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# taz.de -- Bio-Vertreterin über Ernährungsdebatten: „Essen wird genutzt, u…
> Die politischen Debatten übers Essen hängen ihr „zum Halse raus“, sagt
> Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft.
Bild: Wie viel Fleisch darf es sein? Bei Markus Söder ist es eher mehr als wen…
taz: Frau Andres, [1][Markus Söder, CSU, gibt sich gern als
Fleischliebhaber], unter dem Hashtag #söderisst postete er erst vor Kurzem
zum Beispiel, wie er ganz genüsslich in eine Bratwurst beißt. Wie ist Ihr
Eindruck?
Tina Andres: Ich esse selbst gern Fleisch. Ab und zu ein gutes Stück
Fleisch zu essen ist kein Problem. Aber Söder will ja zeigen, dass er sich
nicht reinregieren lässt in den Kochtopf, in sein Gericht auf dem Teller.
Das ist albern. Denn es ist keine Rede davon, dass Fleischessen verboten
werden soll. Essen wird genutzt, um zu polarisieren. Das braucht die
Gesellschaft gar nicht.
taz: Söder hat sehr viele Follower in den sozialen Medien …
Andres: Aber würden alle nur in der Kategorie
Die-Wurst-ist-mein-Hoheitsgebiet denken, wäre doch nicht so viel in
Bewegung! Die Ernährungswelt ist schon viel differenzierter als die
politische Diskussion, die uns derzeit um die Ohren gehauen wird. Sie
ermüdet, hängt mir zum Halse raus. Und bestimmt nicht nur mir, sondern
vielen anderen auch.
taz: Die Menschen kaufen schon jetzt anders ein als früher?
Andres: In die fünf Biosupermärkte, die ich leite, kommen immer mehr ältere
Menschen, die fragen: Meine Enkeltochter kommt zu Besuch, die ist vegan,
was koche ich denn? Ich würde mir wünschen, dass wir mehr darüber reden,
was diese Veränderungen von Ernährungsgewohnheiten auch bringen, zum
Beispiel aus volkswirtschaftlicher Sicht.
taz: Welche Wirkungen erzielen mehr oder weniger nachhaltige
Ernährungsgewohnheiten?
Andres: Klimaschutz, Artenvielfalt. 45 Prozent des globalen Artensterbens
gehen zum Beispiel auf die derzeitige Ernährungswirtschaft zurück. Die
deutsche Landwirtschaft verursacht Kosten in Höhe von 90 Milliarden Euro
pro Jahr, weil sie das Klima anheizt, die Böden und das Grundwasser
belastet und am Ende der menschlichen Gesundheit zu schaffen macht.
Zusätzliche 300 Millionen Euro müssen jeden Tag aufgebracht werden, um
ernährungsbedingte Krankheiten zu behandeln, Herzkreislaufprobleme,
Diabetes, Unverträglichkeiten. Das ist ökonomischer Wahnsinn. Wir haben es
mindestens dreimal am Tag in der Hand, dies zu ändern, beim Frühstück,
Mittagessen, Abendbrot.
taz: Gibt es eine deutsche Esskultur?
Andres: Mit Sicherheit, aber im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern
gehen wir sehr sorglos mit unserer Essensqualität um. Italiener oder
Franzosen legen sehr viel mehr Wert auf gute Zutaten und deren Zubereitung.
Sie zahlen dafür auch viel mehr. Wir haben es verlernt, dass Lebensmittel
einen Wert haben. Wir müssen uns darauf aber wieder besinnen.
taz: Nicht einfach, kaum steigt der [2][Butterpreis], beschäftigt das die
ganze Republik.
Andres: Die Deutschen halten sich wirklich stark mit den
Lebensmittelpreisen auf, weil wir es geschafft haben, sie in den
vergangenen Jahrzehnten zu Dumpingpreisen zu degradieren. Nirgendwo sonst
regt man sich so sehr über Butterpreise auf, die ja nicht einmal
kostendeckend für die Erzeuger sind, zumindest nicht für die Biobauern.
Selbst Menschen, die keine finanziellen Sorgen haben, tun es. Als mit dem
Ukrainekrieg die Inflationsangst wieder aufkam, haben die Menschen
hierzulande zuallererst an Lebensmitteln gespart. Sich an ihnen
gesundzusparen, das ist allerdings verdammt schwierig. Ihr Konsum macht nur
wenig an den Gesamtausgaben der Haushalte aus.
taz: 14,8 Prozent waren es im Jahr 2023 im Schnitt, 1950 noch 44 Prozent –
das ist keine gute Entwicklung?
Andres: Das ist so wenig wie in kaum einem anderen EU-Land. Wenn man sich
gleichzeitig noch anschaut, wie viel teurer Urlaubsreisen geworden sind –
Österreich hat Rekordbuchungen bei deutschen Touristen bei saftig
gestiegenen Preisen. Es regt sich auch keiner über die gestiegenen Kosten
für einen Flug nach Barbados auf.
taz: Es gibt Leute, die sich am Monatsende nur noch Toastbrot leisten
können …
Andres: Das gehört sich in einem immer noch wohlhabenden Land wie
Deutschland nicht und muss dringend geklärt werden. Gute Ernährung steht
allen zu, sie ist ein Menschenrecht. Wir haben zudem einen eklatanten
Fachkräftemangel und eine enorm hohe Krankenquote. Wir dürfen es uns – kühl
volkswirtschaftlich betrachtet – überhaupt nicht leisten, dass sich
Menschen schlecht ernähren.
taz: Wie muss Politik gegensteuern?
Andres: Bisher gibt es nicht einmal in der Ausbildung der Ärzte das Thema
Ernährungsmedizin. Außerdem ist die Ernährung in Kitas, in Schulen, auch in
Krankenhäusern bodenlos schlecht. Das machen andere besser. Dänemark zum
Beispiel, Kopenhagen besonders. Dort ist die Versorgung in öffentlichen
Küchen zu 90 Prozent auf Bio umgestellt, es gibt weniger Fleisch, mehr
Gemüse. Das ist auch gar nicht viel teurer.
10 Feb 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Hanna Gersmann
## TAGS
Ernährung
Verbraucherschutz
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
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Wir haben es satt
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
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