# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Bedingungslose Kunst | |
> Die Festtage sind die ideale Zeit für Filmgeschichte, bei „Cinema! | |
> Italia!“ stehen die Frauen im Fokus, bei Max Gruber ein wild | |
> entschlossener Architekt. | |
Bild: „Er flog voraus: Karl Schwanzer (AU 2022), Regie: Max Gruber | |
Bekannt ist der moderne österreichische Architekt Karl Schwanzer | |
(1918-1975) heute vor allem durch den Entwurf und Bau der BMW-Zentrale in | |
München, einem aus vier Zylindern (ha! ha! ha!) bestehenden, fast | |
einhundert Meter hohen Büroturm. | |
Ende der 1960er Jahre wollte der Konzern seine Modernität unter Beweis | |
stellen und engagierte als Gewinner eines Wettbewerbs Schwanzer, der das – | |
1973 eingeweihte – Gebäude in einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen | |
Weise an einer kreuzförmigen Stahlkonstruktion quasi „aufhängte“. So wurd… | |
die oberen Stockwerke zuerst gebaut. Heute steht der Bau in der Nähe des | |
Olympiastadions längst unter Denkmalschutz. | |
Auch das nebenan liegende und Besuchern zugängliche BMW-Museum (das mir | |
unter anderem mit einer Rolls-Royce-Ausstellung und der Tatsache, dass man | |
zu seinem Rolls als Ausstattung auch einen Picknickkorb ordern konnte, in | |
Erinnerung geblieben ist) wurde von Schwanzer entworfen. Dem Architekten | |
hat der Regisseur Max Gruber das Porträt „Er flog voraus: Karl Schwanzer“ | |
(2022) gewidmet, neben dokumentarischem Material enthält der Film auch | |
Spielszenen, in denen der Schauspieler Nicholas Ofczarek den Architekten | |
als bedingungslosen Künstler porträtiert. Zu sehen in der Reihe | |
„Architektur und Film“ im Klick Kino (19.12., 20 Uhr, [1][Klick Kino]). | |
Kaum ein Regisseur wurde mit seinen Filmen zeitgenössisch so | |
fehlinterpretiert wie der aus Deutschland stammende Douglas Sirk mit den | |
Melodramen, die er in den 1950er Jahren für das amerikanische Studio | |
Universal drehte. Dabei handelte es sich überwiegend um farbige Remakes von | |
Filmen aus den 1930er Jahren, die um Frauenschicksale kreisen, was bei den | |
– überwiegend männlichen – Kritikern der Zeit sowieso schon nicht gut | |
ankam. | |
Man hielt die Filme für oberflächlichen Kitsch, Begriffe wie „klischeehaft�… | |
und „rührselig“ wurden zur Beschreibung nur allzu oft verwendet. Die | |
tatsächliche Bedeutung der Filme erkannten seinerzeit nur französische | |
Kritiker und spätere Nouvelle Vague-Regisseure wie Truffaut und Godard; in | |
den 70er Jahren war dann Rainer Werner Fassbinder ein großer Fan von Sirk. | |
Dessen letzte Regiearbeit „Imitation of Life“ entstand 1958, und auch ihr | |
liegt ein Filmmelodram aus den 30er-Jahren zugrunde. Zentrale Figuren sind | |
einmal mehr Frauen, und die Geschichte kreist um die Themen Karriere vs. | |
Familienleben und den alltäglichen Rassismus, dem die schwarze Bevölkerung | |
beständig begegnet. Lana Turner verkörpert die aufstrebende Schauspielerin | |
Lora Meredith, die mit Annie Johnson (Juanita Moore) eine schwarze | |
Haushälterin bei sich aufnimmt. | |
Während Lora an ihrer Karriere arbeitet, passt Annie unter anderem auf ihre | |
eigene Tochter Sarah Jane und Loras Tochter Susie auf. Susie sieht in Annie | |
bald eine Ersatzmutter und konfrontiert Lora zusehends mit Vorwürfen, sie | |
habe ihr Kind für ihre Karriere vernachlässigt. Die vergleichsweise | |
hellhäutige Sarah Jane beginnt hingegen, ihre Mutter zu verleugnen, um in | |
der Gesellschaft als Weiße durchzugehen. | |
Das obligatorische Happyend (bei Annies Beerdigung besinnen und versöhnen | |
sich die verbliebenen Frauen alle wieder) ist wie immer bei Sirk letztlich | |
vergiftet – seine Filme sind ausgesprochen pessimistische und böse | |
