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# taz.de -- Wandbild im Berliner Mauerpark: Mit dem Pinsel gegen das Vergessen
> Aktivist*innen malen in Berlin ein Wandbild aus Solidarität mit
> Verschwundenen in Kolumbien. Dort löst die Aktion einen rechten Shitstorm
> aus.
Bild: Kleine Aktion, große Wirkung: Aktivist*innen bei der Arbeit
Berlin taz | Das Wandbild thront mit leuchtenden gelben Buchstaben auf
schwarzem Hintergrund und dem Bild einer älteren Frau mit erhobener Faust
über dem „Amphitheater“ im Mauerpark. Auf beeindruckenden 50 Metern steht
auf der Wand „Las cuchas tienen razón“, auf Deutsch etwa „Die Mütter ha…
recht“.
In nur wenigen Tagen hat das Graffiti die kolumbianische Öffentlichkeit so
sehr bewegt, dass auf eine Welle der Solidarität ein Sturm rechter
Kampagnen folgte, deren Wirkung bis in die kolumbianische Diaspora in
Berlin zu spüren ist. Gnadenlose Sprayer – an diesem Ort nichts Unübliches
– haben das Bild mittlerweile wieder übermalt.
Die „Mütter“ sind eine Gruppe von Frauen in der kolumbianischen Großstadt
Medellín, die seit 2002 nach ihren „verschwundenen“ Söhnen und Töchtern
suchen. Damals [1][führte der rechte Präsident Álvaro Uribe mithilfe von
Paramilitärs einen blutigen Krieg] gegen Guerilla-Gruppen. Dieser diente
ihm auch als Vorwand für zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung.
## Militäroperationen in Medellín
Eines der traurigsten Kapitel dieser Gewaltgeschichte waren eine Reihe
Militäroperationen in einem marginalisierten Viertel Medellíns, an deren
Ende mehr als 500 Menschen „verschwanden“ – oder eher „verschwunden wor…
sind“. Väter, aber vor allem Mütter forderten seither Aufklärung vom Staat.
Doch der war taub.
Seit Langem hegten die Mütter den Verdacht, die sterblichen Überreste ihrer
Kinder seien in einer riesigen Müllkippe am Rand der Stadt verscharrt
worden. Ihr 22-jähriger Kampf und Druck auf die Behörden war erfolgreich:
Im Januar dieses Jahres fand eine Sucheinheit auf der Müllkippe Knochen von
Menschen, die zur Zeit der Militäroperation im Jahr 2002 getötet worden
sind.
Graffitikünstler*innen schrieben in den Tagen danach in Großbuchstaben
„Die Mütter haben recht“ auf eine Mauer in Medellín. Doch [2][der aktuelle
Bürgermeister Federico Gutierrez, ein Vertrauter des Ex-Präsidenten Uribe],
ließ das Wandbild übermalen. Kein Platz im Stadtbild für eine so öffentlich
sichtbare Erinnerung.
Das ließen die Graffitikünstler nicht auf sich sitzen, kamen zurück,
bemalten die Mauer wieder, und auch in anderen Städten Kolumbiens schrieben
Sprayer nun „Die Mütter haben recht“ auf die Mauern.
## Gut organisierte Community in Berlin
Auch die gut organisierte kolumbianische Community in Berlin machte mit.
Mehr als 50 Leute nahmen am vergangenen Sonntag Pinsel in die Hand und
trafen sich im Mauerpark. Selbstorganisiert und ohne jede institutionelle
Unterstützung, wie Luis Sanchez*, Graffitikünstler und Teil der Gruppe,
betont: „Wir wollten dabei mithelfen, dass die Wahrheit nicht einfach
begraben werden kann, und auch gemeinsam in Berlin die schrecklichen Spuren
des Kriegs in Kolumbien verarbeiten“, sagt er.
Die Berliner Kolumbianer*innen fügten dem Schriftzug Worte gegen das
Erstarken des Faschismus in den USA und in Deutschland hinzu sowie die
Forderung nach Frieden auch in Gaza. „So wurde die Hommage an die Mütter,
die ihre Kinder suchen, zu einem Symbol für einen globalen Kampf für
Gerechtigkeit und Erinnerung“, heißt es in einem Statement der Gruppe.
Doch dann überrannten die Ereignisse die Künstler*innen. Und zwar ab dem
Moment, in dem Pablo Rodriguez*, ein Kolumbianer, der in Berlin wohnt und
an diesem Sonntagmorgen zufällig im Mauerpark spazierte, das Wandbild
entdeckte, das Handy zückte und das Video bei Facebook teilte.
Das Wandbild war noch gar nicht fertig, da kursierte es schon im Netz.
Zuerst teilten es Rodriguez’ Freunde, später geht es viral in allen großen
Netzwerken. Am Anfang gab es vor allem Zuspruch, auch ein
reichweitenstarker kolumbianischer Politiker teilte das Wandbild.
## Schwemme von Hassnachrichten
Das alles bekommt Rodriguez nicht mit. Zwei Tage später habe er eine
Nachricht von einem Freund aus Kolumbien erhalten, berichtet Rodriguez. Ob
er wisse, dass er bei der Berliner Polizei angezeigt worden ist. Rodriguez
versteht erst einmal gar nichts. Dann loggt er sich auf Social Media ein
und sieht die Schwemme von Hassnachrichten, die ihm zugeschickt wurden.
