# taz.de -- Die Wahrheit: Blockflötentöne | |
> Aus dem letzten Loch pfeift es in der Vorweihnachtszeit durch den | |
> akustischen Rohrstock der schwarzen Pädagogik ins wehe Ohr der | |
> Gepeinigten. | |
Ich hörte es flöten. War es ein untoter Polterflötist, der mit seiner | |
Blockflöte, die zu spielen er als Kind gezwungen worden war, sich nun an | |
seiner Umgebung rächt für die an ihm begangene musikalische Notzucht? Ist | |
doch die Blockflöte der akustische Rohrstock der schwarzen Pädagogik, die | |
von jemandem erfunden worden sein muss, der Musik aus ganzem Herzen hasst. | |
Es heißt ja nicht von ungefähr, dass jemand aus dem letzten Loch pfeift. | |
Eigentlich besteht die Blockflöte nur aus letzten Löchern, traktiert von | |
bedauernswerten Kindern, denen man frühzeitig demonstrieren will, dass der | |
Erwerb eines teureren Instruments sich in ihrem Fall überhaupt nicht | |
gelohnt hätte. | |
Auch im Märchen ist die Flöte das Allerletzte. Der Rattenfänger von Hameln | |
besaß eine. Das hatte mich schon als Kind gelehrt: Halte dich fern von | |
Flötenden! Denn die psychologische Wahrheit des Märchens besagt: Wenn | |
Männer ihre Flöte rausholen, verschwinden Kinder. | |
Und zwischen Blockflöte und Blockwart kann es wohl nicht nur sprachlich | |
eine Nähe geben. In dem Film „Die Feuerzangenbowle“ war von einem gewissen | |
Pfeifer die Rede beziehungsweise „Pfeiffer mit drei f, eins vor dem Ei, | |
zwei hinterm Ei“, so lachte man im „Dritten Reich“. | |
Ich hörte es immer noch flöten. Entfernt erkannte ich in den misshandelten | |
Noten adventliches Liedgut, vielmehr Liedschlecht. Die Tür zum Zimmer | |
meiner Freundin war geöffnet. Sie nahm die Blockflöte aus dem Mund und | |
fragte: „Stör ich dich?“ | |
Meine Freundin trällert auch unbedarft beim Wandern. Und wenn wir so durch | |
den Wald spazieren, dringt triggernd an mein Ohr: „Humba humba, humba he / | |
wir machen durch bis morgen früh. / Wir wandern mit dem dicken Trumm durch | |
die Nacht / Humba humba, humba he.“ | |
Zufällige Ohrenzeugen hätten uns Karnevalisten zugerechnet oder vielleicht | |
sogar braunen Waldläufern, die gern Hügel erklimmen, um dort Odin und Höcke | |
gute Nacht zu sagen. Aber wir sind nicht rechtsradikal, sondern meine | |
Freundin ist katholisch. Da ist noch manches aus der guten alten | |
Mundstalinorgel übriggeblieben. | |
Heutzutage tremolieren junge Katholiken meist Texte aus dem Geiste des vor | |
sich hin klampfenden Christenpops, wie zum Beispiel von Daniel Kallauch: | |
„Wunderbar bist du gemacht mit deinen schönen Augen / freu dich, dass du | |
kucken kannst, das war Gottes Idee!“ | |
Da kann man von Glück reden, dass Gott auf solche Ideen kam. Aber ganz | |
politisch korrekt ist dieses Lied auch wieder nicht, denn was sollen die | |
Sehbehinderten denken, wenn sie dieses Lied hören. Dass Gott halt nicht | |
jedem Menschen funktionierende Augen gibt, und manchmal lässt er die Augen | |
gleich ganz weg. | |
Der Refrain dieses Liedes lautet übrigens: „Voll – Voll – Volltreffer, ja | |
ein Volltreffer Gottes bist du.“ Das Lied stammt aus dem Jahr 1992. Nach | |
dem 11. September hätte man das auch nicht mehr so unbedarft getextet. | |
18 Dec 2024 | |
## AUTOREN | |
Christian Kreis | |
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