# taz.de -- Hackerin über die Branche: „Ich versuche, eine Frau als Vorgeset… | |
> Lilith Wittmann deckt Sicherheitslücken bei Behörden und Firmen auf. Ein | |
> Gespräch über Spaß beim Hacken, ihre Motivation und Männer in IT-Berufen. | |
Bild: Lilith Wittmann, Krawall-Influencerin | |
taz: Wenn dich jemand auf einer Party fragt, was du machst – was sagst du | |
dann, Lilith? | |
Lilith Wittmann: Wenn die Leute mich gar nicht kennen, versuche ich eher | |
einen Bogen um das Thema zu machen. Dann sage ich, dass ich mich damit | |
beschäftige, wie man digitale Ökosysteme designt. Das stimmt im weitesten | |
Sinne auch. Dann ist das Thema glücklicherweise meist beendet. | |
taz: Wenn du dich als [1][Hackerin] vorstellen würdest, bekommen die Leute | |
vielleicht Angst, dass du sie durchleuchten könntest? | |
Wittmann: Ja, genau solche Sachen kommen dann. Auch wenn ich in einem Café | |
bin und jemand fragt mich, was ich da am Laptop mache, dann sage ich nicht, | |
dass ich gerade was hacke. | |
taz: Macht dir Hacken Spaß? Es sieht jedenfalls so aus, wenn man Videos | |
anschaut, in denen du über [2][deinen Aktivismus] sprichst. | |
Wittmann: Meine Vorträge komprimieren monatelange Recherchen – und das | |
möglichst lustig, schließlich will ich die Leute für Themen interessieren, | |
von denen sie noch nie gehört haben. Der Teil davor, das Hacken, ist eher | |
langweilig. An manchen Tagen finde ich nichts oder stelle nur 100 | |
Informationsfreiheitsgesetz-Anfragen. Einen Adrenalinrausch habe ich, wenn | |
ich wochenlang darüber gegrübelt habe, wie ich Daten aus einem System | |
befreien kann, und dann klappt das. Danach beginnt die eigentliche Arbeit: | |
Beweise sichern, Anbietern Bescheid sagen, einen Report schreiben, | |
Datenschutzbehörden informieren, mit meinem Anwalt und teilweise mit Medien | |
reden. | |
taz: Auf welche Recherche bist du besonders stolz? | |
Wittmann: Darauf, drei geheime Außendienststellen des Verfassungsschutzes | |
enttarnt zu haben. Ich beschäftige mich häufig mit Institutionen unserer | |
Gesellschaft, die mir Unbehagen machen: die Schufa, die Knastindustrie oder | |
eben den Verfassungsschutz. | |
taz: Wie bist du auf die Recherche gekommen? | |
Wittmann: Ich wollte eigentlich per maschinellem Lernen, also mithilfe | |
einer künstlichen Intelligenz, ein für alle lesbares Organigramm der | |
Bundesverwaltung bauen. Niemand hat einen Überblick, welche Bundesbehörden | |
es gibt und wie die strukturiert sind. Das zu recherchieren dauert Wochen. | |
Das habe ich gemacht und angefangen, öffentlich zugängliche Verzeichnisse | |
der Bundesverwaltung durchzugehen. Da drin war eine Behörde, die hieß | |
Bundesservice Telekommunikation. Ich beschäftige mich viel mit der | |
Verwaltung und hätte von dieser Behörde schon mal gehört haben müssen. Also | |
bin ich an den Ort gefahren, wo das sein sollte: Da stand | |
Bundesinnenministerium an der Tür. | |
taz: Und dann? | |
Wittmann: Dann habe ich andere öffentliche Register abgefragt, wie etwa | |
das, wo alle IP-Adressen gespeichert sind. Ich habe dann immer mehr | |
Verbindungen ziehen können und konnte am Ende nachweisen, dass Post an das | |
BMI Treptow am Ende beim Bundesverfassungsschutz landet. Ich habe denen | |
einen Airtag, ein kleines Ortungsgerät, geschickt, mit dem ich die Post | |
nachverfolgen konnte. Insgesamt konnte ich nachweisen, dass das Bundesamt | |
für Verfassungsschutz an insgesamt vier unterschiedlichen Adressen in | |
Berlin Büros besitzt, die mit unterschiedlichen Behördennamen gedeckt | |
waren. Darauf bin ich stolz. | |
taz: Man könnte das auch problematisch finden, weil der | |
[3][Verfassungsschutz uns ja schützen soll] und du seine Arbeit gefährdet | |
hast. | |
Wittmann: Wir wissen im Grunde nicht, wie sehr der Verfassungsschutz uns | |
schützt. Er ist darüber nicht rechenschaftspflichtig. Aus seinen jährlichen | |
Berichten schließe ich, dass die Zivilgesellschaft gerade gegen rechts eine | |
deutlich bessere Arbeit macht. Selbst wenn der Verfassungsschutz Tausende | |
Anschläge verhindert hätte, kann man noch immer fragen, ob es richtig ist, | |
dass ein Geheimdienst das tut statt eine Polizei mit gewissen | |
Rechenschaftspflichten. | |
taz: Wo kommt deine Liebe zur Bundesverwaltung her? | |
Wittmann: Am Ende des Tages müssen wir uns fragen, ob wir in einer | |
Gesellschaft leben wollen, in der die Verwaltung nicht funktioniert. Die | |
Verwaltung ist aus meiner Sicht oft interessanter als die Politik, denn | |
hier wird mit den Gesetzen gearbeitet. Viele schauen nicht hin, deshalb | |
mache ich das. Ich glaube auch nicht, dass Privatisierung da irgendwas | |
besser macht; wir brauchen einen starken Staat. Heutzutage bedeutet das, | |
