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# taz.de -- Wie weiter mit der Klimabewegung?: Viele Wege, ein Ziel
> Carla Hinrichs, Neue Generation, und Annika Rittmann von Fridays for
> Future diskutieren über Chancen für die Klimabewegung unter einem Kanzler
> Merz.
Bild: Klima bleibt wichtig. Aber wie überzeugt man davon eine Mehrheit in dies…
Es gäbe da natürlich den ein oder anderen Grund, deprimiert zu sein: Trump
im Weißen Haus, das Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in ganz
Europa, das Ergebnis der letzten Bundestagswahl. Und taz-Autor und
Moderator Maximilian Arnhold lässt es sich nicht nehmen, gleich mal nach
den aktuellen Schmerzpunkten zu bohren.
„Wie geht es weiter mit der Klimabewegung?“, heißt die Veranstaltung der
Tour zur taz-Seitenwende in Hannover und neben ihm auf dem Podium sitzen
Carla Hinrichs von der Letzten Generation und Annika Rittmann von Fridays
for Future. Und die machen ziemlich schnell klar, dass sie nicht die
Absicht haben, die Köpfe hängenzulassen, nur weil da jetzt demnächst
„dieser Mann mit dem Privatflugzeug“ ins Kanzleramt einzieht.
Dabei – auch das wird im Verlauf des Gesprächs schnell klar – verfolgen die
beiden Zweige der Klimabewegung, die sie vertreten, durchaus
unterschiedliche Strategien für die Zukunft. Da wäre zunächst die Letzte
Generation, [1][die jetzt Neue Generation heißen will]. „Wir waren die
letzte Generation vor den Kipppunkten – das ist vorbei“, sagt Hinrichs.
Nicht nur, weil das Konzept der Kipppunkte wissenschaftlich umstritten ist,
sondern auch weil man über Blockaden und Klebeaktionen hinausgewachsen ist.
Was nicht bedeuten soll, dass diese ein Fehler waren, betont sie. „Es war
richtig, Alarm zu schlagen, die Dringlichkeit aufzuzeigen.“ Die Bewegung
habe es immerhin geschafft, das Thema Klimakrise an fast jeden
Abendbrottisch zu bekommen.
## Veränderung mit der Gesellschaft
Den Preis dafür zahlen die meisten Aktivist*innen allerdings immer
noch, auch Hinrichs. „Ich bekomme fast jeden Tag Post von Polizei,
Staatsanwaltschaft oder Gericht. Natürlich stresst das.“ Dutzende von
Strafverfahren stehen noch aus, auch die Frage danach, ob die Letzte
Generation nun als kriminelle Vereinigung zu bewerten ist, ist noch lange
nicht ausgeurteilt. [2][Kriminalisierung und Repression] schlauchen, räumt
Hinrichs ein. Aber ein Grund für den Namenswechsel waren sie nicht.
Der sei mit einem Strategiewechsel verbunden, der aus der Erkenntnis komme:
Dieses System wurde gehackt. Reiche und Lobbyisten haben zu viel Macht. Das
will die Neue Generation ändern. Mit einer Art Gegenparlament oder vielmehr
mehreren „Parlamenten der Menschen“ das demokratische Spielfeld von unten
aufrollen.
Es soll so funktionieren wie der Gesellschaftsrat, den die Bewegung lange
gefordert hat. Ein Gremium aus ganz unterschiedlichen Menschen, die per Los
bestimmt werden, aber gleichzeitig unterschiedliche Bevölkerungsgruppen
repräsentieren. Die Hoffnung dabei: So könnte man ernsthaft aus ganz
unterschiedlichen Perspektiven über Problemlösungen diskutieren – ohne
durch Machtspiele, Gruppenzwänge und Einflüsterungen von außen sabotiert zu
werden.
Aber was, fragt Moderator Maxi Arnhold, nutze denn bitte schön noch ein
Vorschlagsgremium? Einen Bürgerrat zum Klima habe es ja auch schon einmal
gegeben, dessen Forderungen sind bis heute nicht umgesetzt. „Aber den hat
doch keiner mitgekriegt“, sagt Hinrichs. Das müsse man dieses Mal anders
machen. Dieses Mal müsste der Gesellschaftsrat und seine Inhalte überall
diskutiert werde, wie eine Fußball-WM. Und das wäre doch immerhin die große
Stärke der Bewegung: Aufmerksamkeit zu generieren.
## Mehr Protest durch die GroKo?
In mehreren Stufen sollte sich dieser Gesellschaftsrat im Losverfahren
immer neu, immer repräsentativer zusammensetzen – bis er quasi ein
Mini-Deutschland abbildet. Das soll dann in einem Zelt auf der
Bundestagswiese tagen und Vorschläge machen, die eigentlich kein
vernünftiger Mensch mehr ablehnen kann. Man wolle aus der
Bittsteller-Position heraus, sagt Hinrichs.
Und Fridays for Future? Deren Mobilisierungswucht auch ziemlich
nachgelassen hat? Haben sich schon längst aufgemacht, um neue Allianzen
einzugehen, sagt Bundessprecherin Annika Rittmann. Auch wenn es weiterhin
wichtig bleiben wird, das Thema auf die Straße zu bringen. „Demos und
Streiks werden bleiben.“ Sie erwarte eher, dass die neuerliche Große
Koalition die Mobilisierung wieder einfacher mache, wenn die Grünen das
Thema Klimaschutz allein stemmen werden. Darauf haben sich alle andere
ausgeruht – und viele Jungwähler sind nun enttäuscht, weil die Grünen in
ihren Augen zu viele faule Kompromisse gemacht haben.
