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# taz.de -- Die Wahrheit: Wahre Verbrechen
> Der antikriminelle Schutzwall der DDR bewahrte selbstverständlich vor
> Westverbrechern, heute hat True Crime total ins deutsche Heim Einzug
> gehalten.
Im Lieblings-Podcast meiner Freundin erzählt ein Typ stundenlang von
entstellten Leichen. Alles wird ganz detailliert beschrieben. Fundort, wie
so oft, ist der gute alte deutsche Wald. Könnten die Opfer ihren Mördern
bitte mal vorher klarmachen, dass es unkreativ ist, ständig solche
Krimiklischees zu reproduzieren.
Tatwaffe: gern ein stumpfer Gegenstand. Was immer ein stumpfer Gegenstand
ist: Bügeleisen, Suppenkelle, Schmuckkeramik? Das Beste daran: Der oder die
Täter sind noch nicht gefasst worden. Hinweise bitte an die Polizei, falls
Ihr Nachbar seltsame Sägegeräusche erzeugt.
Dieser Podcast ist für meine Freundin nach der Arbeit so erholsam, dass sie
dabei auf dem Sofa selig einnickt. Womit auf erschreckende Weise
demonstriert wird, was Arbeit aus den Menschen macht. Ich versuche es mir
umgekehrt vorzustellen. Möchte meine Freundin wirklich mit einem Mann
zusammenleben, der sich zur Abendunterhaltung Sätze anhört wie: „An der
entkleideten Frau fanden sich zahlreiche Blutergüsse, die auf eine
gewaltsame Einwirkung durch einen stumpfen Gegenstand schließen lassen.“
An ihrer Stelle würde ich sofort das Weite suchen.
Wo ich aufgewachsen bin, glaubte man, dass es bald keine Verbrechen mehr
geben würde. Wie bei den Zeugen Jehovas Löwe und Lamm friedlich auf einer
Wiese sitzen, ruhten Proletarier und Proletarierin traulich beieinander und
nirgends war ein Jack the Ripper in Sicht.
## Als Oma die Mauer gut fand
Es gab dann in der DDR solche Fälle tatsächlich nicht. Vor allem, weil man
sie verheimlicht hat. Erst ab den Achtzigern gab es auch im Osten „echte
Kriminalfälle“. Die waren zum Glück schon aufgeklärt. Nicht wie bei
„Aktenzeichen XY“, das wir uns im Westfernsehen ansahen. Das war der
einzige Moment, in dem meine Oma die Mauer mal gut fand.
Der antikriminelle Schutzwall bewahrte uns vor den Westverbrechern, die
dort in die Wohnzimmer einstiegen, wovon es sogar Filmaufnahmen gab. Ich
fragte mich allerdings, warum der Kameramann nicht schnell die Polizei
anrief.
Mit meiner Freundin konsumiere ich höchstens crime fiction, also „Tatort“.
Vorher haben wir gekocht, viel gegessen und schon mehrere Gläser Rotwein
intus, in diesem Zustand wären auch die Teletubbies blanke Action für mich.
Mörder ist am Ende immer der, bei dem sich der Drehbuchautor sehr viel Mühe
gegeben hat, ihn zu Beginn total nett und harmlos erscheinen zu lassen.
Keine Überforderung des Zuschauers und wenig Ambitionen in der
künstlerischen Umsetzung, das alles macht die Qualität eines „Tatorts“ au…
Wahrscheinlich muss ich am Ende einfach damit klarkommen, dass meine
Freundin am besten bei den schlimmsten Verbrechen entspannen kann. Und ich
sollte es auch mal positiv sehen. Ich bin ja immer noch nicht mit einem
stumpfen Gegenstand ermordet worden, obwohl ich solche Kolumnen über sie
schreibe.
26 Nov 2024
## AUTOREN
Christian Kreis
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
True Crime
Morde
Mörder
Partnerschaft
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