Was war passiert? Ein – laut seinem Profil offensichtlich sehr weit rechts
positionierter – Kolumbianer, der in München lebt, erstellte online Anzeige
gegen Rodriguez und zwei weitere Personen wegen des Graffitis und teilte
einen Screenshot der Anzeige. Dort faselt er, die Sprayer seien
Unterstützer des „internationalen Terrorismus“, möglicherweise in den
Drogenhandel verwickelt, und hätten illegal eine Mauer bemalt.
Das ist alles komplett falsch – selbst [3][die Mauer im Park ist für
Graffiti freigegeben]. Aber die Nachricht erzielt trotzdem ihre Wirkungen.
Auf X teilen dubiose Accounts Fake News über Rodriguez; rechte Medien
schreiben nun gar, die an der Aktion beteiligten Kolumbianer*innen
würden aus Deutschland abgeschoben.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen mit massenhaften
Abschiebungen aus den USA sorgt so eine Falschnachricht für doppelte
Unruhe: „Familienmitglieder und Freunde meldeten sich besorgt bei mir“,
erzählt Rodriguez, der ja noch nicht einmal mit gemalt hatte. „Einfach nur,
weil ich sonntags durch den Mauerpark spaziert bin, beleidigten mich
hunderte Leute im Netz und in großen Zeitungen stand auf einmal mein Name.“
Eine solche Stigmatisierung kann in Kolumbien gefährlich sein; einem Land,
in dem letztes Jahr 173 Aktivist*innen ermordet wurden. Die rechte
Kampagne gegen die Graffitikünstler folgte einem bekannten Muster: Fake
News, in die Welt setzen, einzelne Leute an den Pranger stellen, direkte
Bedrohungen aussprechen.
Oft trifft es auch das Umfeld und die Familie der Menschen im Fadenkreuz
des rechten Hasses. So machten sich die Berliner
Aktionskünstler*innen nicht nur um sich selbst Sorgen, zum Beispiel
bei ihrem nächsten Kolumbienbesuch. Manche sorgten sich auch um ihre
Familien.
## Allgegenwärtige Unsicherheit und Bedrohung
Doch der Schatten kolumbianischer Paramilitärs reicht bis nach Berlin:
„Manche Leute, die in Kolumbien politisch sehr aktiv waren, fühlen sich
auch hier nicht hundert Prozent sicher“, sagt Graffitikünstler Sanchez.
Das Agieren des Kolumbianers aus München, der die Anzeige stellte, sei
beunruhigend. „Es ist schwer einzuschätzen, wie gefährlich die Bedrohungen
sind, aber sie sind in jedem Fall eine Warnung, wie schnell sich Hass
ausbreiten kann und dann eventuell auch Einzelpersonen Taten folgen
lassen.“ Dieses Schema sei genauso typisch für die kolumbianische wie die
deutsche Rechte, sagt Sanchez. In jedem Fall kosteten die letzten Tage viel
Zeit und Energie unter emotionalem Stress.
Die Unsicherheit, die die Kolumbianer*innen in Berlin spürten, hat
noch einen weiteren Hintergrund: Die allgegenwärtige Bedrohung, die
Ausländerbehörde könnte jeden noch so kleinsten Eintrag in einer
Polizeiakte [4][zum Nachteil bei Aufenthaltsfragen auslegen]; auch wenn die
Anzeige völlig unsinnig ist.
„Was mir am meisten Sorgen machte, war mein Ruf bei den deutschen
Behörden“, sagt auch Rodriguez, der Spaziergänger, gegen den auf einmal
eine Anzeige vorlag. Deshalb ging er selbst ins Polizeirevier, um die Dinge
klarzustellen. Die deutsche Polizei ist in diesem Fall allerdings mehr als
uninteressiert: „Der Polizist hat gelacht, weil ihm die Anzeige so absurd
erschien. Er meinte, ich soll mir keine Sorgen machen, da passiere nichts“,
sagt er.
Die Aktivist*innengruppe wiederum hat sich nach den Drohungen im
Internet dazu entschieden, nur noch anonym in die Öffentlichkeit zu treten.
„Das war so nicht geplant und hat uns schon sehr eingeschränkt“, sagt
Sanchez. Ihn ärgert besonders, dass die falschen Unterstellungen, die das
Engagement der Mütter auf Wahrheitssuche und ihre Unterstützer in die Nähe
von Terroristen rücken.
Dadurch werden die Leidtragenden des bewaffneten Konflikts erneut zum
Opfer. Doch trotz des rechten Shitstorms zieht Sanchez ein positives Fazit
der letzten Tage: „Am Ende zeigt doch auch diese Gegenreaktion in diesen
Kreisen, dass die Aktion erfolgreich war und wie wichtig es ist, so etwas
zu machen.“
* Namen geändert
8 Feb 2025
## LINKS
[1] /Kolumbien-vor-dem-Referendum/!5341802
[2] /Kommunalwahl-in-Kolumbien/!5966739
[3] /Berliner-Graffiti-Aktivist-ueber-Freiraum/!5769670
[4] /Migrationsdebatte-in-Berlin/!6063825
## AUTOREN
Fabian Grieger
## TAGS
Graffiti
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