# taz.de -- Millionennachzahlung verlangt: Mieter wehren sich erfolgreich gegen… | |
> Göttinger müssen überhöhte Heizkostennachzahlungen erstmal nicht | |
> bezahlen. Die Hauseigentümerin LEG klagt nun gegen den Energieversorger | |
> Enercity. | |
Bild: Im Nachbarschaftszentrum finden Groner Mieter in ihrer Not Unterstützung | |
Göttingen taz | Es waren happige Forderungen, die Mieterinnen und Mietern | |
im Göttinger Stadtteils Grone im Dezember 2023 [1][ins Haus flatterten]: | |
5.000, 8.000 oder sogar 9.000 Euro sollten sie zahlen, oder genauer gesagt: | |
nachzahlen, für die im Jahr 2022 drastisch gestiegenen Heizkosten. | |
In der seit über einem Jahr andauernden Auseinandersetzung darum deutet | |
sich nun eine ungewöhnliche Wende an. Die LEG-Immobilien-Gruppe, die in den | |
[2][oft als „abgehängt“ beschriebenen] Teilen des Viertels rund 1.100 | |
Wohnungen besitzt, will nun gegen den Energielieferanten Enercity klagen | |
statt gegen die Mieter. Die sind dadurch zumindest für die nächsten Jahre | |
vor diesen Forderungen geschützt. | |
Auf einer gut besuchten Bürgerversammlung am Mittwochabend begrüßten die | |
von Mietern ins Leben gerufene Prüfgemeinschaft und der Mieterbund den | |
Vorstoß. Es handele sich um ein „Vorbild auch für andere Quartiere“. | |
Vor gut einem Jahr hatten Mieterinnen und Mieter der LEG in Grone ihre | |
Heizkostenabrechnungen für 2022 mit teils horrenden Nachforderungen | |
erhalten, insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro. Enercity – das Unternehmen | |
ist weitgehend im Besitz der Stadt Hannover – hatte die Erhöhung mit einer | |
sogenannten Preisanpassungsklausel im Wärmelieferungsvertrag begründet und | |
unter anderem auf eine sich damals abzeichnende [3][Energiekrise infolge | |
des Ukraine-Krieges] verwiesen. Die LEG hatte die Kosten vorgestreckt und | |
dann an die Mieter weitergereicht. | |
## Massenhafte Widersprüche gegen Nachzahlung | |
In der Folge verbündeten sich viele Groner Mieter. Sie riefen eine | |
Prüfgemeinschaft ins Leben, der inzwischen rund 60 Prozent der | |
LEG-Haushalte angehören, und legten massenhaft Widersprüche gegen die | |
Nachzahlungsforderungen ein. Gleichzeitig gaben sowohl die Prüfgemeinschaft | |
als auch LEG und Enercity Gutachten in Auftrag, die erwartungsgemäß zu | |
unterschiedlichen Bewertungen kamen. Der Widerstand war zunächst | |
erfolgreich, bis heute mussten die Mieterinnen und Mieter nicht zahlen. Die | |
Forderung blieb jedoch bestehen. | |
Nach langen Verhandlungen zwischen LEG, Prüfgemeinschaft und | |
[4][Mieterverein] können die Beteiligten jetzt einen Ausweg aus der | |
festgefahrenen Lage aufzeigen: Das Immobilienunternehmen will die | |
Rechtmäßigkeit der Nebenkosten gerichtlich prüfen lassen und gegen Enercity | |
klagen. „Der Entwurf dafür soll bis nächste Woche stehen und spätestens im | |
März eingereicht werden“, sagte LEG-Jurist Clemens Kuhn der taz. „Wir haben | |
jetzt gemeinsam einen Weg zum Wohle der Mieter gefunden, und wir sehen sehr | |
große Erfolgsaussichten.“ | |
Dabei rechnet die LEG mit einem mindestens drei Jahre dauernden Verfahren | |
durch mehrere Instanzen. So lange, versichert Kuhn, müssten die Mieter die | |
Heiznebenkosten für 2022 keinesfalls zahlen, auch Zinsen würden in dieser | |
Zeit nicht auflaufen. „Wir stunden die Zahlungen für die Zeit der Klage.“ | |
Die LEG werde auch keine Kündigungen wegen Zahlungsverzugs aussprechen, die | |
Forderungen nicht mit Kautionen verrechnen und den Bewohnern auf Wunsch | |
Bescheinigungen für Mietschuldenfreiheit ausstellen. | |
Bei einem Erfolg vor Gericht, verspricht die LEG, erhalten alle Mieter eine | |
neue Abrechnung für 2022. „Wir legen dann den Preis zugrunde, der vor der | |
Erhöhung in Kraft war, also den von 2021. Wir ziehen also die 1,5 Millionen | |
wieder von den Heizkosten ab.“ Für Enercity wäre eine juristische | |
Niederlage übrigens locker zu verschmerzen. Im Krisenjahr 2022 hat der | |
Konzern nach eigenen Angaben ein Rekordgeschäft gemacht und 218,5 Millionen | |
Euro Gewinn erwirtschaftet – ein Plus von 3,2 Prozent gegenüber dem | |
Vorjahr. | |
Und wenn die Klage scheitert, die Heizkostenforderung also für rechtmäßig | |
befunden wird? Für diesen Fall, sagt Andrea Obergöker „haben wir einen | |
Rettungsschirm aufgespannt“. Die Rechtsanwältin war an den Verhandlungen | |
mit der LEG beteiligt. So beinhalte die Vereinbarung etwa Möglichkeiten der | |
Zahlung in Raten von maximal 50 Euro pro Mieter und 125 Euro pro | |
Mietverhältnis. Es werde kein Inkassobüro mit dem Eintreiben von | |
Rückständen beauftragt. Und schließlich lege die LEG einen Härtefallfonds | |
über 300.000 Euro auf, falls der Prozess verloren geht. Über die Auszahlung | |
bestimmt ein Ausschuss aus Prüfgemeinschaft, Mieterverein und LEG. Wer | |
transferleistungsberechtigt sei, so Obergöker, bekomme die Nebenkosten | |
ohnehin von der Stadt beziehungsweise der Arbeitsagentur erstattet: „Ich | |
glaube, dass niemand existenzielle Sorgen haben muss.“ | |
Hendrik Falkenberg von der Prüfgemeinschaft zeigt sich ebenfalls sehr | |
zufrieden mit der Vereinbarung. „Wir haben was Tolles erreicht, was | |
Wunderschönes“, freut er sich. Als „Haar in der Suppe“ sehen die | |
Mietaktivisten indes eine am Mittwochabend von der LEG vorbereitete und | |
verteilte „Verjährungsverzichterklärung“. | |
„Verlieren wir, besteht ja der alte Anspruch aus der | |
Nebenkostenabrechnung“, erläutert LEG-Jurist Kuhn den Bewohnern. „Da die | |
Klage gegen Enercity lange dauern kann, ist es möglich, dass der Anspruch | |
gegen Sie verjährt ist. Das wollen wir vermeiden. Erklären Sie nicht den | |
Verzicht, müssten wir Sie direkt verklagen und nicht Enercity. Das wollen | |
wir aber nicht, und deshalb werben wir für diesen Weg.“ | |
Um das Abkommen nicht zu gefährden, raten auch Falkenberg und Anwältin | |
Obergöker allen Betroffenen, die Erklärung zu unterzeichnen. | |
13 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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