# taz.de -- Schummeleien im Sport: Lauter Albträume | |
> Der Zorn über die manipulierten Anzüge der norwegischen Skispringer ist | |
> groß. Dabei gibt es ständig Schummeleien. Geschichten aus der Welt des | |
> Sports. | |
Bild: Ein großes Publikum kann Skispringer weit tragen, ein besonders guter … | |
## Anzüge und Moralkeulen | |
Wenn die Erzählung vom fairen Sport ihre Zerbrechlichkeit zeigt, dann | |
mobilisieren die Moralhüter umso mehr ihre Kräfte. Das kann man derzeit | |
[1][am sogenannten Anzugskandal,] wahlweise ist auch vom „Anzug-Gate“ die | |
Rede, bei der zurückliegenden Nordischen Ski-WM in Norwegen beobachten. Die | |
Gastgeber wurden durch ein unzureichend verhängtes Fenster heimlich | |
gefilmt, als sie einen Anzug ihrer Skispringer mit der Nähmaschine | |
bearbeiteten. Cheftrainer Magnus Brevig war dabei. Die Aufnahmen führten | |
zur Kontrolle der Bekleidung von Silbergewinner Marius Lindvik und Johann | |
André Forfang. Ein eingenähtes festes Band, das die Flugeigenschaften | |
begünstigt, wurde entdeckt. | |
Zeitungen berichten von einem der schlimmsten Skandale im Wintersport der | |
letzten Jahrzehnte. Es entstehe ein Bild von einem „Spielplatz für | |
Betrüger“, klagte etwa die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza. „Von Norwegen | |
hätten wir das nicht gedacht“, bemerkte die schwedische Zeitung | |
Aftonbladet. Die Berichterstattung der letzten Jahre legte in der Tat | |
häufig den Eindruck nahe, Sportbetrug sei eigentlich ein russisches | |
Phänomen. Auch ehemalige [2][Skispringer wie Sven Hannawald] entrüsteten | |
sich. „Wahnsinn, die riskieren unsere Sportart“, wütete der heutige | |
TV-Experte. „In meinem schlimmsten Albtraum hätte ich nicht gedacht, dass | |
es so weit kommt.“ | |
Der deutsche Schriftsteller und Philosoph Wolfram Eilenberger schrieb | |
einmal zur behaupteten Fairness und Moral im Sport: „Jedes Dschungelcamp | |
ist ethisch würdiger.“ Andererseits wird in nur wenigen anderen Bereichen | |
die Moralkeule so leicht geschwungen. Die Debatte ist reichlich bigott. | |
Freilich stößt das gerade den Norwegern auf. Offen äußern sich diejenigen, | |
die ihre Karriere bereits beendet haben wie der Skisprung-Olympiasieger | |
Daniel-André Tande. Er habe früher auch mit den Anzügen betrogen, räumte | |
er nun ein. „Absolut jeder macht es.“ Und sein Landsmann Johan Remen | |
Evensen erklärte: „Der Grundsatz im Sport lautet: Wenn du nicht erwischt | |
wirst, hast du nicht betrogen.“ Anbei ein paar Geschichten derer, die das | |
Pech hatten, erwischt zu werden. | |
## Der andere Anzugskandal | |
Als die deutsche Skispringerin Katharina Schmid, damals unter ihrem | |
Geburtsnamen Althaus, aus dem Mixed-Wettbewerb um eine olympische Medaille | |
in Peking genommen wurde, war die Empörung ebenfalls groß. Allerdings | |
richtete sie sich gegen die Materialkontrolleure. Schmid, die wie vier | |
weitere Springerinnen wegen eines zu weiten Anzugs disqualifiziert wurde, | |
schimpfte, der Weltverband FIS zerstöre das Frauen-Skispringen. | |
Von einem „Skandal“ sprach der DSV-Sportchef Horst Hüttel. Die Argumente | |
für die Verärgerung waren durchaus nachvollziehbar. Mit unterschiedlichem | |
Maß, hieß es, werde geurteilt. Die beanstandeten Anzüge seien bei den | |
Wettbewerben zuvor, als wohl mit geringerer Strenge begutachtet wurde, noch | |
durch die Kontrolle gekommen. Offenbar war es in einigen Fällen zur Regel | |
geworden, Regeln zu überschreiten. Es hatte sich ein Graubereich etabliert. | |
Dass auch das deutsche Team offenbar jenseits des eigentlich Erlaubten | |
experimentierte, wurde als legitim erachtet. Frei nach dem Motto: Wenn | |
andere auch betrügen, hast du nicht betrogen. | |
## Nur das Rad eines Freundes | |
Es ist eine reichlich verworrene Geschichte. Das Rennen, das sie im Januar | |
2016 ihre Karriere kostete, konnte Femke Van den Driessche wegen eines | |
Defekts gar nicht beenden. Zum Verhängnis wurde ihr ein Ersatzrad, das an | |
dem Tag gar nicht zum Einsatz kam. Und wirklich kaum glaubhaft soll sie | |
nicht einmal die Besitzerin dieses etwas zu speziellen Rennrads gewesen | |
sein. Als eine der Favoritinnen war die damals 19-jährige Belgierin bei | |
dem Querfeldeinrennen der U23-WM in ihrem Heimatland gestartet. Bei einer | |
Routinekontrolle nach dem Rennen wurden im Sattelrohr des besagten | |
Ersatzrads Kabel und ein Elektromotor gefunden. | |
„Das Rad gehört einem Freund. Er hat es mir am Ende der vergangenen Saison | |
abgekauft, es ist das gleiche wie das, welches ich benutze“, erklärte Van | |
den Driessche. Der Freund, der auch ihr Betreuer sei, habe sein Rad vor dem | |
Rennen am Lastwagen abgestellt. Ein Mechaniker habe es für ihres gehalten, | |
es gereinigt und mitgenommen. Als nicht entlastend bewertete der | |
