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# taz.de -- Richter über Verfassungsgerichtsurteil: „Zwangsbehandlung ist ul…
> Ärztliche Zwangsmaßnahmen sollen nicht mehr nur im Krankenhaus
> stattfinden dürfen. Ein Gespräch über Patientenrechte und
> Selbstbestimmung mit Richter Andreas Brilla.
Bild: Zwangsbehandlungen waren bislang ausschließlich im Krankenhaus möglich.…
taz: Herr Brilla, Menschen haben das Recht auf Selbstbestimmung. Ende
vergangenen Jahres nun [1][hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt],
dass Menschen unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur im Krankenhaus
zwangsbehandelt werden dürfen, sondern auch in Heimen. Das kann zwangsweise
Medikamenteneinnahme oder Fixierung bedeuten. Kurz: Dinge, die der
Betroffene nicht möchte, werden trotzdem durchgeführt. Was sagen Sie
Menschen, denen das Angst macht?
Andreas Brilla: Die kann ich beruhigen. [2][Nach diesem Urteil] wird sich
nichts Grundlegendes ändern. Das kann ich wirklich so pauschal sagen. Das
Verfassungsgericht betont, dass der Respekt vor dem privaten Wohnumfeld
wichtig ist. Daher wird der Gesetzgeber ambulante Zwangsbehandlungen
wahrscheinlich weiterhin nicht zulassen. [3][Ärztliche Zwangsmaßnahmen sind
ultima ratio] und dürfen nur in Extremfällen genehmigt werden.
taz: Welche Menschen betrifft das Urteil?
Brilla: Aus meiner Erfahrung sind die meisten Betroffenen in einer schweren
Krise und in psychiatrischen Kliniken untergebracht.
taz: Für diese Menschen ändert sich also nichts, weil sie ohnehin im
Krankenhaus sind?
Brilla: Genau.
taz: Haben Sie als Richter Erfahrungen mit Zwangsmaßnahmen?
Brilla: Ich war acht Jahre Abteilungsleiter am Amtsgericht Mannheim für
Betreuungs- und Familiensachen und habe über viele Zwangsbehandlungen
entschieden. Mittlerweile bin ich Direktor des Amtsgerichts in Sinsheim.
Ohne die Genehmigung des Betreuungsrichters gibt es keine Zwangsbehandlung.
taz: Und wonach richteten sich Ihre Genehmigungen?
Brilla: Es gibt einen klaren Katalog an Voraussetzungen, der erfüllt sein
muss. [4][Im § 1832 BGB] ist das für jeden verständlich festgehalten:
Medizinisches Fachpersonal darf eine Zwangsmaßnahme nur als letztes Mittel
einsetzen, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden
abzuwenden. Zudem muss der Betreute aufgrund seiner psychischen oder
geistigen Verfassung die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen können.
Der Betreuer muss ernsthaft versucht haben, den Betreuten zu überzeugen,
und es darf keine weniger belastende Alternative geben.
taz: Bleibt dieser Katalog an Voraussetzungen nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts bestehen?
Brilla: All diese Vorgaben bleiben bestehen. Die Änderung betrifft nur
wenige Fälle: Es geht um Situationen, in denen ein Krankenhausaufenthalt
für die Betroffenen belastender wäre als eine Behandlung in ihrer gewohnten
Umgebung. Es gibt ein paar Fallkonstellationen, in denen diese starre
Vorgabe im Gesetz mehr schadet als hilft.
taz: Zum Beispiel?
Brilla: Demente Menschen, die im Pflegeheim sind, müssen ab und zu mal in
eine psychiatrische Klinik, um medikamentös neu eingestellt zu werden. Das
gelingt meistens auch ohne Zwangsbehandlung. Ein paar Menschen können aber
nicht mehr verstehen, dass es notwendig ist. Die wehren sich dagegen. Und
dann müssten sie, um diese medikamentöse Behandlung zu ermöglichen, verlegt
werden. Das ist für einen dementen Menschen aber mit der großen Gefahr
verbunden, dass er schlechter ins Pflegeheim zurückkommt, als er
hingegangen war.
taz: Das heißt, mit dem Paragraphen und seinen vielen Vorgaben wird
sozusagen von außen entschieden?
