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# taz.de -- Regisseur über türkische Macht im Kosovo: „Gott liefert man nic…
> Der lange Arm der Türkei in Kosovo: Davon erzählt Jeton Nezirajs
> Theaterstück „Six against Turkey“ und dessen Absetzung in der Stadt
> Prizren.
Bild: 2018 protestierten Studenten des Mehmet Akif Colleges in Kosovo gegen die…
taz: Jeton Neziraj, Ihr Stück „Six against Turkey“ wurde im Stadttheater
Prizren unter fragwürdigen Umständen plötzlich abgesagt. Wie kam es dazu?
Jeton Neziraj: Als offizieller Grund für die Absage wurden technische
Probleme mit der Heizung angegeben. Es gab aber auch die Aufforderung von
einer türkischen Kleinstpartei in Kosovo (der YTHP, Anm. d. Autors) an den
Bürgermeister der Stadt, die Aufführung zu verbieten.
taz: Mit welcher Begründung?
Neziraj: Sie verletze angeblich die türkischen Interessen, sei gegen
Präsident Erdoğan gerichtet, der auch Ehrenbürger von Prizren ist, sowie
gegen die Werte der türkischen Community in Kosovo. Dazu muss man sagen,
dass das Stück schon mehrfach in Kosovo aufgeführt wurde. Vom Theaterleiter
in Prizren wurde es gerade wegen seiner Themen und der Tatsache, dass es in
der Stadt eine starke türkische Community gibt, eingeladen. Von den
Menschen dort erhielten wir ebenso positiven Zuspruch. Später fanden wir
heraus, dass die Sache viel größer war. Wir erfuhren, dass die türkische
Botschaft direkten Druck auf die Stadtverwaltung von Prizren ausübte.
taz: Wie geht es nun weiter? Warten Sie auf den Frühling, damit die Heizung
nicht mehr als Grund angegeben werden kann, um „Six against Turkey“ auch in
Prizren zeigen zu können?
Neziraj: Die Heizung ist nicht das Problem. Zwei Tage später war alles
repariert. Und der Intendant will uns auch weiter haben. Er hat es nur
nicht unmittelbar danach versucht, weil die Aufregung im Land groß war. Es
wurde als Skandal gesehen, dass eine ausländische Macht so viel Einfluss im
Land hat. Die Mehrheit der Bevölkerung vertritt europäische Werte.
taz: Ihr Stück basiert auf einem Skandal von 2018, bei dem sechs türkische
Staatsbürger, die als Anhänger von Erdoğans Gegenspieler, dem unlängst
verstorbenen [1][Fethullah Gülen] galten, aus dem Kosovo an die Türkei
ausgeliefert wurden. Die Reaktionen damals waren durchaus heftig. Der
damalige Innenminister Flamur Sefaj, in dessen Verantwortung die Ausweisung
stand, wurde anschließend entlassen. Auch der kosovarische Geheimdienstchef
musste seinen Posten räumen. Eine parlamentarische Untersuchungskommission
wurde eingerichtet. Und Politiker aus Kosovo bezeichneten die Deportation
als „dunkelste Stunde in der Geschichte des Landes seit der
Unabhängigkeit“. Wie haben Sie die Reaktionen wahrgenommen?
Neziraj: Die meisten Leute waren geschockt. Sie konnten gar nicht
verstehen, was da abgelaufen war und fragten sich, wie es möglich sei, dass
eine solche mafiaähnliche Operation stattfinden konnte. Hinzu kam, dass
Gastfreundschaft bei uns geradezu als heilig gilt. Der Gast ist
gewissermaßen Gott. Und Gott liefert man nicht aus. Zugleich zeigte der
Vorfall auch, wie fragil der kosovarische Staat ist. Das traumatisierte
viele Menschen.
taz: Als Sie das Thema aufgriffen, das Stück schrieben und schließlich die
Proben begannen, erfuhren Sie in der Zeit schon Druck von türkischer Seite?
Neziraj: Wir wurden sehr häufig über die sozialen Medien bedroht. Wir
nehmen das aber nicht sonderlich ernst, weil wir das schon aus anderen
Produktionen kennen, etwa „Balkan Bordello“ (über die Balkankriege und die
Taktiken der europäischen Mächte dabei) oder „Fifty Shades of Gay“ (über
Homosexualität in Kosovo). Das war also nichts Neues.
Wir hatten in der Produktion aber ursprünglich zwei türkische Schauspieler,
einen aus der Türkei und einen aus Deutschland. Denn wir wollten auch ihre
Perspektiven und ihr Wissen in das Stück einbringen. Beide zogen sich aus
Angst vor Repressalien aber zurück.
Dass der türkische Schauspieler aus Deutschland nach einigen Probetagen
absagte, zeigte uns, dass der Arm des türkischen Staates auch bis ins
Ausland reicht und die Angst davor groß ist. Das beunruhigte das gesamte
Team. Als die Premiere näher rückte, erfuhren wir zudem, dass die türkische
Botschaft Druck auf die Regierung ausübte, besonders auf das
Kulturministerium und das Außenministerium, um unsere Show zu verbieten.
Uns sollte die Förderung entzogen werden und die Regierung sollte sich vom
Stück distanzieren, so die Forderung seitens der Türkei.
taz: Trotz des Drucks knickten die kosovarischen Ministerien nicht ein und
Sie konnten die Produktion umsetzen und aufführen.
Neziraj: Ich war positiv überrascht. Denn es gab keine Anstalten, auf uns
einzuwirken, uns zu sagen, dass wir vorsichtig sein sollten in diesem oder
jenen Aspekt oder dass unsere Förderung in Gefahr sei. Nichts davon. Aber
ehrlich gesagt, ist es auch das, was wir erwarten. Einen Schritt weiter,
und das hat mich dann doch überrascht, ging der Kulturminister. Bei der
Verleihung eines Theaterpreises an mich sagte er vor der versammelten
Presse, dass er unsere Arbeit unterstütze und solidarisch mit uns sei,
gerade bei den aktuellen Herausforderungen. Und es war klar, dass er sich
dabei auch auf dieses Stück bezog.
taz: In [2][„Six against Turkey“] fällt der wichtige Satz: „Theater ist …
Lärm, den man macht, um die Angst zu überwinden.“ Glauben Sie, dass Sie
wieder in die Türkei fahren werden, gar dass Ihr Stück in der Türkei mal
von einem Theater oder einem Festival eingeladen werden kann?
Neziraj: Gegenwärtig verzichte ich darauf, in die Türkei zu fahren. Ich
denke aber, es wird der Moment kommen, dass ein Theater oder ein Festival
in der Türkei uns einlädt. Das wird wohl nicht in unmittelbarer Zukunft
geschehen, aber wir sehen auch, dass Veränderungen in unserer Zeit ziemlich
plötzlich passieren, und es muss sich ja nicht immer um Veränderungen zum
Schlechten hin handeln.
14 Jan 2025
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## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Türkei
Kosovo
Theater
Zensur
Schwerpunkt Türkei
Kosovo
Kosovo
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