# taz.de -- Zehn Jahre nach dem Anschlag: Alle für Charlie | |
> Das Satiremagazin hat auch dank der Solidarität seiner Leser*innen | |
> überlebt. In Paris soll 2025 nun ein „Haus der Zeitungskarikatur“ | |
> eröffnen. | |
Bild: Pariser Gedenken am 7. Januar 2016 an die Opfer des Attentats auf die Sat… | |
Für die treuesten Leser und Leserinnen ist es bis heute, und dies oft seit | |
Jahrzehnten, ein fester Termin in der Woche, ja fast eine Institution: | |
Immer mittwochs erstehen sie ihr Exemplar von [1][Charlie Hebdo], manchmal | |
zusammen mit dem Canard enchaîné, dem älteren und etwas weniger aggressiven | |
Satireblatt, am Kiosk oder finden es dank Abo in ihrem Briefkasten. | |
Mehr als ein Mal war das im vergangenen Vierteljahrhundert in Frage | |
gestellt, die satirische Wochenzeitung mit ihren frechen Karikaturen stand | |
mehrfach am Rand des Bankrotts. Auch gerichtliche Klagen von beleidigten | |
Leberwürsten wollten den Spöttern einen Maulkorb umhängen oder sie ganz zum | |
Schweigen bringen. | |
Die Liste dieser Versuche ist lang, doch sie blieben erfolglos, abgesehen | |
vom Publikationsverbot, das 1960 gegen die Vorgängerversion Hara-Kiri | |
verhängt wurde. Diese Publikation der späteren Charlie-Gründer wurde wegen | |
ihres schwarzen Humors anlässlich des Tods von General de Gaulle | |
vorübergehend verboten. | |
Seit der ersten Ausgabe von 1970 ist Charlie Hebdo der lebende Beweis | |
dafür, dass in Frankreich auch aggressive oder sexuell anzügliche Witze | |
über religiöse oder weltliche Institutionen, Konfessionen und Vorurteile | |
aller Art geduldet werden. Charlie Hebdo ist und bleibt damit ein | |
Gradmesser der Toleranz und Pressefreiheit. | |
## Solidarität nach Attentat | |
Vor zehn Jahren, vor dem mörderischen Attentat der Brüder Kouachi auf die | |
Redaktion am 7. Januar 2015, war die Zukunft aber höchst ungewiss. Noch | |
waren da rund 7.000 Abonnenten, aber neue Leser machten sich so rar, dass | |
der damalige Redaktionschef Charb (eines der Todesopfer beim | |
Terroranschlag) bei einem Treffen am Jahresbeginn dem Arzt und Autor | |
Patrick Pelloux erfreut mitteilte, Charlie habe 50 Abonnenten | |
hinzugewonnen. In Wahrheit aber stand das Satireblatt kurz vor dem Konkurs. | |
Die enorme internationale Solidaritätswelle hat Charlie auf lange Jahre | |
hinaus gerettet, und das ist die beste und entscheidende Antwort auf den | |
terroristischen Versuch, diese Publikation und damit die Pressefreiheit | |
überhaupt zu töten. | |
Die Zahlen sind beeindruckend: Innerhalb von nur wenigen Tagen wuchs die | |
Zahl der Abonnenten auf 120.000, später sogar auf mehr als 200.000, und von | |
der mit einer Auflage von 8 Millionen gedruckten Sondernummer gleich nach | |
dem Attentat wurden restlos alle Exemplare verkauft. Aus aller Welt trafen | |
zudem Spenden von insgesamt mehr als 4 Millionen Euro ein. | |
## Spenden gingen an die Angehörigen der Opfer | |
Diese Spenden wurden, wie versprochen, an die nahen Angehörigen der | |
Attentatsopfer verteilt. Überwacht wurde das von einem sogenannten Rat der | |
Weisen, der damals unter Aufsicht des Justiz- und des Kulturministeriums | |
mit drei unabhängigen Persönlichkeiten formiert worden war. Präzise Details | |
dazu wurden nicht veröffentlicht. | |
Und prompt zirkulierten üble Gerüchte bezüglich einer angeblichen | |
Bereicherung der Redaktionsleitung. Die Vorstellung, dass die | |
Antikapitalisten von Charlie Hebdo der Versuchung durch den schnöden Mammon | |
unterliegen, war für seine erklärten Feinde ein gefundenes Fressen. | |
Die Witwe des von den Terroristen ermordeten Journalisten Michel Renaud, | |
der am 7. Januar zufällig in der Redaktion zu Besuch war, reichte erfolglos | |
eine gerichtliche Klage ein, weil sie der Meinung war, dass nicht nur die | |
Spenden an die Hinterbliebenen gehen sollten, sondern auch die gesamten | |
außerordentlichen Verkäufe dank der Solidarität. Da diese Klage von der | |
Pariser Justiz als gegenstandslos zurückgewiesen wurde, reichte die Frau | |
2023 erneut eine Klage ein, über die noch nicht entschieden wurde. | |
## Auflage Charlie Hebdo heute klar über Stand vor 2015 | |
Die Sondereinnahmen dagegen wurden in die langfristige Sicherung der | |
Existenz der Veröffentlichung investiert. Denn der Elan der Unterstützung | |
durch den Kauf der Zeitung hielt nicht ewig an. Der Verkauf ging zurück. | |
Mit rund 30.000 Abos und immer noch einer Kioskauflage von etwa 50.000 | |
Exemplaren liegt die Zahl der Abonnements und der verkauften Auflagen seit | |
2020 aber fast unverändert immer noch klar über dem Stand von Anfang 2015. | |
Die Kontinuität wurde also dank der Solidarität gewahrt, obschon beim | |
Attentat neben dem Chef Charb auch einige der wichtigsten und historischen | |
Figuren (namentlich die Zeichner Wolinski, Cabu und Honoré) getötet wurden. | |
Andere fehlten bald ebenfalls: Noch unter dem Schock des Mordanschlags und | |
in der Zeit danach haben andere Charlie verlassen – weil sie wie der | |
Karikaturist Luz, der zum Attentat zwei Bücher und einen Comics-Band | |
publiziert hat, einfach nicht mehr konnten oder weil sie anderswo tätig | |
sind wie der Notarzt und Schriftsteller Patrick Pelloux. | |
Die Leitung der Redaktion hat Laurent Sourisseau, alias Riss, von Charb | |
geerbt. Er ist nach einem vor Gericht gewonnenen Streit mit dem | |
Ex-Generaldirektor Eric Portheault seit 2023 Alleinaktionär der Zeitung. | |
Das [2][Satireblatt Charlie Hebdo] soll die Aufgabe, unentwegt für die | |
Freiheit der Karikatur zu kämpfen, aber nicht alleine erfüllen. Regelmäßig | |
publizieren weltweit andere Medien die Zeichnungen, die von Fanatikern als | |
blasphemisch empfunden werden. Noch in diesem Jahr soll in Paris im Gebäude | |
einer ehemaligen Schule nach einem administrativen Hin und Her endlich das | |
nach dem Anschlag von 2015 angekündigte „Haus der Zeitungskarikatur“ gebaut | |
werden. Es wird den elf Getöteten gewidmet. | |
7 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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