# taz.de -- Frankreichs Premier legt los: Gelungener erster Aufschlag | |
> Regierungschefs in Frankreich sehen oft ziemlich schnell alt aus. Dem | |
> neuen Premierminister Michel Barnier gelingt sein Debüt besser als | |
> erwartet. | |
Bild: Der neue Premier Michel Barnier gibt am 1.10.2024 im Parlament in Paris e… | |
Das ist unglaublich, wie schnell man als Premierminister alt aussieht“, | |
scherzte Yann Barthès, Fernsehmoderator der abendlichen Talkshow | |
„Quotidien“. Als Illustration für das Vorher-Nachher blendete er auf dem | |
Bildschirm nebeneinander zwei Fotos ein: eines von Gabriel Attal, der im | |
Januar dieses Jahres mit 34 Jahren Frankreichs jüngster Regierungschef | |
wurde, und eines vom (bereits) weißhaarigen Senior Michel Barnier, der | |
Attal nun abgelöst hat. | |
Die absurde Satire hat einen realen Hintergrund, denn der Posten des | |
Premierministers in Frankreich reibt die Amtsinhaber sehr schnell auf. In | |
der Regel dienen sie einem unpopulär gewordenen Präsidenten als | |
Sündenböcke, die die Verantwortung für eine Politik übernehmen müssen, die | |
im Élysée-Palast von den Präsidentenberatern beschlossen wurde. | |
Dieses Schicksal prophezeiten auch viele [1][Michel Barnier], der nach | |
seiner Karriere bei der EU-Kommission von Emmanuel Macron aus dem Ruhestand | |
geholt wurde. Barnier ist 73 Jahre alt und hat, wie in unzähligen Porträts | |
in den Medien betont wurde, seine Laufbahn eigentlich hinter sich. | |
Bei seiner Nominierung für den Posten des Regierungschefs meinten laut | |
Umfrage für den öffentlichen Sender Public Sénat 61 Prozent der Befragten, | |
dass so oder so Macron regiere und nicht Barnier. Und [2][nur 39 Prozent | |
sahen in ihm eine gute Wahl]. | |
## Stoisch ruhig | |
Inzwischen bekommt man in Frankreich einen nuancierteren Eindruck. Mit | |
seiner Antrittsrede am vergangenen Dienstag hat Barnier in mancher Hinsicht | |
überrascht. Aus seinem von den Kritikern etwas mitleidig belächelten Alter | |
versuchte Barnier einen Vorteil für sein Image zu machen – indem er stoisch | |
ruhig blieb, als Abgeordnete ihn mit ihren üblichen Zwischenrufen aus dem | |
Konzept bringen wollten. | |
Die sonst so schlagfertige Fraktionschefin der linken La France | |
insoumise, Mathilde Panot, war sichtlich verdutzt, als Barnier ihr in der | |
Nationalversammlung entgegnete: „Je aggressiver Sie mir kommen, desto | |
respektvoller werde ich (im Gegenzug) sein.“ Und dem rechten Politiker und | |
Ex-Parteikollegen Eric Ciotti, der sich mit der extremen Rechten von Marine | |
Le Pen verbandelt hat, teilte er mit: „Ich kenne Sie gut, ich werde keine | |
Zeit für Polemik mit Ihnen verlieren.“ | |
Und einer Grünen, die ihn wegen seiner noch sehr vagen Umweltpolitik | |
attackierte, gab er, wieder ohne eine Miene zu verziehen, zurück: „Wissen | |
Sie, ich war (als ehemaliger Umweltminister 1993–1995) lange vor Ihnen | |
schon engagiert in diesen Fragen.“ Damit hatte er die Lacher auf seiner | |
Seite. | |
Der Regierungschef hat selbst von Beginn an klargemacht, wie schlecht es um | |
die Staatsfinanzen stehe und dass er darum Einsparungen bei den | |
öffentlichen Ausgaben vorsehe. Die Lasten sollen „gerecht“ verteilt werden. | |
Das ist leichter gesagt als getan. Dass er aber auch gewisse | |
Großunternehmen mit Superprofiten und Bezieher von Spitzeneinkommen von | |
mehr als 500.000 Euro pro Jahr mit Sonderabgaben zur Kasse bitten will, | |
kommt bei der politischen Linken, die dies seit Langem fordert, gut an. | |
## Gute Richtung | |
Ex-Präsident François Hollande, der wieder Abgeordneter ist, oder auch der | |
linke EU-Abgeordnete Raphaël Glucksmann meinten, wenn die Regierung Barnier | |
in dieser Hinsicht in eine gute Richtung gehe, müsse die linke Opposition | |
das bei der kommenden Debatte über den Staatshaushalt unterstützen. | |
Barniers Sprecherin Maud Bregeon hatte beim Pressetermin die Parteien | |
gewarnt: „Frankreich riskiert, wie Griechenland 2010 zu enden.“ Doch wenn | |
alle sich dieses Risikos bewusst seien, könnten auch die erforderlichen | |
Lösungen gefunden werden. | |
Indem Michel Barnier den „Kompromiss und den Dialog“ predige, setzte er | |
sich ganz klar von der (selbstherrlichen) Methode Emmanuel Macrons ab, | |
billigt ihm die Le Monde zu. „Der Präsident präsidiert, die Regierung | |
regiert“, zitiert Barnier selbst die Verfassung. Und er hofft offenbar, das | |
Macron ihn tatsächlich machen lässt. | |
4 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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