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# taz.de -- Parmesanherstellung in Italien: Alessia Zini und ihre 7.000 Kinder
> Für die Produktion von Parmesan braucht man beste Kuhmilch und viel
> Erfahrung. Zu Besuch bei einer Parmesankäserin in der Emilia-Romagna.
Bild: Die Käserin vor ihren Parmesanlaiben
Alessia Zini öffnet das Tor eines holzvertäfelten Gebäudes auf ihrem Hof in
Varana. Umgeben von Wiesen, Feldern und den Hügeln des nördlichen Apennins
liegt er rund vierzig Kilometer südwestlich von Modena. Auf den ersten
Blick wirkt die Scheune unscheinbar, doch in ihr lagert ein kleines
Vermögen. Bis unter die Decke stapeln sich Parmesanlaibe, 7.000 Stück,
säuberlich aufgereiht in 16-stöckigen Holzregalen. Es ist kühl, in der
feuchten Luft liegt ein herzhafter Käsegeruch.
„Wenn ich das Lager betrete, fühle ich mich erfüllt“, sagt Zini mit einem
riesigen Lächeln im Gesicht. „Jeder Laib ist wie ein Kind für mich. Ich
habe 7.000 Kinder, plus 3!“, sagt sie, denn zwei Töchter und einen Sohn hat
sie auch. Mit 40 Jahren gehört sie zu einer neuen Generation
Parmesankäser:innen, die Teil eines grundlegenden Generationenwechsels ist.
Noch 2016 lag das Durchschnittsalter in der Branche bei 57 Jahren, heute
sind es 30 bis 40 Jahre.
[1][Parmesanherstellung] ist harte körperliche Arbeit. Die einzelnen Laibe
wiegen 40 Kilo und müssen immer wieder gewendet und gesäubert werden –
zuerst im Salzlakebecken, später auf den Lagerregalen. Ein Wochenende gibt
es nicht, denn, so Zini, „die Kühe haben ja keinen Wasserhahn, den man
einfach abdrehen kann“. Und so mischt sie jeden Morgen um 7 Uhr die
teilentrahmte Abendmilch des Vortags mit der frisch angelieferten
Morgenmilch in hüfthohen Kupferkesseln, um den idealen Fettgehalt zu
erzielen; fügt nach Augenmaß und Erfahrung Lab und Kulturmolke hinzu;
bricht die erwärmte, eindickende Milch mit der Käseharfe – einer Art
übergroßem Schneebesen – in kleine Körnchen, bis sie an den Boden der
Kessel sinken.
„Andere Käsereien haben dafür einen Computer, hier haben wir die Alessia“,
sagt Zini mit einem Augenzwinkern und Stolz in der Stimme. Am Boden der
Kessel verbinden sich die Körnchen zu einer Masse, die mit weißen
Leinentüchern aus der Restmolke gehoben wird. Aus 1.000 Litern Milch werden
so zwei Laibe, die anfangs je 50 Kilo wiegen und sich durch den
Reifeprozess verdichten. Insgesamt 30 Käselaibe stellt Zini so zusammen mit
ihren beiden Mitarbeitern jeden Tag her.
## Die Käserei ist Familientradition
Sie kennt diese rituellen Handgriffe von Kindesbeinen an. Ihr Vater war
Parmesankäser in einem kleinen Ort eine gute Stunde Autofahrt von Varana
entfernt. „Als ich fünf Jahre alt war, bin ich mit dem Fahrrad Slalom
zwischen den Kupferkesseln gefahren“, erzählt sie. Seitdem hat sich viel
verändert. Ihr Vater, so Alessia Zini, habe in seinem ganzen Berufsleben
keinen einzigen Tag Urlaub gemacht. Sie hingegen gönnt sich zumindest ein
paar Tage im Jahr, in denen sie die Käserei den Händen eines Mitarbeiters
ihres Vertrauens überlässt. Auch an den Nachmittagen hat sie in der Regel
frei.
Während ihr Vater die Milch anfangs noch mit Feuer unter den Kesseln
erhitzte, nutzt Zini heute eine komplexe Dampfheizung. In manchen Käsereien
kontrollieren Computer die Milch und Stahlarme heben die schweren Laibe aus
der Molke. „Wir stehen vor einem radikalen Wandel in unserer Arbeit, bei
der wir die überlieferten Traditionen der älteren Käsermeister mit der
immer fortschrittlicheren Technologie der jungen Käser kombinieren“, sagt
Zini. Sie betont: „Es geht darum, den Prozess zu verbessern, nicht das
Produkt.“ Also die harte körperliche Arbeit zu erleichtern, aber das
Handwerk dennoch Handwerk sein zu lassen.