dass wir Dinge automatisieren oder digitalisieren sollten, aber dabei auch | |
aufpassen, dass keine großen Fehler gemacht werden. Wenn Fehler passieren, | |
betrifft das viele Menschen. Daher ist es wichtig, der Verwaltung auf die | |
Finger zu schauen und sie nach Informationen zu fragen, bis es nervt. | |
taz: Brauchen wir ein Digitalisierungsministerium? | |
Wittmann: Ich halte überhaupt gar nichts davon zu sagen: Wir haben einen | |
Ort für die Schienen, einen für die Bildung und jetzt noch einen Ort für | |
das Digitale. Am Ende des Tages ist das ein Querschnittsthema und betrifft | |
alle. Meine Kernforderung ist seit vielen Jahren, dass sich ein Teil der | |
Verwaltung permanent mit der eigenen Digitalisierung beschäftigt. Aktuell | |
haben die meisten, die in den Ministerien arbeiten, einen Background in | |
Jura oder Verwaltungswissenschaften – Digitalwissen kaufen sie als externe | |
Beratung ein. Jedes einzelne Referat braucht aber auch Menschen, die sich | |
mit Technik auskennen. | |
taz: Dann braucht es eine ITler-Quote? | |
Wittmann: Ja, warum nicht? Mindestens 10 Prozent der Menschen sollten | |
irgendeine Form von IT-Background haben – das wäre auf jeden Fall eine | |
bessere Idee als ein Digitalministerium mit lauter Juristen. | |
taz: Du könntest die Verwaltung ja auch beraten, anstatt ihre Anwendungen | |
zu hacken? | |
Wittmann: Wenn ich in Beratungen sage, dass ein System unsicher ist, sagen | |
sie in der Regel: Da wurde noch nicht genug geforscht oder man muss auch | |
mal Risiken eingehen. Also muss ich denen beweisen, dass sie ein Problem | |
haben – und dann hören sie zu. | |
taz: Was ist der eine Job, den du unbedingt einmal machen willst? | |
Wittmann: Ich habe Markus Richter, Beauftragter der Bundesregierung für | |
Informationstechnik, mal damit geärgert, dass ich seinen Job machen könnte. | |
Würde mir jemand diese Position anbieten, würde ich nicht Nein sagen. Ich | |
möchte an diesen Themen aber eigentlich lieber wie bisher in meiner | |
Freizeit arbeiten. Derzeit arbeite ich bei einem internationalen Konzern | |
und hacke nur am Wochenende. | |
taz: Du hast mit 16 die Schule abgebrochen und eine Ausbildung zur | |
Softwareentwicklerin gemacht. | |
Wittmann: Ich bin in einem Dorf in Rheinland-Pfalz groß geworden, da gab es | |
nicht so viel Interessantes. Dann habe ich Onlinespiele gespielt, da gab es | |
Gruppen von technikinteressierten Leuten. | |
taz: Hat Geschlecht eine Rolle gespielt? | |
Wittmann: Das war das Tolle: Nein. Ich hing mit Leuten in Chats und habe | |
über Themen diskutiert, oft ohne dass man das Alter und Geschlecht | |
voneinander kannte. Wenn man dann Kontakt mit der ganzen Szene hat, merkt | |
man, dass das mit der Realität nicht viel zu tun hat. | |
taz: Kannst du Hacking als Berufswahl für junge Frauen empfehlen? | |
Wittmann: Hacking ist ein schrecklicher Beruf. Man arbeitet in der Regel | |
mit irgendwelchen Technik-Dudes, kommt dann als Externe für eine | |
Sicherheitsprüfung dazu, hackt deren System und dann muss man diesen | |
Männern erklären, warum sie wirklich ein Problem haben. Manchmal kostet es | |
mehr Zeit, Männer davon zu überzeugen, dass sie ein Problem haben, als die | |
Problemlösung selbst. | |
taz: Männer, die anerkennen müssen, dass eine jüngere Frau schlauer ist als | |
sie … | |
Wittmann: Auch jetzt erlebe ich noch manchmal Typen, die mich nicht ernst | |
nehmen und denken, dass sie mir erklären können, warum die Sicherheitslücke | |
bei ihnen jetzt doch kein Problem ist. Mit 21 habe ich als Teamleiterin bei | |
einer großen internationalen Wirtschaftsberatung angefangen und wurde oft | |
genug behandelt wie die Praktikantin. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe | |
ich mich vor Beratungsterminen stundenlang in das Geschäftsmodell der | |
Firmen eingearbeitet, denen ich zuarbeiten sollte. | |
taz: Also eher keine Empfehlung? | |
Wittmann: Grundsätzlich kann man in der Branche tolle Sachen machen und da | |
müssen diversere Menschen rein, denn wenn man Technologie baut, sollte die | |
für alle funktionieren. Und Produktentwicklung mache ich auch bis heute | |
gerne! Ich habe über die Jahre nur gelernt, dass ich besser versuche, eine | |
Frau als Vorgesetzte zu haben. Dann weiß ich, es hat jemand schon weiter im | |
Unternehmen geschafft und man ist auf jeden Fall nicht die Erste. | |
taz: Du wirst dieses Jahr 30 – ändert sich dann was bei dir? | |
Wittmann: Irgendwann muss ich mit diesem öffentlichkeitswirksamen Ding | |
aufhören oder zumindest die Aktionsform ändern. Ich glaube, wenn ich mit 50 | |
noch immer genau dasselbe wie jetzt mache, wäre mir das peinlich. | |
8 Mar 2025 | |
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