# taz.de -- Israels Militär auf den Golanhöhen: „Selbst wenn die Panzer kom… | |
> Im Dorf Hamidaya auf den syrischen Golanhöhen sind die israelischen | |
> Truppen nicht weit. Seine Bewohner sind des Krieges überdrüssig – und | |
> wollen bleiben. | |
Bild: „Wir wollen keinen Krieg, mit niemandem“ | |
Al-Hamidaya taz | Khalil Hussein trägt eine grüne Sportjacke und trinkt im | |
Innenhof eines Hauses Tee mit seinen Nachbarn. Weniger als einen Kilometer | |
entfernt, wissen sie, sind israelische Truppen stationiert. „Der Diktator | |
ist gestürzt, aber die israelischen Truppen sind gekommen“, klagt Abdallah | |
Hussein. Unter seiner Jacke trägt er einen beigen Pullover, dazu eine | |
Trainingshose und Flip-Flops, trotz der Kälte. | |
Die zusammen Tee trinkenden Männer nicken zustimmend. Das ist die Stimmung | |
in Al-Hamidaya, einem syrischen Dorf mit etwas mehr als 2.000 Einwohnern in | |
der sogenannten entmilitarisierten Zone zwischen Israel und Syrien auf den | |
Golanhöhen. | |
Obwohl die Truppen nah sind, gebe es ihnen ein wenig mehr Sicherheit, wenn | |
man sie nicht sehe, sagen die Menschen im Dorf. Der Innenhof ist somit ein | |
guter Zufluchtsort für Gespräche. | |
Die Dorfbewohner sind mehr verbittert als wütend: Die israelischen Truppen, | |
die ihr Gebiet besetzt haben, sollen abziehen und sie in Ruhe lassen. Sie | |
sind des Kriegs überdrüssig, nachdem der syrische Bürgerkrieg fast 14 Jahre | |
angehalten hatte. Sie wollen keinen Ärger mehr. | |
## Sind Israels Stellungen wirklich temporär? | |
Der blitzschnelle Vormarsch der Rebellen gegen das Regime von Baschar | |
al-Assad gipfelte am Sonntag, dem 8. Dezember, in der Einnahme der | |
Hauptstadt Damaskus. Mit ihm einher ginge eine Ausdünnung der syrischen | |
Sicherheitskräfte. Die von der Zivilbevölkerung gefürchteten Checkpoints | |
verschwanden, ebenso die Sicherheitskräfte vor offiziellen Gebäuden, sowie | |
an den Landesgrenzen. | |
Israels Grenzen zu seinen Nachbarn sind labil. Mit jedem Scharmützel, jedem | |
Konflikt, jeder Annexion werden sie verschoben. Und auch diesmal ergriff | |
Israel die Gelegenheit, die Karte der Region neu zu zeichnen. Seit dem | |
Krieg von 1967 besetzt Israel die Golanhöhen – und will dort laut einer | |
jüngsten Ankündigung der Regierung die Zahl der Bevölkerung verdoppeln. | |
Nun stehen Israels Truppen auch in der eigentlich entmilitarisierten Zone | |
zwischen den israelischen Golanhöhen und Syrien. Und besetzt damit auch | |
mehrere syrische Orte – wie das kleine al-Hamidaya im Gouvernement Quneitra | |
– ganz oder teilweise. Und ebenso den Gipfel des strategisch wichtigen | |
Berges Hermon weiter nördlich. | |
„Die israelischen Truppen sind am Sonntagmorgen um 6 Uhr hier eingedrungen, | |
nachdem das Regime gefallen war“, sagt der 60-jährige Atallah Hamud. Das | |
Haus, in dem die Nachbarn zusammen Tee trinken, gehört ihm. „Die Menschen | |
hatten große Angst, vor allem die Kinder. Wir wussten nicht, was los war! | |
Wir konnten Schüsse in der Luft hören.“ | |
## Die Hauptstraße aus dem Dorf hinaus ist unterbrochen | |
Die Soldaten hätten die Bewohner von al-Hamidaya aus ihren Häusern | |
gezwungen, erzählen die Männer. Sie hätten sich auf dem Dorfplatz | |
versammeln müssen, die Truppen hätten die Herausgabe aller Waffen verlangt | |
und ihre Häuser durchsucht. „Wir haben zwei Tage lang in anderen Häusern | |
geschlafen“, sagt Atallah. Danach hätten die Truppen ihnen die Rückkehr | |
erlaubt – „aber wir mussten feststellen, dass sie das Haus in eine Kaserne | |
verwandelt hatten“, sagt er. Atallah ist auch der stellvertretende | |
