# taz.de -- Atomkraft für die Künstliche Intelligenz: Die Doppeldystopie | |
> KI verbraucht sehr viel Energie. Die Konzerne wollen dafür Atomkraft | |
> nutzen. Verrückt? Wahrscheinlich. Aber vielleicht hilft's ja. | |
Bild: Ziemlich böseste KI: Agent Smith aus „The Matrix Revolutions“ | |
Vorab: Atomstrom macht Spaß. Nur eben nicht: Atommüll und Atomkatastrophen. | |
Die dürfte eigentlich jede*r fürchten, der weiter denkt als bis zur | |
nächsten Steckdose. Trotzdem setzen Google, Microsoft und Amazon jetzt | |
wieder verstärkt auf Atomstrom. Ausgerechnet für Künstliche Intelligenzen. | |
Die verursachen nämlich ganz schön Energiebedarf in den Rechenzentren der | |
Konzerne. Und deren Lösung ist Atomstrom aus wieder in Betrieb genommenen | |
und aus komplett neuen Minikraftwerken in den USA. Oh je, eine | |
Doppeldystopie: [1][Atomkatastrophe und KI]. | |
In der Popkultur – bleiben wir da, denn echte Emotionen sind sehr viel | |
komplexer – basiert die KI-Dystopie meist darauf, dass die KI sich (auch | |
charakterlich) verselbstständigt und dann a) Freiheit sucht wie in „Ex | |
Machina“ oder b) ihren Energiehunger stillen will wie in der | |
„Matrix“-Reihe. Bei Charakter, Handlungswille, Bewusstsein … da sind wir | |
(noch?) nicht. Aber die Fantastik beliefert uns ja auch nicht mit Fakten, | |
sondern mit Wahrheiten über Gefühle. In „Matrix“ beliefern deswegen | |
Menschen in künstlichen Fruchtblasen als lebende Akkus die Maschinen. Dafür | |
brauchen die Menschen wiederum selbst Energie und – zack! – sind wir beim | |
Mittagstisch à la „Soylent Grün“, denn die Maschinen ernähren die Mensch… | |
via Schlauch mit zu Mus verarbeiteten anderen Menschen. Wir verzehren uns | |
selbst. | |
Die Angst vor dem Selbstverzehren zugunsten der Maschine wandert schon ein | |
Weilchen faulend durch Filme und Comics. In „Matrix“ fressen die Roboter. | |
Bei Romero und Co. die Zombies. Die Maschine, das brutale, mörderische, | |
kritisierte System, war dort anfangs die Sklaverei, dann der Kapitalismus. | |
## Dürfen die das? | |
KI ist nicht Sklaverei. KI wird nicht unsere Gehirne naschen oder uns in | |
künstliche Fruchtblasen quetschen. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, | |
an dem Konzerne für KI Energiequellen anzapfen, die eigentlich schon längst | |
hätten versiegen und versiegelt sein sollen. Denn selbst wenn es nicht zu | |
der Katastrophe kommt in den Kraftwerken – und die Erfahrung widerspricht | |
hier dem Optimismus –, so bleibt doch der Müll. Und der verzehrt | |
langfristig die gesunde Zukunft unseres Planeten und damit die der | |
Menschheit. | |
Es stellt sich also die ethische Frage: Dürfen die Konzerne das überhaupt? | |
Dürfen wir das überhaupt? Denn auch wenn Google, Microsoft, Amazon die | |
Entscheidung treffen, von wo sie ihre Energie beziehen, verbrauchen ja doch | |
auch wir die Energie. | |
Viele von uns Normalbürger*innen nutzen bewusst vor allem KI, die mit | |
uns chattet. Damit sie uns einen super langen Text zusammenfasst. Oder kurz | |
erklärt, wie ich perfekte, vegane Spätzle koche. Oder für Beziehungstipps. | |
Eine einzelne Suchanfrage bei ChatGPT soll [2][2,9 Wattstunden verbrauchen, | |
berechnete das Electric Power Research Institute]. Zehnmal mehr als eine | |
Google-Anfrage. [3][Wer 20-mal googelt, verbraucht so viel Energie wie eine | |
Energiesparlampe in einer Stunde]. Wer einmal ChatGPT bittet, die | |
Arbeitsmail neu zu formulieren, könnte also auch genauso gut 30 Minuten | |
lang ein Licht anmachen. Bekäme dafür aber leider keine bessere Mail. | |
Die Masse macht’s: Im November 2023 sagte Sam Altman, der CEO von OpenAI, | |
dass weltweit wöchentlich 100 Millionen Menschen ChatGPT nutzen würden. | |
Aber die stellen ja auch nicht nur eine Frage. Das [4][Portal ingenieur.de | |
vom Verlag VDI Fachmedien], einem Medienunternehmen für | |
Ingenieur*innen, rechnet mit 214 Millionen täglichen Anfragen. Das | |
verbrauche über eine halbe Million Kilowattstunden Energie pro Tag. | |
## Das Problem mit der Eigenverantwortung | |
KI muss also dringend energiesparender werden. [5][Es braucht mehr Green | |
Coding, klüger gebaute Rechenzentren, klimabewussteres KI-Training]. Und | |
ja: Vielleicht müssen wir nicht alles die KI fragen. Aber es wäre falsch, | |
jetzt nur auf Eigenverantwortung zu setzen. | |
Denn unser Umgang mit Corona („Also ich zieh im Zug keine Maske mehr auf!“) | |
und Klimawandel („Ach, der eine Flug nach Italien“) hat gezeigt: Wir | |
Menschen sind nicht besonders gut mit Eigenverantwortung. Und die Fiktion | |
der Zombieserie zeigt: Wer als Einzelne*r gegen den Kapitalismus im | |
Hirnrausch schießt, wird ganz schnell gebissen. Es braucht Gemeinschaften, | |
die sich selbst Regeln geben und Grenzen setzen. In unserem Fall | |
vielleicht: Regeln für die Konzerne. Damit der Atomstrom zum Beispiel nicht | |
komplett für Chatbots draufgeht, sondern in den Fortschritt fließt. | |
Vielleicht so: 70 Prozent der Energie müssen Wissenschaft, Bildung, | |
Medizin dienen und die entsprechenden KIs müssen kostenfrei nutzbar sein. | |
Nur was Energie bekommt, kann auch wachsen. Wir können bestimmen, in welche | |
Richtung. Vielleicht ja in diese: KIs im Kampf gegen den Klimawandel. Da | |
haben wir Menschen ganz offensichtlich alleine bisher keine Lösungen | |
gefunden, die wir auch wirklich umsetzen können oder wollen. Vielleicht | |
fällt den KIs ja etwas ein. Idealerweise ohne Atomstrom. Hauptsache aber: | |
ohne Menschen als Akkus. | |
19 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Tech-Branche-will-Atomkraft-verwenden/!6040073 | |
[2] https://www.bestbrokers.com/forex-brokers/ais-power-demand-calculating-chat… | |
[3] https://www.swrfernsehen.de/landesschau-rp/gutzuwissen/stromfresser-digital… | |
[4] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/chatgpt-als-energiefr… | |
[5] /Tech-Branche-will-Atomkraft-verwenden/!6040073 | |
## AUTOREN | |
Johannes Drosdowski | |
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