# taz.de -- Neue Chefredaktion für „Junge Welt“: Alte junge Welt | |
> Die Zeitung „Junge Welt“ versteht sich als antiimperialistisch und | |
> verharmlost islamistischen Terror. Die neuen Chefs werden das fortsetzen. | |
Bild: Medialer Schutzschirm auf einer Friedensdemo in Berlin 2022 | |
Es war ein neuer Tiefpunkt einer Zeitung, die sich Antiimperialismus auf | |
die Fahne schreibt, aber immer wieder mit Diktatoren kuschelt: Am 7. | |
Oktober 2023, dem Tag des Angriffs der [1][radikalislamischen Hamas] auf | |
Israel und des größten antisemitischen Pogroms seit der Schoah, titelte die | |
[2][Junge Welt]: „Gaza schlägt zurück“. | |
Im Artikel wurden die Ereignisse als Angriff „palästinensischer | |
Kampfverbände“ auf „zionistische Siedlungen“ beschrieben. Über das Mass… | |
beim Psytrance-Festival Nova kein Wort. Der Verfasser dieses Artikels: Nick | |
Brauns. | |
Seit diesem Monat ist Brauns zusammen mit Daniel Bratanovic das neue | |
Chefredakteur-Duo der Jungen Welt. „Veränderungen […] wurden notwendig, | |
weil sich die junge Welt auf verschärfte Auseinandersetzungen sowohl | |
bezüglich des politischen Umfeldes als auch der Branchenentwicklung | |
einstellen muss“, hieß es offiziell zum Wechsel. Mit dieser | |
Personalentscheidung dürfte sich die Blattlinie allerdings kaum verändern. | |
Die Junge Welt ist die älteste noch bestehende [3][linke Zeitung | |
Deutschlands]. 1947 in der sowjetischen Besatzungszone gegründet, war sie | |
zwischenzeitlich das auflagenstärkste Blatt der DDR. Die „marxistische“ | |
Tageszeitung berichtet über klassische linke Themen wie Arbeitskämpfe, | |
Streiks oder Antifarecherchen. Laut Verfassungsschutz hat sie rund 20.000 | |
Abonnent:innen. | |
Allzu klassisch ist auch das Weltbild: In der antiimperialistischen | |
Weltsicht, wie die Junge Welt sie pflegt, sitzt der Feind in Washington und | |
selbstverständlich auch in Israel. Wer sich den bösen Imperialisten | |
entgegenstellt, wird hofiert – egal ob Putin, Hamas oder selbst Kim Jong | |
Un. Die Welt bei der Jungen Welt ist klar geordnet. Und die Sympathie liegt | |
bei Regimen, die dem Namen nach kommunistisch sind oder es zumindest mal | |
waren. | |
## Hisbollahnahe Autoren | |
Dazu passt das neue Duo gut. Co-Chefredakteur Brauns schreibt seit Ende der | |
Neunziger für das Blatt, 2006 leitete er das Regionalbüro der Zeitung in | |
München. Er arbeitete von 2007 bis 2021 auch als Referent der | |
Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke, die selbst früher bei der Jungen Welt war. | |
Der Gaza-Text ist nicht Brauns einzige journalistische Entgleisung: 2007 | |
gab er einen Sammelband heraus, in dem zu einer links-dschihadistischen | |
Querfront aufgerufen wird – samt Autoren, die der Hisbollah nahestehen. Er | |
fordert ein „Bündnis des islamisch-religiösen Widerstands gegen | |
Imperialismus und Zionismus mit der säkularen Linken“. | |
Und als im August 2022 die damalige Linken-Vorsitzende Janine Wissler | |
zusammen mit einer Delegation weiterer Abgeordneten die Ukraine besuchen | |
wollte, um sich mit Opfern des russischen Angriffskriegs zu treffen, | |
veröffentlichte Brauns einen Text in der Jungen Welt mit Details über die | |
geplante Reise. | |
Aus Sicherheitsgründen musste die Reise, die auch von der taz hätte | |
begleitet werden sollen, abgesagt werden. Die Linken-Abgeordnete Martina | |
Renner sagte der taz, die Infos seien absichtlich so veröffentlicht worden, | |
um die Reise zu sabotieren. | |
Auch Bratanovic ist kein Unbekannter, er leitete zuvor das Themen-Ressort | |
der Jungen Welt. Eine seiner ersten Amtshandlungen als neuer | |
Co-Chefredakteur: Er hielt eine Rede auf der 75-Jahr-Feier der DDR, die die | |
Zeitung im Berliner Kino Babylon organisierte. Gesprochen hat auch der | |
Ex-SED-Chef Egon Krenz, der in den Mauerschützenprozessen wegen Totschlags | |
verurteilt wurde. | |
## Zärtlichkeit im Umgang mit autoritären Machthabern | |
Der offizielle Grund für den Wechsel an der Spitze: Vom vorherigen | |
Chefredakteur Stefan Huth habe man sich „wegen Problemen in der Redaktion | |
und bei der Umsetzung der Blattlinie“ getrennt, heißt es. | |
Die Trennung dürfte aber eher an seinem Umgang mit Mitarbeiter:innen | |
der Zeitung gelegen haben, so erzählen es zumindest manche, die mit der | |