Abrechnungen mit der bürgerlichen Gesellschaft und dem American Way of | |
Life. Das Filmmuseum Potsdam spielt „Imitation of Life“ in der Reihe „Bla… | |
Lives in Movies“, die eine Ausstellung des Malers Noah Davis im MINSK | |
Kulturhaus begleitet (29.12., 18 Uhr, [2][Filmmuseum Potsdam]). | |
Auch bei den sechs Filmen der „Cinema! Italia!“-Tournee stehen Frauen im | |
Mittelpunkt: Bei vier Filmen führten Frauen Regie, darunter die | |
Schauspielerin Margherita Buy mit ihrem Regiedebüt „Volare“, in dem sie – | |
leicht autobiografisch und komödiantisch – eine Schauspielerin verkörpert, | |
die ihre Flugangst bekämpfen will. | |
Die Filmgeschichte kommt mit Federico Fellinis „Giulietta degli spiriti“ | |
(1965) zum Zug, einer als kunterbunter Reigen von Träumen und | |
psychiatrischen Sitzungen gestalteten Reise durch die Psyche einer Frau. In | |
der Hauptrolle: Giulietta Masina (Volare 21.12., 20.15 Uhr, 23.12., 20 Uhr, | |
Giulietta degi spiriti, 20.12., 17.15 Uhr, 22.12., 14.45 Uhr, 23.12., 17.15 | |
Uhr, [3][Babylon Mitte]). | |
Die Filmkarriere von Romy Schneider lässt sich grob in drei Teile gliedern: | |
die 1950er Jahre mit den deutschsprachigen Filmen, die ihr bereits als | |
Teenager riesige Erfolge in Deutschland und Österreich bescherten, die | |
1960er Jahre, in denen sie international zum Star wurde, und die 1970er | |
Jahre, in denen sie nahezu exklusiv in Frankreich arbeitete. In den | |
deutschsprachigen Ländern hat man ihr den Bruch mit dem Image des „süßen“ | |
Mädchens allerdings nie verziehen, und für Schneider selbst blieb die Suche | |
nach „anspruchsvollen“ Rollen eine Obsession bis zu ihrem frühen Tod im | |
Jahr 1982. | |
Eine Retrospektive ihrer Filme, wie sie aktuell im Babylon Mitte zu sehen | |
ist, macht diese Brüche mehr als deutlich: Die populärsten Filme der frühen | |
Jahre sind zweifelsohne die drei Werke der „Sissi“-Trilogie um die | |
österreichische Kaiserin Elisabeth, die mit Herz und Schmerz, mit Freude | |
und Schicksalsschlägen in etwa das Themenspektrum von Zeitschriften wie | |
„Frau im Spiegel“ abdecken und damit zeitgenössisch schwer im Trend lagen. | |
Gleichwohl sind die Filme handwerklich geschickt gemacht und gehören heute | |
zu den klassischen Beispielen des Unterhaltungskinos jener Jahre. | |
Interessant wäre es eigentlich, den zweiten Teil („Sissi – Die junge | |
Kaiserin“), in dem sich das ursprünglich bayerische Naturmädchen als | |
Kaiserin in die Zwänge der österreichischen Hofetikette einfinden muss, | |
einmal mit Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ in einem Doppelprogramm zu | |
zeigen. | |
Für Schneider aber blieb „Sissi“ immer eine Last (wie auch für ihren | |
Schauspielpartner Karlheinz Böhm), an der sie sich abarbeiteten musste. Die | |
Rolle der Elisabeth spielte sie schließlich 1972 noch einmal in Luchino | |
Viscontis monumentalem „Ludwig II.“, in dem der bayerische König mit Hang | |
zum exzessiv teuren Gesamtkunstwerk in seiner Cousine einen der wenigen | |
Menschen findet, der ihn verstehen kann (Sissi, 19.12., 23.12., 17.30 Uhr, | |
20.12., 19.30 Uhr, Sissi – Die junge Kaiserin, 20.12., 17 Uhr, 23.12., | |
19.30 Uhr, 29.12., 18 Uhr, Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin, 22.12., | |
17.15 Uhr, 123.12, 21.30 Uhr, 29.12., 20 Uhr, Ludwig II., 20.12., 19.30 | |
Uhr, 28.12., 20 Uhr, [4][Babylon Mitte]). | |
19 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.klickkino.de/programm/architektur-und-film-er-flog-voraus/ | |
[2] https://www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?id=56c9872a347616738713001c3254… | |
[3] https://babylonberlin.eu/programm | |
[4] https://babylonberlin.eu/programm | |
## AUTOREN | |
Lars Penning | |
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