Bürgermeister von Al Hamidaya. | |
Atallahs Frau zeigt daraufhin Bilder des Hauses auf ihrem Handy: Die Decken | |
in den Zimmern liegen auf dem Kopf, die Küche ist auf den Kopf gestellt, | |
Lebensmittel wurden weggeworfen. Mittlerweile hat die Familie das Haus | |
wieder ausgeräumt. Doch es gibt immer noch Spuren der Besetzung: An einer | |
Wand steht etwas auf Hebräisch. | |
„Sie verhängten eine Ausgangssperre für 5 Uhr“, sagt Atallah. „Wir hatt… | |
fast eine Woche lang keinen Strom und Wasser, weil sie beides abstellten. | |
Dann stellten sie es wieder an. Jetzt ist alles besser, stabiler… Aber wir | |
fühlen uns erdrückt.“ Die Hauptstraße, die den Ort mit Khan Arnabeh – der | |
wichtigsten Stadt in der Region, außerhalb der entmilitarisierten Zone – | |
verbindet, sei unterbrochen. „Wir müssen über Nebenstraßen fahren, und das | |
dauert sehr lange.“ Und die Fahrt sei wegen des hohen Benzinpreises sehr | |
teuer. | |
In ihren Gesprächen beim Tee erwähnen die Menschen immer wieder den | |
Bürgermeister eines Nachbarortes. Er hatte mit den israelischen Truppen | |
gesprochen. Die Botschaft, die er erhalten habe: Die israelischen Soldaten | |
sollen Ende Dezember abziehen, eine Delegation von Hayat Tahrir al Sham | |
(HTS) – dem Zusammenschluss von Rebellengruppen, die die Offensive zum | |
Sturz des Regimes angeführt hatte – soll mit den Truppen verhandeln. Dann | |
sollen auch die derzeit im Dorf besetzten Häuser – nach Angaben von | |
Einheimischen sind es sieben – wieder freigegeben werden. | |
## Wie lange werden die Truppen nahe al-Hamidaya bleiben? | |
Die israelische Regierung hat bisher nicht klargestellt, wie lange die | |
Truppen in der entmilitarisierten Zone bleiben werden. Bei einem Besuch in | |
dem strategisch wichtigen Gebiet nur zehn Tage nach dem Sturz Assads | |
erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass seine | |
Truppen so lange dort bleiben würden, bis eine andere Vereinbarung gefunden | |
sei, „die Israels Sicherheit garantiert“. Parallel dazu haben die | |
israelischen Streitkräfte Hunderte Ziele in ganz Syrien bombardiert, von | |
Militärbasen bis hin zu Waffenlagern und Marineflotten. | |
Der Anführer der HTS, Ahmed al Shara – vor der Übernahme Syriens unter | |
seinem Kampfnamen Abu Mohamed al Golani bekannt – erklärt: Der Wiederaufbau | |
und die Stabilität eines Syriens sei nun Priorität. Man könne es sich nicht | |
leisten, in weitere Kämpfe verwickelt zu werden. Er warnte aber auch, dass | |
Israel jetzt – da die Assad-Verbündeten Iran und Hisbollah das Land | |
verlassen haben – keinen Vorwand mehr habe, in syrisches Gebiet | |
einzumarschieren und es zu bombardieren. | |
Der stellvertretende Bürgermeister Atallah, der als Sprecher der Nachbarn | |
fungiert, zeigt auf eine Narbe an seinem Bein. Er sagt, bei einem Angriff | |
des syrischen Regimes sei seine Ex-Frau getötet und er selbst verletzt | |
worden, am 23. November 2016, betont er. Ein Datum, das er nicht vergisst. | |
Die Menschen haben keine Lust mehr zu kämpfen. Zumindest die in diesem | |
Innenhof. Sie haben genug. „Wir wollen keinen Krieg, mit niemandem“, sagt | |
Atallah. Und sie alle wollen bleiben: „Selbst wenn die Panzer kommen, | |
werden wir nicht gehen“, sagt Khalil. Die anderen nicken zustimmend. Im | |
Hintergrund ist das Donnern der israelischen Flugzeuge zu hören. | |
Der Autor Agus Morales war Teilnehmer des [1][taz Panter Workshops] der taz | |
Panter Stiftung zur [2][EU-Migrationspolitik] im Mai und Juni 2024. | |
28 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Agus Morales | |
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