Brilla: Eine sehr gute Frage! Das Gesetz versucht, sich über [5][den
dritten Punkt in diesem Paragraphen] an den Willen des Betreuten
anzunähern: Was hätte dieser Mensch wohl gewollt, wenn er im Vollbesitz
seiner Kräfte gewesen wäre? Das ist eine zentrale Frage der
Selbstbestimmung. Hier besteht noch Verbesserungspotenzial in unserem
System, um diese Selbstbestimmung stärker zu berücksichtigen. Man könnte
beispielsweise rechtzeitig mit den Menschen über ihre Wünsche sprechen –
insbesondere bei sich entwickelnder Demenz.
taz: Sprechen wir von einer Patientenverfügung?
Brilla: Genau! Ein solcher Vertrag sollte idealerweise mit der Klinik
abgeschlossen werden, in die man regelmäßig leider eingeliefert werden
muss. So kann man festlegen: „Das nächste Mal möchte ich dies tun oder
jenes nicht.“ Auch wenn man dadurch möglicherweise länger bleiben muss.
taz: [6][Eine Befürchtung ist, dass es zu mehr Zwangsbehandlungen kommen
könnte, wenn der Krankenhausaufenthalt nicht mehr Voraussetzung ist]. Der
Deutsche Richterbund hält dagegen, es werde nach einer Gesetzesänderung
nicht zu mehr Fallzahlen kommen. Können Sie das erklären?
Brilla: Wenn man die Vorschriften flexibler gestaltet, kann manchmal eine
Unterbringung verhindert werden. Wenn nur partiell Druck ausgeübt wird,
können Menschen in Freiheit leben und an der Gesellschaft teilhaben. Das
kann eine Unterbringung verhindern. Menschen im Pflegeheim müssen ab und zu
ertragen, dass sie die Medikamente nehmen müssen. Das bedeutet aber viel
weniger Stress, als wenn sie über Wochen in die Klinik gehen.
taz: Klingt das nicht wie ein Missverständnis zwischen Gericht und
Betroffenenverbänden?
Brilla: Ja, ich denke, es ist größtenteils ein Missverständnis. Die Ängste
sind meist unbegründet. Allerdings könnte noch mehr getan werden, um
Zwangsbehandlungen zu verhindern. [7][Eine Untersuchung des
Bundesjustizministeriums] zeigt, dass die Frage der Selbstbestimmung besser
herausgearbeitet werden kann. In den Anträgen der Betreuer steht oft zu
wenig über den mutmaßlichen Willen des Patienten.
taz: Wie erklären Sie sich das?
Brilla: Es ist eher ein praktisches Problem. Es geht um die Zeit, die
Betreuer mit ihren Betreuten haben. Wann oder wie stark fordert man so eine
Patientenverfügung ein? Das Gesetz sieht bereits vor, dass die Erstellung
einer Patientenverfügung aktiv gefördert werden soll. Aber man kann dazu
auch niemanden zwingen. Es hängt davon ab, wie der Betreuer seine Aufgabe
erfüllt oder wie ein bevollmächtigter Angehöriger handelt. Das ist schon
harter Tobak, zu fragen: Wie war das jetzt mit der Fixierung? Wie hat das
beeinträchtigt? Was hast du dabei gefühlt? Da sind wahrscheinlich alle
froh, wenn sie nicht mehr darüber sprechen müssen.
taz: Gerade Demenz könnte ja jeden treffen.
Brilla: Jede psychische Krankheit kann jeden treffen.
taz: Haben Sie selbst eine Patientenverfügung?
Brilla: Jawohl.
taz: Sollte jeder Mensch sich mit diesen Fragen auseinandersetzen?
Brilla: Absolut. Das Wichtigste ist eine Vorsorgevollmacht. Nach einem
Unfall kann man schnell geistig beeinträchtigt sein. Bevollmächtigen Sie
jemanden, der für Sie handeln kann. Besprechen Sie mit dieser Person, was
sie in bestimmten Situationen tun soll. Das ist verantwortungsvoll
gegenüber der Person, der man diesen schweren Auftrag gibt.
3 Apr 2025
## LINKS
[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20…
[2] /Bundesverfassungsgericht/!6048403
[3] /Bundesverfassungsgericht/!6048403
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1832.html
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1832.html
[6] /Zwangsbehandlung-psychisch-Kranker/!6050175
[7] https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Fachpublikationen/2018_Forsc…
## AUTOREN
Sean-Elias Ansa
## TAGS
Bundesverfassungsgericht
Demenz
Betreuung
Zwangsbehandlung
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Psychische Erkrankungen
Demenz
Psyche
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