# taz.de -- Mehrsprachige Bildung: Türkisch spielen, chinesisch singen | |
> Pädagogik muss künftig einen Raum schaffen, in dem Mehrsprachigkeit | |
> gelingt: Ein Seminar in Hildesheim versucht, das in die Ausbildung zu | |
> integrieren. | |
Bild: Zweisprachige Kitas gibt es schon ein paar. Aber multilingual? Da gibt's … | |
Lübeck taz | Montags Spanisch, dienstags und donnerstags Chinesisch, | |
freitags Deutsch – die Kinder der „Pusteblume International Preschool“ | |
wachsen ganz selbstverständlich mit vier Sprachen auf. Es gibt | |
spielerischen Sprachunterricht, und die Sport- und Kunstangebote am Morgen | |
und Nachmittag sind multilingual. Die Kita liegt im Stadtteil Chelsea in | |
New York City, wo auch Englisch gesprochen wird. Allein auf der Insel | |
Manhattan gibt es 13 solcher mehrsprachigen Kitas. | |
[1][In anderen Ländern sind solche Angebote die Ausnahme] – obwohl auch | |
dort die Lebensrealität vieler Kinder nicht nur in einer Sprache | |
stattfindet. In Deutschland spricht eines von fünf Kita-Kindern zu Hause | |
eine andere Sprache als Deutsch. | |
Wie können ErzieherInnen mit dieser Herausforderung umgehen? In einer | |
[2][Online-Seminarreihe zu „Multilingual Childhoods“] tauschen sich 80 | |
Studierende und Lehrende aus neun Ländern zu diesem Thema aus. Organisiert | |
wurde das Format von Professor Tim Rohrmann, Leiter des Studiengangs | |
Kindheitspädagogik an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und | |
Kunst Hildesheim, Holzminden und Göttingen. | |
Er hat das Format gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Österreich, | |
Tschechien, Griechenland, der Schweiz und den USA entwickelt. In sechs | |
international moderierten Online-Veranstaltungen erarbeiten die | |
Studierenden, wie Sprachbildung in Gesellschaften mit Migration gut | |
funktionieren kann. | |
## Zwei Welten zusammenbringen | |
Die Seminarreihe richtet sich an Studierende der Kindheitspädagogik. Um mit | |
Kindern zu arbeiten, die mehrsprachig aufwachsen, „muss ich wissen, wie | |
Sprachvermittlung funktioniert“, sagt Tim Rohrmann. Zum Beispiel haben | |
Kinder aus dem arabischen Sprachraum oft Probleme, die Vokale zu | |
unterscheiden, weil es in ihrer Sprache solche Laute nicht gibt. | |
Wenn ErzieherInnen das nicht wissen, schicken sie Kinder mit | |
Sprachschwierigkeiten zum Beispiel zum Logopäden, obwohl diese kein | |
physisches, sondern ein Verständnisproblem haben. Das Projekt möchte auch | |
ErzieherInnen und SprachtherapeutInnen zusammenbringen – zwei Welten, die | |
zurzeit in Deutschland noch getrennt sind. | |
Kitas stehen vor der Herausforderung, einen [3][Raum zu schaffen, in dem | |
Mehrsprachigkeit gelingt]. Wenn das der Fall ist, sagt Rohrmann im | |
taz-Gespräch, wird sie von einem Problem zum Reichtum für die Gruppe. | |
Beispielsweise sagte ein Kind, das in England gelebt hatte: „Das ist kein | |
Tisch, das heißt nur so.“ Dieses Kind, sagt Rohrmann, „hat etwas Wichtiges | |
verstanden“. | |
Wenn Kinder in gemischten Gruppen zusammenspielen, könnten diejenigen, die | |
die Landessprache schon besser sprechen, übersetzen und anderen Kindern | |
helfen. Im besten Fall lernen sie, niemanden auszugrenzen und wertschätzen | |
alle Sprachen gleich. | |
## Herausforderung für ErzieherInnen | |
Es ist eine große Herausforderung für ErzieherInnen, diese Prozesse zu | |
begleiten. Manchmal sind sie verantwortlich für Kinder, mit denen sie sich | |
sprachlich nicht verständigen können. Zudem sind sie für die Zusammenarbeit | |
mit Eltern zuständig, mit denen es oft kulturelle Missverständnisse gibt. | |
„Eltern, die kein Deutsch sprechen, muss ich anders erreichen“, sagt | |
Rohrmann. Zum Beispiel kann die Kita ein Kinderbuch, das sie auf Deutsch | |
mit den Kindern liest, auch in Polnisch anschaffen und es den Eltern | |
ausleihen. | |
Viele migrantische Eltern sind beim Thema Mehrsprachigkeit unsicher. | |
„Manche wollen, dass ihr Kind schnell die andere Sprache lernt, und | |
vermeiden es, ihre Muttersprache zu Hause zu sprechen. Oder sie haben | |
umgekehrt Angst, dass ihr Deutsch nicht gut genug ist. Dabei machen Eltern | |
das oft intuitiv richtig.“ | |
Für eine gute Sprachförderung brauchen Kitas Ressourcen – und die fehlen in | |
fast allen Ländern, die am Projekt beteiligt sind. In der frühen Bildung | |
fehlt besonders viel Personal. „Das Thema ist politisch“, sagt Rohrmann. | |
„Wir brauchen mehr Fachkräfte, die noch besser qualifiziert sind.“ Das | |
gelte auch für die anderen Länder, in denen Kita-Fachkräfte oft studiert | |
hätten, gleichzeitig aber für mehr Kinder verantwortlich seien als ihre | |
deutschen KollegInnen. | |
Die Seminarreihe ist ein Anfang. Sie fördert den internationalen Austausch | |
unter Studierenden. Viele von ihnen bereiten sich auf ein Auslandssemester | |
vor oder haben selbst einen migrantischen Hintergrund. Dass sie von den | |
mehrsprachigen Kitas in New York erfahren und von ihnen lernen dürfen, ist | |
laut Rohmann ein erster Schritt, „um Strategien zu entwickeln, wie wir | |
Mehrsprachigkeit fördern können in einer globalisierten Welt“. | |
3 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Mehrsprachliche-Bildung/!5772834 | |
[2] https://idw-online.de/de/news841504 | |
[3] /Petition-der-Woche/!5866867 | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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