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# taz.de -- taz-adventskalender „24 stunden“ (23): 23 Uhr bei McFit
> Kurz vor Mitternacht den Bizeps flexen: In einem Lichtenberger
> Fitnessstudio geht dem Autor beim Gewichtestemmen ein Licht auf.
Bild: Hier brennen gerade nicht mehr viele Beine: ein McFit-Studio (Symbolbild)
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend:
Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns
durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60
Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 23 Uhr
im Fitnessstudio.
Kurz nach elf in einem Gewerbegebiet in Lichtenberg: Das Gebäude, in das
ich gleich gehen werde, versprüht von außen den Charme einer stillgelegten
Geflügelmastanlage. Eine riesige Betonhalle, umgeben von einer Brache. Der
gelb-blaue Anstrich der Fassade ist längst verblasst, im Dunkeln lässt sich
ein Schriftzug an der Wand gerade noch so entziffern: „Einfach gut
aussehen“.
Im Innern des McFit wirkt es um einiges freundlicher. Das Fake-Parkett am
Eingang und ein paar Plastikpflanzen versprühen wohlige Wärme. Das
Fitnessstudio ist im Grunde nur eine riesige Halle, vollgestellt mit
Trainingsgeräten. Im Discounter der Fitnesswelt gibt es keine
Aerobic-Kurse, kein Yoga, keine Sauna – nur Pumpen.
Doch um diese Uhrzeit stehen die meisten Geräte unbenutzt herum. Eine fast
schon meditative Ruhe zieht sich durch das Studio, nur unterbrochen von
gelegentlichem Stöhnen und dem Klackern der Gewichte. Ganz in sich
versunken flext ein junger Typ seinen Bizeps und betrachtet ihn in
verschiedenen Posen vor der Spiegelwand.
Ich bin verabredet mit meinem Freund A., er ist Krankenpfleger und geht
nach der Spätschicht häufiger um diese Zeit trainieren. Er verspätet sich,
viel Stress auf der Station. Doch der Trainingsplan duldet keine Ausnahmen.
„Beintraining ist das Letzte, was ich jetzt brauche“, sagt A. – was er
meint, merke ich gleich an der Smith-Maschine, also Kniebeugen mit Gewicht.
Ab der dritten Wiederholung brennen meine Oberschenkel, und ich frage mich,
warum man Freitagnacht freiwillig Gewichte hin und her bewegt, anstatt
gemütlich in der Kneipe zu sitzen.
Auf Spurensuche zwischen den Sets: Zwei junge Männer unterhalten sich auf
Arabisch, einer joggt gemächlich auf einem Laufband. Ich spreche sie an.
„Wenn du willst, kannst du hier tanzen“, sagt einer der beiden, der sich
als Ahmad vorstellt. Auch sie kommen gerade von der Arbeit, einem
Lieferdienst. Aber auch sonst gehen sie gerne um diese Uhrzeit trainieren,
sagt Ahmad. Früher am Abend sei es viel zu voll, trotz der beeindruckenden
Zahl an Geräten müsse man lange warten, bis man eines benutzen könne.
## Ein Hauch von Gesetzlosigkeit
Tatsächlich liegt fast ein Hauch von Gesetzlosigkeit in der Luft.
Angestellte sind weit und breit keine zu sehen, selbst der Tresen an der
Anmeldung ist leer. Ein Jugendlicher trainiert oberkörperfrei an einer
Brustmuskelmaschine. Überall liegen Hanteln und Gewichte auf dem Boden, die
nicht eingeräumt wurden.
Ich frage Ahmad, was ihn motiviert. „Es macht Spaß“, antwortet er kurz.
Außerdem sei es ein guter Ausgleich zum ständigen Sitzen auf dem Fahrrad.
„Und man sieht gut aus“, ergänzt sein Kumpel auf dem Laufband.
Das Aussehen sei zwar ein netter Nebeneffekt, aber ihm im Grunde egal,
behauptet hingegen A., auch die gesteigerte Muskelkraft sei in seinem
Alltag wenig funktional. Der Fortschritt sei ihm wichtig: „Mich motiviert,
dass ich nächste Woche mehr Gewichte heben kann als heute“.
Ich liege bäuchlings auf einer weiteren Maschine, deren Name ich nicht
kenne, und stemme ein Gewicht mit meinen Fersen in Richtung Po. Diesmal
brennen die Beine an einer anderer Stelle. Im Fitti ist die Welt einfach:
hoch, runter, zehn Wiederholungen, drei Sätze. Mehr Nachdenken ist nicht
nötig. Entspannung stellt sich ein, und ich beginne zu verstehen.
23 Dec 2024
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
## TAGS
taz-Adventskalender
Fitnessstudio
Advent
Berlin-Wedding
taz-Adventskalender
Waschmaschine
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