Weltverband UCI die Erzählung der U23-Europameisterin von 2015, sperrte Van | |
den Driessche für sechs Jahre und erkannte ihr alle Titel ab. Sie hatte | |
allerdings bereits während der Anhörung ihr Karriereende verkündet. | |
Des Motordopings wurden auch der Schweizer Zeitfahren-Olympiasieger Fabian | |
Cancellara verdächtigt. Allerdings konnte das nie belegt werden. Er selbst | |
wies die Anschuldigungen empört zurück: „Ich bin geradezu sprachlos. Meine | |
Siege sind das Ergebnis harter Arbeit.“ | |
## „Nationale Schande“ | |
Wie schwerwiegend das Vergehen im März 2018 war, unterstrich damals die | |
Wortmeldung von Australiens [3][Premierminister Malcolm Turnbull.] Er sei | |
„zutiefst schockiert“ und erwarte vom australischen Cricketverband „eine | |
deutliche Reaktion“. Von einem „Tag der nationalen Schande“ sprach gar | |
Jimmy Maher, der ehemalige Profi und Weltmeister von 2003. Es ging um | |
Ballmanipulation, für das im Cricket eigens die Bezeichnung „ball | |
tampering“ gebräuchlich ist. | |
Steve Smitz, der Kapitän der australischen Nationalmannschaft, sein Vize | |
David Warner und Cameron Bancroft hatten sich im Vorfeld des Länderspiels | |
gegen Südafrika darauf verabredet, den 160 Gramm schweren Ball | |
unberechenbarer zu machen. Mithilfe eines Klebebands, wie TV-Bilder | |
nachwiesen, nahm Werfer Bancroft Sandkörnchen vom Spielfeldrand auf und | |
verrieb sie mit dem Ball, um dessen Flugbahn zu verändern und dem | |
gegnerischen Schlagmann damit seine Aufgabe schwerer zu machen. Die Folge | |
waren Sperren der Beteiligten von neun bis zwölf Monaten. Selbst der | |
Gentlemen’s Sport Cricket ist vor Betrugsgeschichten nicht gefeit. | |
## Treffer auf Knopfdruck | |
Auf der Website des Internationalen Olympischen Komitees wird Boris | |
Onyschtschenko zum „wohl hinterlistigsten Betrüger der olympischen | |
Geschichte“ geadelt. Er hob die Manipulation auf ein neues Niveau, heißt es | |
dort fast schon mit einer gewissen Anerkennung. Nachträglich wurde dem | |
Modernen Fünfkämpfer, der für die Sowjetunion antrat, also gewissermaßen | |
die Goldmedaille in der Disziplin olympischer Betrug umgehängt. | |
Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand scheint das moralische Fallbeil der | |
Sporthüter an Schärfe zu verlieren. Obwohl Onyschtschenko, Major der Roten | |
Armee, bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 im Teilnehmerfeld der | |
beste Degenfechter war, hatte sich der 38-Jährige doppelt abgesichert. | |
Seine Waffe war manipuliert. Der Linkshänder brauchte nur mit dem | |
Ringfinger einen eingebauten und mit Wildleder ummantelten Metallknopf zu | |
drücken, um einen Treffer auf der Anzeigetafel für sich zu verbuchen. Im | |
Mannschaftswettbewerb beschwerte sich bereits sein britischer Gegner | |
Adrian Parker, dass zu Unrecht ein Treffer zugunsten von Onyschtschenko | |
gewertet wurde. | |
Überführt wurde er im darauffolgenden Gefecht auf Initiative von Jeremy | |
Fox, der sich ebenfalls trotz angezeigten Treffers unberührt wähnte und auf | |
eine Überprüfung der russischen Waffe bestand. Es folgte die | |
Disqualifikation von Onyschtschenko. Und es wird erzählt, dass ihn danach | |
das sowjetische Staatsoberhaupt Leonid Breschnew zum Gespräch vorlud. | |
## Wer betrügt hier wen? | |
Mitunter ist es nicht so einfach festzustellen, wer denn wen verschaukelt. | |
Das veranschaulicht die Geschichte der disqualifizierten Rodlerinnen aus | |
der DDR bei den Olympischen Winterpielen 1968 in Grenoble. Ortrun | |
Enderlein, Anna-Maria Müller und Angela Knösel lagen vor dem entscheidenden | |
dritten Lauf auf den Plätzen eins, zwei und vier. Der polnische | |
Rodelverbandspräsident und Juryvorsitzende Lucjan Świderski stellte nun | |
fest, dass die Kufen der DDR-Schlitten verbotenerweise erhitzt wurden, was | |
bei den Winterspielen zuvor noch erlaubt war. | |
Sein Analyseverfahren gehorchte nicht unbedingt strengsten | |
wissenschaftlichen Kriterien. Er ließ, so wird berichtet, Schnee über die | |
Kufen rieseln, um zu sehen, ob er schmilzt, und traf dann sein Urteil. | |
Einige westdeutsche Medienorgane hatten dennoch inmitten des Kalten Kriegs | |
keinerlei Zweifel an der Diagnose und beschimpften die DDR-Sportler als | |
„Lügner“ und „Betrüger“. Im Jahr 2006 tauchte ein 37-seitiges Dossier… | |
dem Ministerium für Staatssicherheit auf, das wiederum eher auf Korruption | |
schließen lässt. Der polnische Sportfunktionär soll vorab einen | |
Gratisurlaub in Österreich genossen haben. Mit Sicherheit lässt sich nur | |
sagen, dass eine Manipulation vorlag. Dafür eignet sich die Bühne des | |
Sports einfach bestens. | |
21 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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