| # taz.de -- Müde Gestalten in der „Berliner Runde“: Es waren mal Elefanten | |
| > Geisterhaft wie der Wahlkampf insgesamt: Vorbei sind die Zeiten, in denen | |
| > es hoch herging in der „Berliner Runde“ nach der Wahl. Ein Gastbeitrag. | |
| Bild: Christian Lindner geht auf dem Weg ins Fernsehstudio in Deckung | |
| Das war absehbar, könnte man sagen. Dennoch ist es etwas anderes, wenn man | |
| einsehen muss, dass alles Hoffen und Bangen nichts genützt hat. Weder Olaf | |
| Scholz war ein Wahlwunder vergönnt, noch konnte Friedrich Merz sein | |
| ausgerufenes Ziel von über dreißig Prozent erreichen. | |
| Als um 20.15 Uhr die Berliner Runde auflief, zu der Zeit, in der im Ersten | |
| normalerweise ein „Tatort“ und im ZDF ein Liebesfilm läuft, konnte man auch | |
| den politischen Akteuren, die für dieses Wahlergebnis verantwortlich waren, | |
| ihre Überforderung ansehen. | |
| Früher saßen an gleicher Stelle in der Regel nur wenige – die Elefanten. | |
| Diejenigen also, die in den darauffolgenden Jahren die politischen | |
| Geschicke des Landes lenken würden. Es ging hoch her in diesen Runden und | |
| manche von ihnen sind uns bis heute lebhaft in Erinnerung. | |
| Legendär ist beispielsweise der selbstbesoffene Auftritt Gerhard Schröders | |
| 2005, der den Wahlsieg von Angela Merkel nicht akzeptieren wollte, oder | |
| auch die 2002er-Runde, in der Edmund Stoibers Vorsprung im Laufe der | |
| Sendung plötzlich dahinschmolz. | |
| ## Acht müde Gestalten | |
| Am Wahlabend des 23. Februar jedoch saßen da acht müde Gestalten, die es | |
| kaum schafften, einander wie sonst üblich ins Wort zu fallen. | |
| Das mag zum einen daran liegen, dass [1][trotz der Diversifizierung der | |
| Parteienlandschaft die Koalitionsmöglichkeiten zusammengeschrumpft sind.] | |
| Nun noch einmal die wichtigen Punkte wiederholen? Ein paar Pflöcke | |
| einrammen für die anstehenden Koalitionsverhandlungen? Sinnlos, denn nach | |
| dem Wahlabend stand bereits fest, dass Koalitionsoptionen nicht von | |
| Verhandlungen, sondern vom Abschneiden der kleinen Parteien abhängen. | |
| Das mag aber auch daran liegen, dass bei der Hälfte der | |
| Politiker*innen in der Berliner Runde noch nicht klar war, ob sie | |
| zukünftig überhaupt noch eine Rolle spielen würden. Der abgelöste Kanzler | |
| wird nicht in ein Kabinett Merz eintreten. Und inzwischen wissen wir, dass | |
| auch Christian Lindner (FDP) und Amira Mohamed Ali (BSW) ihre politische | |
| Arbeit im Bundestag nicht werden fortsetzen können. Robert Habeck (Grüne) | |
| kündigte am Montag ebenso seinen Rückzug aus der Parteispitze an. | |
| Aber auch der Wahlsieger Friedrich Merz wirkte eher abgekämpft als | |
| euphorisiert. Markus Söder hatte es nicht einmal geschafft, sich zu | |
| rasieren. Sein Zwei-Tage-Bart und der Rollkragenpulli unter dem Sakko waren | |
| sicher ein Statement. Vielleicht wollte er deutlich machen, dass für ihn | |
| noch Wochenende ist und er sich für Berlin ganz sicher nicht herausputzt. | |
| ## Keine neuen Gesichter | |
| Die Runde hatte etwas Geisterhaftes. Ganz so, als wären ihre Protagonisten | |
| aus der Vergangenheit plötzlich und unerwartet in die Zukunft gefallen. Ein | |
| Phänomen, das auch den Wahlkampf geprägt hatte. So krachend wie die Ampel | |
| ist noch keine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik gescheitert. | |
| Trotzdem präsentierten weder die SPD noch die Grünen oder die FDP neue | |
| Gesichter mit neuen Ideen – bitte wählt uns noch mal, dann machen wir es | |
