# taz.de -- Neues Ministerium in der Ukraine: Remigration mal anders | |
> In der Ukraine gibt es seit Jahresende ein „Ministerium für Nationale | |
> Einheit“. Es soll Ukrainer zur Rückkehr in ihre Heimat ermutigen. | |
Bild: Binnenvertriebene: Die zwölfjährige Hanna und ihre Familie werden aus d… | |
Luzk taz | Ende Dezember hatte der Minister für Nationale Einheit der | |
Ukraine, Oleksij Tschernyschow, die Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausland | |
dazu aufgerufen, das neue Jahr nach Kyjiwer Zeit zu begrüßen. Das war quasi | |
die erste öffentliche Äußerung des Chefs dieser neuen ukrainischen Behörde. | |
Mittlerweile ist ein Monat seit seiner Ernennung vergangen, aber noch immer | |
wissen nur wenige, welche Aufgaben dieses Einheitsministerium wirklich hat. | |
Die Schaffung des neuen „Ministeriums für Nationale Einheit“ angeordnet | |
hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Und zwar auf der Basis des bisherigen | |
„Ministeriums für die Reintegration temporär besetzter Gebiete“, das sich | |
bislang einzig mit den Problemen der Binnenflüchtlinge aus russisch | |
besetzten Gebieten in die nicht besetzten Teile der Ukraine befasst hatte. | |
Jetzt ist zu dieser Funktion die Arbeit mit der Diaspora hinzu gekommen. | |
Einheitsminister Oleksij Tschernyschow war früher Vorstandsvorsitzender des | |
staatlichen ukrainischen Energieversorgers Naftogaz und ist ein | |
langjähriger Verbündeter des Präsidenten. | |
Wie Selenskyj und Tschernyschow erklärten, werde die neue Abteilung | |
Bürger*innen im Ausland vereinen, ihre Beziehungen zur Ukraine stärken | |
sowie dem russischen Einfluss auf ukrainische Gemeinden außerhalb des | |
Landes entgegenwirken. | |
## Knapp acht Millionen Ukrainer leben im Ausland | |
Nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums leben derzeit 7,7 Millionen | |
Ukrainer*innen außerhalb des Landes, davon 5,3 Millionen in der EU. Das | |
Zentrum für Wirtschaftsstrategie CES geht davon aus, dass zwischen 1,4 und | |
2,3 Millionen Menschen dauerhaft außerhalb der Ukraine bleiben könnten. | |
Tschernyschow soll bald einen Aktionsplan vorlegen, aber bisher haben die | |
Behörden nicht erklärt, wie das neue Ministerium die Ukrainer zur Rückkehr | |
in ihre Heimat ermutigen soll. | |
Jewhenija Krawtschuk, Mitglied der regierungsnahen Fraktion Diener des | |
Volkes, sagte Reporter*innen, dass der Minister häufig im Ausland sei und | |
Büros in Ländern eröffnen werde, in denen die meisten Ukrainer*innen | |
lebten – insbesondere in Polen und Deutschland. Darüber habe Selenskyj auch | |
Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang Dezember in Kyjiw unterrichtet. | |
## Viele Ukrainer*innen wollen nicht mehr zurück | |
Immer weniger Ukrainer*innen, die das Land wegen des Krieges verlassen | |
haben, [1][dächten über eine Rückkehr nach]. Im Jahr 2022 waren es 70 bis | |
80 Prozent, jetzt seien es nicht mehr als 30 bis 40 Prozent, sagt der | |
Soziologe Tymofij Brik. | |
„Je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen werden nicht | |
zurückkehren“, erklärt CES-Expertin Daria Mikhailyschina. Sie glaubt, wie | |
auch viele andere Expert*innen, nicht, dass es für die Einheit der | |
Ukrainer*innen eines eigenen Ministeriums bedürfe. „Die Gründung einer | |
neuen Institution ist eine undankbare Aufgabe. Es ist unwahrscheinlich, | |
dass das Niveau der Erwartungen an das Ministerium dem Niveau der Umsetzung | |
einer Politik entsprechen wird, die noch nicht einmal entwickelt worden | |
ist“, sagt Olha Aiwazowska, Leiterin der zivilgesellschaftlichen Netzwerkes | |
Opora. | |
Die meisten der für das neue Ministerium vorgeschlagenen Funktionen werden | |
von bestehenden Behörden wahrgenommen. Beispielsweise kommuniziert das | |
Außenministerium mit der Diaspora und das Ministerium für Sozialpolitik | |
