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# taz.de -- Buch „Leonard Cohens Stimme“: Ein Hoffnungsschimmer
> Im Buch „Leonard Cohens Stimme“ zeichnet Caspar Battegay eine dichte
> Beschreibung des kanadischen Stars. Im Fokus stehen seine Musik- und
> Textwelten.
Bild: Beim Hoffen auf bessere Zeiten war der Sänger Leonard Cohen Avantgarde �…
„Ich wünschte, ich könnte im Taxi Songtexte schreiben, so wie Hank
Williams“, sagte Leonard Cohen in einem Interview Ende der 1980er. „Ich
schreib zwar auch in Taxis, aber meine Texte werden da nie fertig.“ Wie oft
bei Cohen steckt in dieser feinen Ironie ein Tick Existenzialismus. Denn
der kanadische Singer-Songwriter Cohen ging, genau wie Countrysänger Hank
Williams, nach Nashville, um im US-Countrymusikmekka Alben aufzunehmen.
Anders als sein früher Held, der vom Vermarktungssystem der Countrymusik
der 1950er Jahre zermalmt wurde, blickte Cohen schon auf eine
Schriftstellerkarriere, als er 1968 im Alter von 34 sein Debütalbum „Songs
of Leonard Cohen“ beim Majorlabel CBS veröffentlichte.
Nashville kehrte er nach der zweiten Studiosession wieder den Rücken. Als
Schriftsteller wurde Cohen trotz guter Kritiken und Stipendien von seinem
Verlag als „später Beatpoet“ verramscht, womöglich half ihm die Kenntnis
der Abgründe des Literaturbetriebs beim Abfedern von Showbiz-Härten,
vielleicht hatte er einfach nur Glück. Sicher ist jedenfalls, dass Leonard
Cohen Ende der 1960er Jahre zunächst als „poetischer Liedermacher“
wahrgenommen wurde. Seine minimalistische Folkmusik fand parallel zur
damaligen Americana-Wurzelsuche der Hippies Gehör.
## Scheitern in den Niederungen des Menschlichen
„Leonard Cohens Stimme“ heißt das Buch [1][des Schweizer
Literaturwissenschaftlers Caspar Battegay], der damit eine Tiefenbohrung im
Œuvre des kanadischen Stars vornimmt. Neben dem Signaturinstrument, der
Gesangsstimme, analysiert Battegay auch Cohens Songlyrik und nimmt dabei
die jüdische Religionszugehörigkeit des Künstlers in den Blick. Battegay
hat strenggenommen keine Biografie verfasst, gleichwohl streut er einzelne
Aspekte aus Cohens Vita, Kindheit und Jugend in Montreal etwa, in seinen
Diskurs über den berühmten Sänger kursorisch ein.
Sehr gelungen an dieser analytischen Montage ist, wie Battegay die Waage
hält zwischen Exkursen [2][über Cohens Künstlermythos], die Gemachtheit
seiner Musik, den Starrummel um seine Person und einem
philosophisch-humanistischen Zugang, der das „rätselhafte Verhältnis
zwischen Alltag und Spiritualität, zwischen Körper und Geist“ in den
Songtexten herausarbeitet. Der kanadische Feingeist behauptet sich als
Künstler, aber er scheitert in den Niederungen des Menschlichen und beginnt
mehrmals von Neuem.
„Als selbst widersprüchliche Gegenfigur erlaubt uns Cohen, die eigene
Ambivalenz besser zu akzeptieren …“ Weder spitzt Battegay übermäßig zu n…
weidet er sich voyeuristisch an Makeln. Ihm gelingt das Kunststück, über
eine öffentliche Figur zugleich dicht dran und professionell reserviert zu
schreiben.
## Fans vertrauen auf die monotone Reibeisenstimme
Cohens Gesang wirke „trotz Brüchigkeit vollkommen präsent“, hält Battegay
als dessen charakteristische Eigenschaft einleitend fest. Und noch eine
Besonderheit fällt ihm auf: Gerade auf Leonard Cohens stilistische
Beschränkung, den sonoren, fast sprechenden und sehr monotonen
Gesangsvortrag mit der Reibeisenstimme scheinen dessen Fans zu vertrauen.
[3][Nach Roland Barthes ist die Rauheit der Stimme eine Art Markenzeichen,
das sich aus Klang-, Musik-, Text- und Sprachelementen zusammensetzt]. „Ein
Song bewegt uns nicht nur deshalb, weil er so schön und makellos ist,
sondern, … weil er einen flasht.“
Wenn Leonard Cohen also bei Signatursongs wie „Bird on the Wire“ beim
Brummen der Strophen ins Schlingern kommt, nimmt er den Charakter des
Textes auf. „Like a bird on the wire / Like a drunk in a midnight choir / I
have tried in my way to be free / Like a worm on a hook / Like a knight
from some old fashioned book / I have saved all my ribbons for thee.“
## Hoffen auf bessere Zeiten
Battegay liest aus Cohens textlichem Assoziationspanorama „absolute
Metaphern“, Metaphern, entfernt verwandt mit der modernen Dichtung von
Mallarmé und Rimbaud, die nicht auf eine Entsprechung in der Wirklichkeit
verweisen, sondern den poetischen Text als wirkliche Welt verstehen.
„Ring the bells that still can ring / Forget your perfect offering /
There’s a crack in everything / That’s how the light gets in“, singt Cohen
in dem Song „Anthem“ (1992).
Beim Hoffen auf bessere Zeiten war Cohen Avantgarde, er konnte aus der
spezifischen jüdischen Erfahrung von historischen Katastrophen schöpfen,
den Hoffnungsschimmer definiert Battegay als „Hoffnung, die trotz aller
widrigen Umstände bestehen bleibt beziehungsweise durch ihre
Unwahrscheinlichkeit noch an Stärke gewinnt“. Angesichts von Trumps
Wiederkehr lohnt es allemal, [4][sich den Propheten Leonard Cohen] und
seine seherischen Fähigkeiten in Erinnerung zu rufen.
4 Dec 2024
## LINKS
[1] /Buch-zu-Juden-und-Popkultur/!5083610
[2] /Podcast-ueber-Leonard-Cohen/!6036565
[3] /Loblieder-auf-Leonard-Cohen/!5032859
[4] /Detlef-Diederichsen-Boese-Musik/!5910454
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Buch
Leonard Cohen
Stimme
Lyrik
Leonard Cohen
wochentaz
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