| bestimmt besser! | |
| Und auch der Wahlsieger Friedrich Merz wirkt wie ein Wiederkehrer aus einer | |
| Zeit, die inzwischen so lange her ist, dass sie bereits ihr modisches | |
| Revival erlebt hat. Auf das, was diese neue Zeit, dieses neue Land prägen | |
| wird, hat er keine Antwort. Das sitzt nämlich zwei Plätze weiter und | |
| fantasiert genüsslich den Untergang herbei. | |
| Kürzlich wurde im Bundestag noch über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren | |
| debattiert, nun ist es Alice Weidel gelungen, jede*n fünfte Wähler*in | |
| für sich an die Urne zu bringen. In Ostdeutschland ist die AfD mit Abstand | |
| die stärkste Kraft und gewinnt nahezu alle Direktmandate. Und natürlich hat | |
| Alice Weidel Friedrich Merz schon um kurz nach 18 Uhr ein Angebot gemacht. | |
| Dass es sich um ein vergiftetes handelt, das ist klar. Und deshalb | |
| prophezeit Weidel Friedrich Merz ein schnelles Ende seiner Kanzlerschaft | |
| und unterstellt ihm Wahlbetrug, noch bevor er tatsächlich sein Amt antreten | |
| kann. | |
| Merz’ Reaktion darauf offenbart bereits seine ganze Hilflosigkeit. Er | |
| grinst breit. Lächerlich, möchte er sagen, das ist doch alles lächerlich. | |
| Doch er selbst war es, der im Wahlkampf dafür gesorgt hat, dass man seine | |
| Beteuerungen, man habe mit der AfD inhaltlich keine Gemeinsamkeiten, nicht | |
| ruhigen Herzens glauben kann. | |
| ## Griff in die rechtspopulistische Trickkiste | |
| Nicht nur die gemeinsame Abstimmung mit den Rechtsextremen im Bundestag, | |
| sondern auch seine Rede zum Wahlkampfabschluss in München am Tag zuvor | |
| zeigen, dass er durchaus bereit ist, tief in die rechtspopulistische | |
| Trickkiste zu greifen. | |
| Er würde nun wieder Politik für die Leute machen, die „noch alle Tassen im | |
| Schrank haben“. Die Zivilgesellschaft, die von demokratischen Parteien in | |
| der Regel zu Engagement gemahnt wird, wenn rechtsextreme Wahlergebnisse, | |
| Machtfantasien und Straftaten überhandnehmen, kanzelt er als „linke und | |
| grüne Spinner“ ab. Seinen politischen Gegnern Geisteskrankheit zu | |
| unterstellen, das schafft sonst wirklich nur die AfD. Und es ist ein | |
| gefährliches Bild. Wer kann es denn ernsthaft verantworten, mit den | |
| Vertretern derjenigen zu koalieren, die man für verrückt hält? | |
| Später am Abend wird in den Auswertungsrunden bei Caren Miosga und Maybrit | |
| Illner deutlich, dass die veränderte politische Landschaft in Deutschland | |
| mit der sich andeutenden neuen Weltordnung kollidiert. Denn die brennendste | |
| internationale Frage ist nicht die Frage der Migration, die den Wahlkampf | |
| in Deutschland so maßgeblich geprägt hat. Es ist der Fortbestand der Nato | |
| und die Sicherheitsordnung in Europa. | |
| Um die wachsenden Verteidigungsausgaben für Deutschland zu stemmen, kommt | |
| Friedrich Merz nicht um ein Lösen der Schuldenbremse herum. Doch dafür | |
| fehlt ihm nun die nötige Zweidrittelmehrheit. Die erstarkte Linke und die | |
| AfD werden das (aus sehr unterschiedlichen Gründen) nicht mittragen. Aus | |
| parteipolitischen Gründen hatte Friedrich Merz es verpasst, dieses Problem | |
| gemeinsam mit Olaf Scholz zu lösen, als es noch möglich war. | |
| Die Bundesrepublik ist seit Sonntagabend ein anderes Land. Es ist eines, in | |
| dem eine Regierungsmehrheit an ihre gestalterischen Grenzen stößt, noch | |
| bevor sie ihre Arbeit begonnen hat. | |
| 24 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
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