Alessia Zini stellt einen besonderen Parmesan her, den Parmigiano Reggiano
Prodotto di Montagna. Dieser „Bergparmesan“ kommt aus Gebieten auf über 700
Höhenmetern. Weil in den Bergen die Ställe kleiner sind und die Kühe
besonders abwechslungsreiches Futter bekommen, soll der Käse besonders
hochwertig sein. Die Bezeichnung ist seit 2013 durch strenge Kriterien
geschützt. Beispielsweise müssen die Milchkühe überwiegend mit Futter aus
den Berggebieten gefüttert werden, der Herstellungsprozess und die ersten
12 Monate Reifezeit müssen ebenfalls in den Bergen stattfinden.
## Nicht jeder Hartkäse ist Parmesan
„Ich fülle täglich Formulare aus“, sagt Zini in ihrem Büro neben den lan…
Tischen, auf denen die Käselaibe vom Vortag ruhen. Sie zieht einen dicken
dunkelblauen Ordner aus dem Regal. Tag für Tag trägt sie fein säuberlich
den Säuregrad der Molke, die Luftfeuchtigkeit in den verschiedenen Räumen,
die Anzahl der Laibe nach Milchart (Bergmilch, Biomilch, oder Milch der
historischen Rinderrasse Rossa Reggiana) und viele weitere Details ein.
Diese Unterlagen sendet sie an das Parmesankonsortium, das durch die
akribische Kontrolle den Parmesanmarkt [2][vor Fälschungen schützen] will.
Schließlich darf nicht jeder Käse einfach Parmesan genannt werden: Ein
strenges Protokoll legt neben den einzelnen Herstellungsschritten –
beispielsweise müssen die Kühe alle zwölf Stunden gemolken werden – fest,
dass nur Käse aus der Region zwischen Bologna und Parma diesen Namen tragen
darf. Damit ist Parmigiano Reggiano [3][eine geschützte
Ursprungsbezeichnung], eine Denominazione di Origine Protetta, kurz DOP.
Nach 12 Monaten Reifezeit wird jedes einzelne Käserad mit einem kleinen
Hammer abgeklopft, um es auf im Innern vorhandene Risse zu prüfen. Nur wenn
der Laib die Prüfung besteht, wird er mit einer Brandmarke gekennzeichnet
und darf als Parmesan in den Verkauf gehen. Andernfalls wird die
charakteristische Rinde mit dem gepunkteten Schriftzug durchgestrichen oder
sogar abgeschliffen.
„Das ist mein Jahreszeugnis“, sagt Zini. Schließlich könne bei der
Herstellung viel schiefgehen. „Es reicht schon, wenn der Bauer am Vorabend
ausgegangen ist und beim Melken am nächsten Morgen nicht so genau
aufpasst“, erklärt sie. Bakterien oder natürliche Schimmelpilzgifte, aber
auch Temperaturschwankungen in der Lagerung können die Versetzung der
goldgelben Laibe gefährden.
Das ist aber nicht die einzige Herausforderung, der sich Alessia Zini
stellt. Sie schaut einem direkt in die Augen und redet nicht lange um den
heißen Brei herum. „Dieser Beruf ist anstrengend und schwer und mit großen
Opfern verbunden“, sagt sie, „erst recht für eine Frau.“ Sie leistet die
harte körperliche Arbeit mit den schweren Käserädern genauso wie ihre
männlichen Kollegen, auch wenn sie gerne ein paar technische Hilfsmittel in
ihrer Käserei einführen würde.
## Wenige Frauen in der Parmesanherstellung
In den insgesamt 330 Käsereien, die Parmesan herstellen, gibt es neben Zini
nur zwei weitere Käserinnen. „Auch heute noch, im Jahr 2024, wird
angenommen, dass Frauen nicht das tun können, was Männer tun“, sagt sie und
erzählt davon, wie sie von ihren männlichen Kollegen noch heute als quasi
casara, als „Fastkäserin“ bezeichnet wird. Und wie Handwerker oder
Techniker, die ihre Käserei betreten, sich automatisch zuerst an einen Mann
wenden.
Dabei, so Zini, stehen sie und ihre Kolleginnen den Männern in nichts nach:
„Für Parmesan braucht man drei Zutaten: Milch, Salz und Lab. Ich würde noch
Leidenschaft, Aufopferung und ein Auge fürs Detail hinzufügen. Und darin
sind wir Frauen unschlagbar!“ Eine Expert:innenjury gibt ihr Recht. Im
August hat sie als erste Frau beim Parmesanwettbewerb von Casina den ersten
Preis für ihren 24 Monate gereiften Parmesan gewonnen und sich gegen 40
Käser durchgesetzt.
Vielleicht bringt Zini einen Stein ins Rollen. Ihre beiden Töchter Giulia
und Maia werden von ihren Mitschülerinnen schon le casarine genannt – die
kleinen Käserinnen.
7 Oct 2024
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## AUTOREN
Judith Eisinger
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