | |
konnten. | |
Boll: Es war schwer, wenn du in der deutschen Sportlandschaft über | |
Jahrzehnte ganz oben bist, aus dem Schatten zu gelangen. Es ist generell | |
schwer in einer Randsportart trotz famoser Leistungen Aufmerksamkeit zu | |
bekommen. Ich bin mit 21 Jahren die Nummer eins der Weltrangliste geworden, | |
dennoch musste ich danach noch mehrere Jahre warten, bis der erste große | |
Sponsor kam. Die anderen Jungs spielen gut – aber in Deutschland den | |
medialen Durchbruch zu schaffen, ist sehr schwierig. | |
taz: Atmen ihre Nationalmannschaftskameraden wie | |
Olympia-Rekordmedaillengewinner Dimitrij Ovtcharov jetzt auf, weil sie | |
endlich aus Ihrem langen Schatten treten können? | |
Boll: Es gibt Trash-Talk. Ich bekomme genügend ab, teile aber auch aus | |
(lacht). Es passt schon so. | |
taz: 25 Jahre absolute Weltklasse, das schafften nicht einmal die | |
chinesischen Asse! Der WM-Titel oder Olympia-Gold blieben Ihnen aber | |
verwehrt. Bereuen Sie irgend etwas in Ihrer Karriere? | |
Boll: Ich habe nie so viel von mir erwartet und bin auch nicht von Erfolgen | |
ausgegangen. Ich bin glücklich darüber, wie meine Karriere verlaufen ist. | |
taz: Für mich waren Sie nicht nur wegen Ihrer Spielkunst und den Erfolgen | |
ein leuchtendes Vorbild: Ich fand [1][Ihre ausgesprochene Fairness an der | |
Platte] und bei der Analyse danach immer besonders beeindruckend. Lieber | |
verloren Sie, als einen vom Schiedsrichter unbemerkten Kantenball des | |
Gegners nicht anzuzeigen. | |
Boll: Am Ende habe ich das immer für mich gemacht: Ich wollte immer ein | |
reines Gewissen haben! Das brachte mir am Ende auch viele Sympathien ein, | |
aber letztlich habe ich das nur für mein Gewissen gemacht. Dadurch habe ich | |
vielleicht das ein oder andere Spiel verloren – aber letztlich hat sich die | |
Fairness schon gelohnt. | |
taz: Wie sehen Ihre Pläne nach dem letzten Ballwechsel aus? Bleiben Sie | |
Ihrem Sport erhalten oder gehen Sie in Rente nach mehr als 25 Jahren | |
Leitungssport? | |
Boll: Ich habe noch ein paar Partnerschaften die nächsten zwei, drei Jahre | |
laufen. Dabei werde ich auch viel in China unterwegs sein. Ansonsten schaue | |
ich mal nach rechts und links, danach fällt mir sicher was ein. | |
taz: Sie könnten [2][in einem Optikergeschäft] arbeiten, wenn Sie | |
Tischtennis fernbleiben wollen: Der Legende nach erkennen Sie die Rotation | |
des Balles an dem kleinen Namensaufdruck darauf. Stimmt das – oder haben | |
die Augen selbst bei Timo Boll nach einem Vierteljahrhundert nachgelassen? | |
Boll: Ach, das können mittlerweile viele Spieler. | |
taz: Zwei letzte Fragen: Ich erinnere mich an die WM 2005 in Schanghai, an | |
eine besondere Szene: Auf der Pressetribüne klagte eine chinesische | |
Reporterin: „Viele chinesische Frauen sind der Meinung: Timo Boll hat viel | |
zu früh geheiratet!“ Werden Sie die chinesischen Groupies vermissen? | |
Boll: Ich fand es immer spannend, dort einkaufen zu gehen und ein Superstar | |
in China zu sein. Dauerhaft könnte ich aber so nicht leben! Ich stehe nicht | |
gerne im Mittelpunkt. Diesbezüglich beneide ich meine chinesischen Kollegen | |
weniger, weil sie kaum mehr raus aus dem Haus vor die Tür gehen können. | |
Daher bin ich froh, in Deutschland ein relativ normales Leben führen zu | |
können. | |
taz: Ergänzend dazu: Wer wird künftig im [3][Tischtennis ohne Timo Boll] | |
die schönste Langnase sein? Die weiblichen Fans des ASC Grünwettersbach | |
werden den Portugiesen Tiago Apolónia als Erben nennen. Andere ihre | |
Nationalmannschaftskollegen Patrick Franziska. Oder „Dima“ Ovtcharov? Was | |
meinen Sie? | |
Boll: Dima! (Seine Tischnachbarn und Vereinskameraden Dang Qiu und Kay | |
Stumper lachen.) Tiago ist schon ein Frauenschwarm. Er ist jedoch auch in | |
festen Händen. Aber letztlich müssen Sie dazu die Frauen fragen, nicht mich | |
(lacht). | |
28 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Hartmut Metz | |
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