| # taz.de -- Deutschlandbild in der Ukraine: Korrekt und ohne Überraschungen | |
| > Alles sei wahnsinnig gut strukturiert in Deutschland, berichtet eine | |
| > Rückkehrerin in die Ukraine. Nur das mit den Arztbesuchen klappt nicht so | |
| > recht. | |
| Bild: Das mit der funktionierenden Gesundheitsversorgung probieren wir in Deuts… | |
| Ich bin kurz nach Kriegsbeginn nach Deutschland geflohen, habe anderthalb | |
| Jahre in Berchtesgaden gelebt“, berichtet die in Odessa lebende | |
| [1][Künstlerin Katerina Biletina]. „Vieles hat mir bei euch gefallen: Die | |
| Straßen und Parks sind so schön angelegt, in den Wäldern gibt es Wege für | |
| Spaziergänger und Fahrradfahrer. Doch nach anderthalb Jahren wollte ich | |
| wieder nach Odessa zurück. Vieles fand ich einengend.“ | |
| So fühlte sie sich von der Religiosität in Berchtesgaden in ihrer | |
| kreativen Arbeit eingeschränkt. „Außerdem wird bei euch alles strukturiert | |
| und differenziert. Das fängt ja schon in der Küche an. Da hat jedes Teil | |
| seine genaue Bestimmung.“ Und diese Differenzierung setze sich in der | |
| Schule fort. Da entschieden ja bereits in einem frühen Alter die Zeugnisse, | |
| ob man aufs Gymnasium gehen darf. So etwas gebe es in der Ukraine nicht, | |
| bemerkt sie. Warum auch? Die Jungs und Mädchen merkten doch oft sehr spät, | |
| was sie wirklich machen können und wollen. | |
| Die medizinische Versorgung sei [2][in Odessa] besser als in Deutschland. | |
| „Hier in Odessa rufe ich, wenn ich ein gesundheitliches Problem habe, meine | |
| Bekannten an – und schon weiß ich, welcher Arzt am besten für meine | |
| Beschwerde ist. Und dann gehe ich am nächsten Tag nach einem kurzen Anruf | |
| hin, beziehe mich auf unseren Bekannten und schon werde ich behandelt.“ | |
| Und noch etwas liegt ihr auf dem Herzen: „Bei euch gibt es keine | |
| Überraschungen, keine guten und keine schlechten. Ihr wollt alles maximal | |
| unter Kontrolle halten. Bei euch darf man ja nicht mal im Wald oder in | |
| einem Park ein Lagerfeuer machen, Schaschlik grillen. Für alles braucht man | |
| eine Genehmigung.“ Sie sieht wirklich nicht so aus wie jemand, der in einem | |
| Wald eine amtlich genehmigte Grillstelle suchen würde. | |
| ## Gute Umgangsformen | |
| Aber es gibt auch Dinge, die ihr an den Deutschen durchaus gefallen. „Sie | |
| haben [3][gute Umgangsformen], achten sehr darauf, im persönlichen Kontakt | |
| nicht die Grenzen des Gegenübers zu übertreten.“ Beeindruckend sei auch, | |
| wie man sich in Deutschland um Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten | |
| kümmere. In der Ukraine gebe es viele Bahnhöfe, in denen Rollstuhlfahrer | |
| wegen fehlender Aufzüge und Rolltreppen nicht von einem Gleis zum anderen | |
| gelangen könnten. | |
| „Ich bin in Deutschland mal bei Rot über die Ampel“, berichtet eine andere | |
| Frau in Kyjiw, die auch über ein Jahr in Deutschland gelebt hat. „Mit dem | |
| Fahrrad. Musste 60 Euro bezahlen. Neben mir war eine Frau, die auch von der | |
| Polizei angehalten worden ist. Und wissen Sie, was sie gesagt hat zu dem | |
| Polizisten? ‚Sie haben recht. Ich bezahle die Strafe. Aber da war doch noch | |
| ein Radfahrer direkt neben mir. Wieso haben Sie den nicht angehalten?‘ | |
| Nein, so was würde bei uns in der Ukraine nicht passieren. In solchen | |
| Dingen sind wir Anarchisten. Wir haben ein Wir-Gefühl gegenüber dem Staat. | |
| Aber ihr in Deutschland habt ein Wir-Gefühl mit dem Staat.“ | |
| Die Leute in Deutschland seien „superkorrekt“. „Aber diese Superkorrekthe… | |
| hat auch Nachteile: Wenn ich in Deutschland beim Arzt bin, dann geht das | |
| alles rucki, zucki. Der Arzt spricht nicht ein Wort zu viel. Klar, das ist | |
| effektiv. Aber ich war hier in Kyjiw kürzlich bei der Podologin. Die hat | |
| erst mal Essen und eine Tasse Kaffee aufgetischt. Und dann haben wir uns | |
| unterhalten, über sehr private Dinge. So was kann dir in Deutschland nicht | |
| passieren.“ | |
| 14 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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