Im [3][Forderungskatalog von Fridays for Future] nimmt auch die soziale
Komponente seit einiger Zeit mehr Raum ein. Neben dem Abschied von den
fossilen Energieträgern geht es auch um neue Jobs durch die grüne
Transformation und das Klimageld zur Abfederung sozialer Härten.
Gleichzeitig, sagt Rittmann, müsse es jetzt darum gehen, positivere
Erzählungen zu etablieren, das individuelle Engagement für den Klimaschutz
einfacher handhabbar zu machen.
Und gleichzeitig setzt sie darauf, die Klima-Ignoranz einer Regierung Merz
im Zweifel auch rechtlich einhegen zu können. „Wir hoffen auf die EU und
auch Gerichte und der Bundesrat werden wichtig werden“, konstatiert die
Informatikstudentin nüchtern. Ganz so einfach durchregieren werde Merz eben
nicht können.
## Unterschiede aushalten
Das beste Beispiel dafür sei der Zukunftsentscheid in Hamburg. Da geht es
in Wirklichkeit weniger um die Jahreszahl, bei der die Stadt nun endlich
klimaneutral sein soll – als viel mehr darum, verbindliche Etappenziele zu
definieren, die dann auch überprüft werden können. Dazu habe man einen
breiten Konsens geschmiedet, vom Nabu über Verdi bis zur Handelskammer.
„Viele Unternehmen haben ein großes Interesse an Verbindlichkeit und
Planbarkeit, das können wir für uns nutzen.“ Mit den [4][„Entrepreneurs f…
Future“] hätten solche Allianzen allerdings von Anfang an eine Rolle
gespielt.
Darin unterscheidet sich Fridays for Future deutlich von der Neuen
Generation, die davon spricht, den Einfluss von Wirtschaft und Lobbyisten
auf den demokratischen Prozess zurückdrängen zu wollen. Was allerdings auch
nicht bedeutet, dass die beiden hier auf Konfrontationskurs sind. „Wir
haben da einen richtigen Kackfehler gemacht, dass wir uns früher ständig in
so etwas haben reindrängen lassen“, sagt Carla Hinrichs.
Es sei dumm gewesen, sich ständig zu Äußerungen verleiten zu lassen wie
„streiken reicht eben nicht“, nur weil die Medien das gerne hören wollten.
Es gäbe eben unterschiedliche Wege zum Ziel und jeder sollte sich selbst
fragen, wo bei ihm oder ihr der Funke entsteht, wo man das Gefühl habe,
richtig zu sein und sich einbringen zu können.
Das, stimmt Annika Rittmann zu, habe man eben auch erst lernen müssen: Die
unterschiedlichen Strategien klarmachen und in einen konstruktiven Diskurs
zu bringen, Unterschiede auszuhalten, sich abzugrenzen, ohne auszugrenzen.
Überhaupt gingen die Aktivist*innen von Fridays for Future mittlerweile
mehr ins persönliche Gespräch, erklärt sie – auch wenn das erst einmal
unbequem erscheint. „Man merkt dann aber oft, dass der Ton viel angenehmer
ist als in sozialen Medien.“ Das schließt wiederum an ähnliche Bestrebungen
bei der Neuen Generation an: „Wir müssen vielleicht auch eine neue Art von
Gemeinschaft trainieren“, sagt Carla Hinrichs. „Wie sollen wir in der Krise
überleben, wenn ich nicht einmal weiß, ob bei mir im Haus eine Oma wohnt,
nach der ich im nächsten Hitzesommer vielleicht lieber mal schauen sollte?“
## Polarisieren – ja oder nein?
Beim Publikum kommt das gut an, rund 60 Leute sind in die Warenannahme auf
dem Faustgelände gekommen und ihre Nachfragen lassen erkennen, dass die
meisten selbst schon länger Klimabewegte sind und vor allem auf der Suche
nach Bestärkung. Kritische Anmerkungen drehen sich vor allem um die
gesellschaftliche Polarisierung rund um den Klimaschutz – und die Frage, ob
man da nicht vielleicht auch Fehler gemacht hätte.
Sie habe bei Greenpeace mitgearbeitet und sich in den Zusammenhängen oft
ausgegrenzt und abgewertet gefühlt, sagt eine junge Frau – von dem
radikalen Jargon oder weil man sie als zu bürgerlich betrachtet habe.
In eine ähnliche Kerbe schlägt ein junger Agrarwissenschaftler: Viele
Landwirte würden die Klimakrise in ihren Betrieben längst spüren, sagt er –
aber mit der Klimabewegung können sie sich eben nicht identifizieren. Wer
könnte oder müsste die denn nun überzeugen?
Das, sagt Annika Rittmann ebenso unverblümt wie stocknüchtern, werde wohl
eher nicht sie sein. „Da muss letztlich in deren Verbänden ganz viel
passieren und ich glaube, das tut es so langsam auch.“
Vom Kleinen ins Große und zurück: Wie sich all diese Überlegungen konkret
umsetzen lassen und wie wirkungsvoll das dann wird, muss sich erst noch
zeigen. Weniger Polarisierung könnte auch weniger Aufmerksamkeit bedeuten.
Vielleicht bedeutet es aber auch, dass die junge Bewegung erwachsen wird.
10 Mar 2025
## LINKS
[1] /Letzte-Generation-wechselt-Namen/!6072432
[2] /Strafverteidiger-ueber-Letzte-Generation/!5936702
[3] https://fridaysforfuture.de/forderungen/
[4] https://entrepreneurs4future.de/
## AUTOREN
Nadine Conti
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