Situation vertraut sind. Auf eine Anfrage der taz reagierte Huth nicht. | |
Was die Zärtlichkeit im Umgang mit autoritären Machthabern angeht, wich | |
Huth nicht von der erkennbaren Blattlinie, ganz im Gegenteil. So war Huth | |
im Oktober 2023 bei dem Kongress Waldai-Forum im russischen Sotschi zu | |
Gast. | |
## Ami ist an allem schuld | |
Er wagte vorsichtig eine kritische Frage an Wladimir Putin | |
höchstpersönlich. Weshalb arbeite Russland, das ja die „spezielle | |
Militäroperation“ (O-Ton Huth) in der Ukraine mit antifaschistischen | |
Motiven rechtfertige, mit rechtsradikalen Parteien wie der AfD zusammen? | |
„Das ist sehr verwirrend für Antifaschisten in Deutschland“, so Huth. | |
Putin entgegnete, es würde ja nicht die ganze AfD zu Nazi-Kundgebungen | |
gehen. Später kam der russische Präsident auf die Frage zurück, offenbar | |
war ihm noch etwas eingefallen: Verantwortlich für den Aufstieg der AfD sei | |
nämlich – wer sonst? – der Ami. Die USA „zerquetschen ihre Verbündeten�… | |
deshalb „erhebt die Alternative für Deutschland ihr Haupt“. | |
Die Junge Welt druckte Wortmeldung plus Antwort als Interview ab, unter der | |
Überschrift „Putin im Gespräch mit jW: Alles, was profaschistisch ist, | |
verurteilen wir unbedingt.“ | |
## In der Palästina-Protestszene vertreten | |
All das ist nichts Neues. Die Junge Welt ist gar nicht mehr so jung. Doch | |
das antiimperialistische Weltbild, das die Zeitung vertritt, erfreute sich | |
in den vergangenen Jahren in weiten Kreisen der linken Szene Beliebtheit. | |
In der Palästina-Protestszene verbinden sich antiimperialistische | |
Weltdeutungen mit postkolonialer Theorie. In mehreren Städten haben sich in | |
den vergangenen Jahren autoritär-kommunistische Gruppen gegründet. | |
Beim sogenannten Palästina-Kongress im April in Berlin, bei dem | |
Redner*innen sprechen sollten, die immer wieder Terrorismus verherrlicht | |
hatten, und der kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst wurde, war die | |
Zeitung mit einem Infostand vertreten. Dazu erschien auch eine | |
Sonderbeilage mit demselben Wording des Kongresses: „Wir klagen an!“ | |
## Eng mit der DKP | |
Da könnte man meinen, dass die Junge Welt auf ein Revival hoffen dürfte. | |
Doch sie scheint in diesen Kreisen keine herausgehobene Rolle zu spielen: | |
Jüngere antiimperialistische Gruppen wie beispielsweise Zora oder Young | |
Struggle organisieren sich eher über Social Media, als dass sie in dem | |
„marxistischen“ Traditionsblatt stattfinden. | |
Enger sind hingegen nach wie vor die Verbindungen zu ganz besonders | |
traditionell orientierten linken Gruppen wie der dogmatisch-marxistischen | |
Partei DKP. Mehrere Redaktionsmitglieder sind Mitglied der Partei, so der | |
neue Co-Chef Daniel Bratanovic, der im Berliner Vorstand der Partei ist. | |
Die DKP wird, so wie die Junge Welt, vom Verfassungsschutz beobachtet. Ob | |
das notwendig ist, sei dahingestellt. Eine nachrichtendienstliche | |
Erkenntnis zur DKP aus Brandenburg lautet: „Die Partei ist überaltert.“ F�… | |
diese Einschätzung, die auch bei der Jungen Welt zutrifft, hätte man | |
definitiv keinen Geheimdienst gebraucht. | |
In einer früheren Version des Textes hieß es, der sogenannte | |
Palästina-Kongress sei aufgelöst worden, weil Redner*innen immer wieder | |
Terrorismus verherrlicht hatten. Wir haben die sprachliche Ungenauigkeit | |
korrigiert. Korrekt ist: Er wurde aufgelöst, weil Menschen, die dort | |
sprechen sollten, davor Terrorismus verherrlicht hatten. | |
Richtigstellung: In der taz vom 9.10.2024 haben wir unter der Überschrift | |
„Alte junge Welt“ berichtet, dass am 8.10.2023 auf der Titelseite der | |
Jungen Welt „Gaza schlägt zurück“ zu lesen war. Das stimmt nicht. | |
Dem Text haben wir zudem vorgeworfen, kein Wort über das Massaker beim | |
Psytrance-Festival Nova zu verlieren. Das Ausmaß des Terrors war zu dem | |
Zeitpunkt der Veröffentlichung des Textes der Jungen Welt noch nicht | |
umfassend bekannt. Wir bitten, den Fehler und die Ungenauigkeit zu | |
entschuldigen. Die Redaktion | |
8 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Nahostkrieg-/!6023531 | |
[2] /Urteil-zu-linker-Zeitung-Junge-Welt/!6024677 | |
[3] /Linke-Medien-in-der-Krise/!5956344 | |
## AUTOREN | |
Dominik Lenze | |
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