befasst sich mit demografischen Strategien und Migration. | |
## Warnung vor Konkurrenzaufgaben von Minsterien | |
Das CES hat festgestellt, dass Probleme in Sachen Sicherheit, Wirtschaft | |
und Wiederaufbau sowohl den Ukrainer*innen im Ausland als auch den | |
ukrainischen Binnenflüchtlingen Sorgen bereiten. CES-Expert*innen raten | |
dazu, keine neuen Gremien zu schaffen, die die Funktionen bestehender | |
Institutionen duplizieren, sondern sich auf neue Initiativen zu | |
konzentrieren. „Um die Menschen nach Hause zu holen, müssen keine separaten | |
Ministerien geschaffen werden. Dazu braucht es familiäre Bindungen und | |
Liebe zur Ukraine“, ist Anna Rempel, [2][Leiterin des ukrainischen Vereins | |
Feine Ukraine e. V.] in Hamburg überzeugt. | |
Denjenigen, die im Ausland bleiben wollen, rät sie, sich so schnell wie | |
möglich anzupassen und [3][die Sprache in den Zielländern zu erlernen]. | |
## Rückkehrmotivationen statt Prämienzahlung | |
Olha Tokariuk zufolge, Forscherin am britischen Think Tank Chatham House, | |
sind Sicherheit, die Beschäftigungssituation in der Ukraine sowie die | |
Aufenthaltsbedingungen in den Zielländern entscheidende Faktoren für die | |
Rückkehr von Flüchtlingen. | |
In der Ukraine gab es seit einiger Zeit Gerüchte, dass die Behörden bereit | |
seien, Rückkehrwilligen Prämien zu zahlen. „Es ist sehr gut, dass die | |
Gesellschaft und die Behörden erkannt haben, dass dies ein Fehler wäre. | |
Denn das würde einen Streit zwischen denen auslösen, die gegangen sind und | |
denen, die unter Beschuss leben“, sagt die Sozialpsychologin Olha | |
Duchnitsch. „Es braucht kein Geld, wir müssen Rückkehrmotivationen | |
schaffen: bessere Wohnungsbaukredite als in der EU, interessante Arbeit, | |
Anreize zum Sparen und Immobilienkauf. | |
Margarita Sytnik von der EWL-Migrationsplattform verweist auf eine Umfrage | |
ihrer Organisation. Demnach seien vor allem Reformen in der | |
Nachkriegsukraine als Motiv für eine Rückkehr genannt worden. Ukrainische | |
Geflüchtete in den Niederlanden hätten Wert auf Justizreformen gelegt. „Die | |
Menschen fordern Gerechtigkeit“, sagt Sytnik. „[4][Und einen effektiven | |
Kampf gegen Korruption].“ | |
Einige politische Analyst*innen und Politolog*innen glauben auch, | |
dass diese neue staatliche Behörde für die Organisation künftiger Wahlen | |
unter den Diaspora-Ukrainer*innen zuständig sein soll – wenn denn solche | |
Wahlen [5][nach einem möglichen Einfrieren der heißen Phase des Krieges] | |
stattfinden. Die Wahlen könnten dann von den geplanten Außenbüros des | |
Ministeriums der Nationalen Einheit organisiert werden. | |
„Obwohl die Idee einer Behörde, die sich mit der Rückkehr von Migranten | |
befassen soll, an sich wichtig ist, so ist doch das Konzept eben dieser | |
Behörde selbst fragwürdig. Der Name „Ministerium für Nationale Einheit“ | |
kommt nicht gut an, denn in einer demokratischen Gesellschaft ist es | |
wichtiger, verschiedene Gruppen von Menschen zu konsolidieren und zu | |
integrieren, als zu versuchen, eine „Einheit“ quasi zu verordnen. Der Name | |
weckt Assoziationen mit sowjetischen und russischen Begriffen“, sagte | |
Jewhen Golowacha, stellvertretender Direktor des Instituts für Soziologie | |
der Nationalen Akademie der Wissenschaften und einer der ältesten | |
Soziologen der Ukraine im Gespräch mit Radio Liberty. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
2 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Ukrainische-Gefluechtete-kehren-zurueck/!5916225 | |
[2] https://feineukraine.de/ | |
[3] /Integration-von-Ukrainerinnen/!6024399 | |
[4] /Ukrainische-Streitkraefte/!6033753 | |
[5] /EU-Gipfel-zur-Ukraine-Frage/!6052856 | |
## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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